Helix (Musik)
Helix ist der Name eines genreübergreifenden, nicht-linearen Zeit- und Tempo Musik-Konzepts, bei dem u.a. durch versetztes Ein- und Ausblenden mehrerer Stimmen die Illusion endloser Beschleunigungen oder Verlangsamungen erzeugt. Es ist frei inspiriert von den Forschungen und Arbeiten des französischen Komponisten J.Claude Risset und des US-Computerkünstlers Kenneth Knowlton in den späten 1970er Jahren. Die Weiterentwicklung zum Helix System u.a. mit der Verwendung unterschiedlicher metrischer Ebenen erfolgte durch den Kölner Komponisten und Kontrabassisten Sebastian Gramss.
Genese und Entstehung[Bearbeiten]
Das Helix-System und seine Tempo-Illusionen stammen ursprünglich aus der Familie der auditiven Illusionen innerhalb der elektronischen Musik und wurden zunächst mit sich überlagernden Sinuswellen angewandt. Das Konzept ist inspiriert von den Forschungen und Arbeiten des französischen Komponisten Jean-Claude Risset und des US-amerikanischen Computerkünstlers Kenneth Knowlton aus den späten 1970er Jahren. Helix-Systeme basieren auf der Überlagerung mehrerer synchronisierter, verblassender rhythmischer Ströme, die in unterschiedlichen Geschwindigkeiten (Subdivisions) parallel gespielt und zu bestimmten Zeitpunkten ein- und wieder ausgeblendet werden. Dies erzeugt den Eindruck einer scheinbar endlosen Beschleunigung oder Verlangsamung.
Eine akustische Analogie im Bereich endlos höher oder tiefer steigender Tonhöhen hat dieses primär tempobasierte Zeit- und Rhythmuskonzert in den vermeintlich ewig auf- bzw. absteigenden Shepard-Risset Glissandi (bzw. Shepard Ton des Roger N. Shepard) sowie das im System einer „perpetual (ewigen) Melodie“ (z.b. Pink Floyd, Franz Ferdinand, Györgi Ligeti's Piano Etüden #13 u.a.). Während sich veschiedene Temposchichten in elektronischer Musik oder auch in den Studies for Player Piano von Conlon Nancarrow leicht realisieren lassen, bereitet die Realisation tempobasierter Helix-Systeme in der von Musikerinnen und Musikern aufgeführten Instrumental- und Vokalmusik sowohl notationstechnische als auch aufführungspraktische Schwierigkeiten. Beispiele für kontinuierlich sich verändernde Tempi sind daher in verschriftlichter Musik selten, etwa in Reinhard Febels „Vier Stücken“ für Violine und Orchester (1994), „Sculpture /Motion Picture“ für neunzehn Streicher (1998) und „Sphinxes“ für Orchester (2003) sowie in Mathias Spahlingers „passays / paysage“ für Orchester (1989/90) oder im Schaffen von Enno Poppe. Instrumentale und vokale Umsetzungen von tempobasierter Helix-Systemen mit multiplen Zeitebenen sind dagegen eine Neuerung. Eine visuelle Analogie kann in den Penrose Treppen[1], M.C. Eschers Wasserfall und der Barberpole Illusion gesehen werden.
Realisation[Bearbeiten]
Im Gegensatz zu herkömmlichen Musikformen, die in der Regel auf einem einheitlich vorgegebenen Tempo basieren, hat der Musikfluss im Helix-System kein festes, stabiles Grundtempo. Sämtliche musikalischen Parameter wie Tonhöhe, Melodie, Harmonie, Dynamik und klangfarbliche Ereignisse werden auf der Basis von einfachen oder multiplen Accelerandi und Ritardandi mit scheinbar unendlicher Fortschreitungsrichtung ausgeführt.
Durch die gleichzeitige Verwendung verschiedener Unterteilungen innerhalb der übergeordneten Metabars entsteht eine spiralförmige Tempoauffassung mit mehr oder weniger ausgeprägter Selbstähnlichkeit. Diese erzeugt bei den Hörern einen nicht enden wollenden, soghaften Effekt (Accelerando) oder im Falle eines Ritardandos eine Art andauernden Abbremseffekt.
