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Gerhard Böltz

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Gerhard („Gerd“) Wolf Rüdiger Böltz (* 21. Januar 1947 in Ravensburg; † 11. Dezember 2021 in Berlin) war ein Dichter und Sammler, insbesondere von Fachliteratur über Friedrich Hölderlins Dichtung und Leben. Seine Sammlungen über Hölderlin gehören zu einer der bedeutendsten der Fachliteratur und befinden sich heute in der Böltzschen Bibliothek im Hölderlinhaus der Stadt Lauffen. Er war Mitglied der Hölderlin-Gesellschaft und blieb zeitlebens der Societas Jesu verbunden.

Die Böltzsche Bibliothek befindet sich in der Bahnhofstraße 50 in Lauffen am Neckar[1] und umfasst eine Kernsammlung von über 1200 Büchern (Stand 2012).[2] Neben Literatur von und über Hölderlin sind dort auch Materialien zur Theologie, Philosophie und Poetik sowie zu den klassischen Dichtern der griechischen Antike zu finden. Eine vollständige Frankfurter Ausgabe der Schriften Hölderlins mit Faksimile-Kopien seiner Handschriften ist ebenfalls darunter. Der Bestand der Bibliothek ist inzwischen digital erfasst worden.[3]

Biographie[Bearbeiten]

Fotografie aus dem Nachlass
Gerhard Böltz auf einer Zugfahrt, frühe 1990er Jahre

Nachdem Gerhard Böltz in Saulgau die Volksschule beendet hatte, besuchte er das Gymnasium in Sigmaringen. Der Aufenthalt am Gymnasium wurde jäh unterbrochen, als der Vater, der bis dahin als Chemiker bei BASF in München tätig gewesen war, im Jahr 1963 verstarb. Zu dieser Zeit wechselte Gerhard Böltz in ein katholisches Internat, wo er allerdings nicht lange bleiben sollte. Sein Abitur legte er schließlich am altsprachlich orientierten Störck-Gymnasium in Saulgau ab, wo er unter anderem Latein und Altgriechisch gelernt hatte. In dem gleichen Abiturjahrgang befand sich auch Harald Saumweber, der später Molekularbiologie an der Humboldt-Universität zu Berlin unterrichten sollte.[4] Nach dem Abitur entschied sich Gerhard Böltz zu einer Jesuitenausbildung in Nürnberg. Kurz vor Ablegung des Gehorsamsgelübdes verließ er als Novize die Societas Jesu, weil sein Interesse in der Zwischenzeit sich bis hin zu Friedrich Nietzsches Atheismus erstreckt hatte und er sich entschloss, nicht das Gehorsamsgelübde abzulegen. In diese Zeit fällt auch die Bekanntschaft mit der Lyrik und dem Hyperion-Briefroman Friedrich Hölderlins. Dass auch Hölderlin sich aus einem ländlich-religiös geprägten Milieu emanzipierte, steigerte vermutlich das Interesse an seiner Dichtung.

Jean Gebser und das „Neue Bewusstsein“[Bearbeiten]

