E.S. v. Austria
E.S. v. Austria bezeichnet die erfolglose Beschwerde einer österreichischen Staatsbürgerin vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gegen ihre Verurteilung wegen der Herabwürdigung religiöser Lehren. Der Gerichtshof stimmte in seinem Urteil vom 25. Oktober 2018 den innerstaatlichen Gerichten darin zu, dass es sich bei den strittigen Äußerungen der E.S. um Werturteile ohne ausreichende Tatsachengrundlage handelt, die nicht von der Freiheit der Meinungsäußerung nach Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) gedeckt sind.[1][2]
Sachverhalt[Bearbeiten]
Im Oktober und November 2009 hielt Frau S. zwei von dem FPÖ-Bildungsinstitut veranstaltete Seminare mit dem Titel „Grundlagen des Islams“ ab, in welchen die Ehe zwischen dem Propheten Mohammed und einem sechsjährigen Mädchen namens Aisha diskutiert wurde. Die Ehe wurde vollzogen, als Aisha neun Jahre alt war. Unter anderem tätigte Frau S. die Aussage, Mohammed „hatte nun mal gerne mit Kindern ein bisschen was.“ sowie „Ein 56-Jähriger und eine 6-Jährige ? […] Wie nennen wir das, wenn’s nicht Pädophilie ist?“ In den Seminaren war auch ein Journalist einer Wochenzeitung anwesend, der daraufhin Anzeige erstattete.
Am 15. Februar 2011 wurde E.S. vom LG für Strafsachen Wien wegen Herabwürdigung religiöser Lehren gem. § 188 öStGB zu einer Geldstrafe in der Höhe von 120 Tagessätzen zu je 4 Euro verurteilt. Die Berufung wurde vom OLG Wien am 20. Dezember 2011 abgewiesen. Der OGH gab einem auf § 363a StPO gestützten Antrag auf Erneuerung nicht statt. Der OGH verwies auf die gebotene Interessenabwägung zwischen dem Recht der Angeklagten auf Meinungsäußerungsfreiheit und dem Recht anderer auf Achtung ihrer Religionsfreiheit. Es sei nicht die sachliche Auseinandersetzung mit dem Islam im Mittelpunkt gestanden, sondern die Diffamierung des Propheten Mohammed in Bezug auf eine diesem unterstellte Sexualpräferenz, um ihn als der Achtung der Menschen unwürdig darzustellen. Damit leisteten die Äußerungen keinen Beitrag zu einer sachlichen Debatte, weshalb die Verurteilung nicht unvereinbar mit Art. 10 EMRK sei.
Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte[Bearbeiten]
Der EGMR stellte in seinem Urteil zunächst klar, dass die Religionsfreiheit nicht davor schütze, dass die eigene Religion - auch harsch - kritisiert werde. Allerdings sei Kritik dort nicht mehr schützenswert, wo sie zu religiöser Intoleranz führen könne. Dies sah man hinsichtlich der Äußerungen der Beschwerdeführerin gegeben und zog dafür auch die seinerzeit hitzig geführte Debatte um das Verschleierungsverbot heran, die auch in Österreich weite Kreise zog.[3]
Die Ausübung der Meinungsäußerungsfreiheit bringe Pflichten und Verantwortlichkeiten mit sich. Im Kontext religiöser Anschauungen umfasse dies die allgemeine Anforderung, den ungestörten Genuss der durch Art. 9 EMRK garantierten Rechte durch jene sicherzustellen, die einem solchen Glauben anhängen, einschließlich einer Pflicht, so weit wie möglich eine Äußerung zu vermeiden, die gegenüber Gegenständen der Verehrung unnötig anstößig und beleidigend ist. Wenn solche Äußerungen die Grenzen einer kritischen Leugnung der religiösen Überzeugungen anderer überschreiten und geeignet sind, zu religiöser Intoleranz aufzustacheln, könne sie ein Staat legitimerweise als unvereinbar mit der Achtung der Religionsfreiheit ansehen und verhältnismäßig restriktive Maßnahmen ergreifen.[4]
Der EuGH zitierte dieses Urteil seit 2019 in bislang sechs weiteren Entscheidungen.[5]
Internationale Reaktionen[Bearbeiten]