In der elektronischen und computergenerierten Musik wird bisweilen die Helix-Grundform (als Risset-Rhythmus) mit einer 2:1-Ratio eingesetzt. Seit 2022 wird dieses Konzept auch mit Live-Musikern umgesetzt. Die praktische interpretatorische Umsetzung des Helix-Konzepts mit Musikern im Ensemblekontext ist ein kompositorisches und improvisatorisches Forschungsprojekt der Kölner Musikgruppen "STATES OF PLAY" und "METEORS".
Terminologie[Bearbeiten]
SLOPE (Steilheit der Tempoveränderung): Hier wird grob in 4 verschiedene "Steilheiten" (des Accellerando / Ritardando) unterteilt:
flat (Tempoverdoppelung innerhalb von ca. 30 Sekunden und mehr)
moderate (Tempoverdoppelung innerhalb von ca. 15-30 Sekunden)
steep (Tempoverdoppelung innerhalb von ca. 10-15 Sekunden)
ultrasteep (Tempoverdoppelung innerhalb von < 10 Sekunden)
Ratio[Bearbeiten]
Positive Ratio (Accelerando): 2:1 = Accelerando mit sich einblendendem halben Tempo, das dann auf das doppelte Tempo beschleunigt, bis sich erneut eine Schicht im halben Tempo einblendet.
Negative Ratio (Ritardando): 1:2 = Ritardando mit sich einblendendem doppeltem Tempo, das dann auf die Hälfte des Tempos verlangsamt, bis sich erneut eine Schicht im doppelten Tempo einblendet.
Odd Metrum Ratio (Cluster-Ratio): Positive / Ansteigend: 3:1; 5:1; 7:1 etc. Negative / Fallend: 1:3; 1:5; 1:7 etc.
Metric Modulation Ratios[Bearbeiten]
Positive (Accelerando): 3:2; 5:4; 5:3, 7:2 etc. Negative (Ritardando): 2:3; 4:5, 3:5, 2:7 etc.
Section[Bearbeiten]
Die Section bezeichnet die Tempozone, in der die Helix angewendet wird.
Durch unterschiedlich schnelle Wechsel zwischen den Tempo-ebenen kann innerhalb einer Helix schnell in andere Tempozonen / Sections gewechselt werden.
Largo, Adagio, Andante <-> Ballad
Allegro, Vivace <-> Medium
Presto <-> Fast, Uptempo
Mask / Maskierung[Bearbeiten]
(Maskierung des Tempozonen-wechsels einer oder mehrerer Stimmen)
FADE - Fade out / fade in
DENSITY - Built / Dissolve (Hinzufügen / Weglassen von Tönen im Übergang)
MAGNET - Direkter Wechsel / plötzlicher Start (Attacca) der neuen Tempoebene
Besondere Formen der Helix[Bearbeiten]
SUPERHELIX: Zwei oder mehr gleichzeitig verlaufende Helix-Systeme mit unterschiedlichen Ratios in gleicher Richtung.
MULTI-HELIX: Helix-System mit wechselnden, ineinander übergehenden verschiedenen Ratios.
FREE-HELIX: Zwei oder mehr unabhängige, nicht parallel verlaufende Helix-Systeme in gleicher Richtung.
COUNTER-HELIX: Zwei oder mehr gegenläufige Helix-Systeme (positiv und gleichzeitig negativ).
CURVED-HELIX: Helix mit einer sich langfristig verändernden kurvenförmigen Steilheit.
HELIX TRANSFER: Temporäre, nicht permanente Verwendung einer Helix als musikalischer Übergang.
Anwendung und Forschung[Bearbeiten]
Das Helix-System wurde in einer simplen 2:1 bzw 1:2 Ratio (unter dem Namen Risset Rhythmus) in der elektronischen und computergenerierten Musik angewandt, um kontinuierliche Tempoveränderungen zu erzeugen.
Seit 2022 findet dieses Konzept erstmals auch eine komplexere Anwendung mit Live-Musikern. Die praktische Umsetzung mit Interpreten / Musikern ist ein Forschungsprojekt der Kölner Musikgruppen "STATES OF PLAY" und "METEORS". Im Rahmen einer praktischen Grundlagenrecherche im Auftrag der Kunststiftung NRW und der Stadt Köln sind 2024 international über 80 Musiker beteiligt. Schwerpunkt der Recherche ist Köln.
Weblinks[Bearbeiten]
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