Wesentlichen Anteil findet bei Gerhard Böltz ebenfalls die Hinwendung zu dem Gedankengut des Kulturphilosophen Jean Gebser und der von ihm angestrebten Zusammenführung der westlichen und asiatischen Kulturen. Dieses Denken und Sehen folgt der Auffassung, dass "das Abendland und Asien keine sich einander ausschließenden Gegensätze, sondern vielmehr einander ergänzende Entsprechungen sind (die deshalb sehr wohl eines Tages die gemeinsamen Wurzeln des Ganzen auf bewußte Weise wiederfinden könnten)."[5] Damit wird, so Gebser, zugleich ein grundsätzliches „Ganzheitliches Sehen“ angestrebt. Seine neue Weltsicht löst sich von dem allein räumlichen und somit teilenden Sehen, welches sich dem ganzheitlichen Sehen unterordnet und somit in eine neue Wirklichkeit eintritt. Es strebt nicht das Vermischen der Kulturen an, sondern vielmehr das sich gegenseitige Ergänzen ihrer jeweiligen Gegensätze, in deren Zusammenspiel und Zusammenführung sich erst das sich ergänzende Ganze bildet und ergibt: "Das will besagen, daß sie gleichwertig sind und daß das eine ohne das andere nicht sein kann, da in der heute bewußt zusammenwachsenden Welt jedes der beiden einzeln betrachtet nur etwas Halbes oder Teilhaftes wäre. Es besteht auch eine innerliche Abhängigkeit und Entsprechung der beiden Welt- und Wirklichkeitsaspekte, die sich in den westlichen und östlichen einander ergänzend ausgeformt haben und die nur zusammen gesehen unsere ganze Welt bilden."[6]

In Hölderlins späten „Jahreszeiten-Gedichten“ erblickte Gebser idealtypisch die Zusammenführung der westlichen und östlichen mystischen Denkweisen. Hölderlins Spätwerk sei – um mit Laozi zu sprechen – von der Grundhaltung eines "Handelns, ohne zu handeln" durchzogen. Seit der Renaissance sei aber dem Abendland die mit der Vita contemplativa assoziierte "re-ligio, [...] d. h. Rückverbindung" weitgehend abhanden gekommen, da sie von der praktisch orientierten Vita activa verdrängt worden sei. Es seien also "vor allem die Mystiker gewesen und Vereinzelte, wie eben Hölderlin, die sie besaßen, wobei wir wissen, unter welchen ungeheuren Opfern dieser Zustand erreicht wurde."[7]

Münchner Zeit und Reisen[Bearbeiten]

Nach Beendigung seiner Zeit als Novize in Nürnberg zog Gerhard Böltz 1968 von Nürnberg nach München, wo er ebenfalls die Bekanntschaft mit seinem auch späterhin langjährigen Freund und Begleiter zahlreicher Reisen bis hin nach China, Burkhard Eiswaldt, schloss. 1969 reiste er mit ihm zusammen erstmals in das abgelegene französische Bergdorf Bardou. Das einst verlassene Dorf und dessen teils baufällige Steinhäuser in den Berghängen von Hérault, war von dem ihm bekannten Klaus Erhardt schrittweise aufgekauft worden und von ihm und seiner Familie nach einer langen Zeit des Reisens nun zu deren Lebensmittelpunkt gewählt worden. Gleichzeitig aber war der abgelegene Ort auch Anziehungspunkt für einen kleinen Kreis von Künstlern und Literaten geworden. Aus der dort verbrachten Zeit, die Gerhard Böltz stets in prägender Erinnerung bleiben sollte, entstand der Gedichtband Bardou (1973). In diesem stehen die Gedichte Fotografien von Roswitha von Thüngen gegenüber, die auch die utopische Atmosphäre Bardous widerspiegeln. Auch späterhin sollte Bardou steter Anziehungsort für Gerhard Böltz bleiben. In seiner Münchner Zeit unternahm er Reisen in die Türkei, nach Griechenland, Italien, Spanien, Großbritannien und in die Niederlande.[8]