Das Urteil wurde von Journalisten kritisch angesehen, insbesondere wurden Stimmen laut, dass das Urteil ein Gesetz gegen Blasphemie in Europa „fordere“. Das Urteil war für Vertreter von Menschenrechtsorganisationen besorgniserregend. Die atheistische IHEU war von dem Urteil „frustriert“, da ihrer Ansicht nach das Gericht die Rechte der Klägerin nach Artikel 10 EMRK nicht wahre und nicht „zurückhaltend“ geurteilt habe.[6]
Die Britische atheistische Wohltätigkeitsorganisation Humanists UK, welche sich für ähnliche Probleme einsetzt, kritisierte das Urteil als „fundamental im Gleichgewicht mit dem Geist und der Tradition freier Meinungsäußerung in Europa“ und hoffte auf einen Rekurs in der Großen Kammer des EGMR. Die Organisation machte deutlich, dass in diesem Fall das Recht auf Meinungsfreiheit aus Artikel 10 gegen ein „bisher nicht vorhandenes Recht des Schutzes religiöser Ansichten“ aufgewogen werde.[7] In einer späteren Rede über Blasphemie-Gesetze vor dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen zitierten sie das Urteil als „gegenteilig zu den Prinzipien der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und für den Gedanken von Menschenrecht als internationales Unternehmen.“[8]
In dem Magazin The Atlantic schreibt Simon Cottee, dass er große Bedenken über das Urteil habe, insbesondere „gab das Urteil den österreichischen Blasphemie-Gesetzen Legitimität durch den schwachen Bezug zur ‚Wahrung des religiösen Friedens‘, damit wurde denen, welche Gewalt als Verteidigung ihrer Religion anwenden, ein Veto gegen freie Meinungen gegeben.“[9]
Reaktionen von Akademikern variierten jedoch. Manche Autoren sagten, das Urteil des EGMR unterscheide sich durch Anwendung anderer Standards an ähnlichen Situationen von vergangenen Urteilen, außerdem werde niemand direkt von diesen Aussagen angegriffen, stattdessen werde sich auf „Religiösen Frieden“ berufen. Damit erlaube das Urteil de facto den Einsatz von Anti-Blasphemie-Gesetzen.[10]
Literatur[Bearbeiten]
- Sascha Sebastian: Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte: Bezeichnung des Propheten Mohammed als „pädophil“. Urteil vom 25. Oktober 2018, Az.: 38450/12 – E.S. v. Austria. Jura Studium & Examen 2019, S. 24–33. PDF.
Einzelnachweise[Bearbeiten]
- ↑ EGMR, Urteil vom 25. Oktober 2018, Bsw 38450/12
- ↑ HUDOC - European Court of Human Rights. Abgerufen am 15. September 2023 (english).
- ↑ EGMR zu Kritik am Propheten Mohammed: Nicht nur was man sagt, sondern auch in welcher Zeit. Legal Tribune Online, 25. Oktober 2028.
- ↑ EGMR, Urteil vom 25. Oktober 2018, Bsw 38450/12 S. 4 Rz. 43.
- ↑ EGMR, 25. Oktober 2018 - 38450/12 dejure.org, abgerufen am 9. November 2023.
- ↑ IHEU 'frustrated', as European Court fails to overturn 'blasphemy' conviction in Austria. In: Humanists International. 26. Oktober 2018 (english, humanists.international [abgerufen am 17. September 2023]).
- ↑ European Court of Human Rights rules that Austria can keep its blasphemy law. In: Humanists UK. Abgerufen am 17. September 2023 (british English).
- ↑ Humanists UK challenges Austria blasphemy ruling at UN Human Rights Council. In: Humanists UK. Abgerufen am 17. September 2023 (british English).
- ↑ Simon Cottee: A Flawed European Ruling on Free Speech. 31. Oktober 2018, abgerufen am 17. September 2023 (english).
- ↑ Andrea Gatti: Freedom of Expression and Protection of Religious Peace in Europe: Consideration on E.S. v. Austria ECtHR Case Law. In: Revista General de Derecho Público Comparado. 1. Januar 2018 (english, academia.edu [abgerufen am 17. September 2023]).
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