Bardou sei, so Böltz, „für Vaganten, Nostalgiker, Country-fans, für Intellektuelle und Künstler (und solche, die es sein möchten), für Übersättigte und Naturverbundene, für Sinnende und Einsame, für Suchende und Neugierige, Erfüllung und Attraktion. [...] Landschaft und Ortschaft ergänzen sich hier und verführen in klimatischer und kultureller Nähe des Mittelmeeres zu einer genügsamen und unbeschwerten epikuräischen Lebensweise und Geselligkeit.“[9] Bardou wird in einem gleichnamigen Gedicht folgendermaßen charakterisiert: "Keine Perle des Meers, / Noch ein Stern am Himmel, / Keine Blüte aus dem Paradies / Und auch der Städte Krone nicht, / Kein Kleinstes, / Kein Größtes / Und, Weh, / Kein Mittelmaß / Kein Mächtiges / Keines, an dem / Je schwere Schlachten geschlagen, / Keines, in dem / Irgend ein König begraben, / Keines, zu dem / Gläubige Häupter sich beugen, / Nirgend, wo / Um Goldenes Kalb / Tanzt ein Tolles, das Volk, / Noch eines, auf dem, / Raum zu bauen / Zu hohen Turm, wäre; / Nirgend, worüber / Engel, zu lügen den Frieden, / Göttinnen, Siege zu lästern, / Helden, zu halten die Hände! / Bardou / Ein / Nichts."[10]

Berliner Zeit und Reisen[Bearbeiten]

Gerhard Böltz und Burkhard Eiswaldt auf einer Reise in China, 1988

Im Alter von 25 Jahren folgte 1972 der Umzug nach Berlin, wo er zwei Jahre später mit dem Studium der Germanistik und Philosophie an der Freien Universität Berlin begann. Er trat in Kontakt zum literarischen Arbeitskreis von Hans W. E. Schumacher, in dessen jährlicher Anthologie Erfahrungen er mehrere Gedichte veröffentlichte. In Berlin befasste er sich weiterhin intensiv mit theologischen Fragestellungen. Er setzte sich insbesondere mit der Schöpfungs- und Sündenfallgeschichte der Genesis sowie mit der neutestamentarischen Überlieferung des Lebens und der Kreuzigung Jesu kritisch auseinander und entfernte sich dadurch zusehends von den Dogmen der katholischen Kirche. Vor dem Hintergrund des Dogmas der Erbsünde interessierten ihn insbesondere die Kontroverse zwischen Augustinus und Pelagius sowie Hölderlins theologische Vorstellung einer dem Menschen, der Natur und den Göttern vertrauten „Heilige[n] Unschuld“.[11] 1996 publizierte er im Band Versuch zu stehen im Wind eine Auswahl von Gedichten aus den Jahren 1966 bis 1996. Dieser Band wurde in Lithographietechnik mit Zeichnungen von Armin Nischk gedruckt, mit dem ihn seit 1978/79 eine Freundschaft verband, und als Privatdruck in einer Auflage von 10 Exemplaren veröffentlicht. Im Klappentext dieses Gedichtbands ist auch von Gerhard Böltz’ Auseinandersetzung mit Gottfried von Straßburg und Meister Eckhart die Rede.[12] Leitend für diese Beschäftigung war der von Panajotis Kondylis prägnant ausgedrückte Gedanke, dass das Mystische „nicht das Gegenteil, sondern die Quelle bzw. der Anfang der rationalen Bemühung“ sei.[13]

Von seinem neuen Lebensmittelpunkt Berlin aus unternahm er zahlreiche weitere Reisen, wie nach Italien oder Malta, und in den 1980er Jahren eine vierjährige Reise nach den Philippinen, nach China und nach Thailand, wo er schließlich über längere Zeit leben sollte und wohin er auch des Öfteren zurückkehrte.

1997 erlitt Gerhard Böltz einen schweren Herzinfarkt, den er dank schneller notärztlicher Versorgung überlebte. Zu dieser Zeit entschied er sich, seine Fachliteratur über Hölderlin der Hölderlin-Gesellschaft als Schenkung zu überlassen. Verantwortung übernahm hierfür Anke Bennholdt-Thomsen, mit der er über Jahre einen freundschaftlichen Kontakt pflegte. Bis zur Emeritierung von Bennholdt-Thomsen blieben die Bücher unter ihrer Schirmherrschaft an der Freien Universität Berlin, wo sie Interessierten zur Verfügung standen. Nach ihrer Emeritierung wurden sie 2002 unter der Leitung von Bürgermeister Klaus-Peter Waldenberger nach Lauffen am Neckar, in die Geburtsstadt Hölderlins, überführt.[14]

Die letzten Jahre[Bearbeiten]

Aufgrund seiner sich stets verschlechternden Gesundheit zog Gerhard Böltz im Juli 2020 ins Pflegewohnheim "Am Kreuzberg" in Berlin. Dort verstarb er am 11. Dezember 2021. Gerhard Böltz wurde auf dem St.-Thomas-Friedhof in der Hermannstr. 179/180 in Berlin-Neukölln anonym begraben. Die Umbettung in ein nicht anonymes Grab wird zurzeit angestrebt.

Nachlass[Bearbeiten]

Gerhard Böltz hinterließ einen umfassenden literarischen Nachlass, sowohl eigener bislang unveröffentlichter Gedichtzyklen als auch wissenschaftlicher und literarischer Abhandlungen. Dieser befindet sich heute in der Obhut seines früheren Freundeskreises. Er wird in enger Zusammenarbeit mit dem Literaturwissenschaftler Nathan Giwerzew, zu dem Gerhard Böltz insbesondere in seinen letzten Lebensjahren engen Kontakt pflegte (und der eine wesentliche Rolle bei der Sicherstellung des literarischen Nachlasses von Gerhard Böltz übernahm), sowie Burkhard Eiswaldt zur Publikation vorbereitet.

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. 13. STATION: HÖLDERLIN-BIBLIOTHEK IN DER LAUFFENER BÜCHEREI (BÖK). In: Kulturreise-Ideen. Detlef Stapf, abgerufen am 17. Januar 2021 (deutsch).
  2. Eva Ehrenfeld: Sonne, Spargel und Zaber. Ein Besuch der Präsidentin der Hölderlin-Gesellschaft in Lauffen am Neckar. In: Lauffener Bote KW 20, 2012, S. 6. Stadt Lauffen am Neckar, 16. Mai 2012, abgerufen am 17. Januar 2021 (deutsch).
  3. Johann Kreuzer: Rundbrief der Hölderlin-Gesellschaft 2021. In: Hölderlin-Gesellschaft. Hölderlin-Gesellschaft, Januar 2021, abgerufen am 16. Januar 2022 (deutsch).
  4. Prof. Harald Saumweber. In: Forschungsportal. Humboldt-Universität zu Berlin, abgerufen am 16. Januar 2022 (deutsch).
  5. Jean Gebser: Das neue Bewußtsein. In: Jean Gebser Gesamtausgabe. Band 6: Asien lächelt anders. Kleine Schriften. Novalis Verlag, Schaffhausen 1986, S. 166.
  6. Jean Gebser: Als Europäer in Asien. In: Jean Gebser Gesamtausgabe. Band 6: Asien lächelt anders. Kleine Schriften. Novalis Verlag, Schaffhausen 1986, S. 21.
  7. Jean Gebser: Hölderlins Spätdichtung. In: Jean Gebser Gesamtausgabe. Band 6: Asien lächelt anders. Kleine Schriften. Novalis Verlag, Schaffhausen 1986, S. 207.
  8. Gerhard Böltz: Bardou. Verlagsdruckerei Bär & Bartosch, Freiburg 1973, Klappentext.
  9. Gerhard Böltz: Bardou. Verlagsdruckerei Bär & Bartosch, Freiburg 1973, S. 1.
  10. Gerhard Böltz: Bardou. Verlagsdruckerei Bär & Bartosch, Freiburg 1973, S. 2.
  11. Friedrich Hölderlin: Unter den Alpen gesungen. Hrsg.: Friedrich Beißner. Große Stuttgarter Ausgabe 2,1. J. G. Cottasche Buchhandlung Nachfolger, Stuttgart 1951, S. 44.
  12. Gerhard Böltz: Versuch zu stehen im Wind. Poetische Versuche. edition GWR, Privatdruck in 10 Exemplaren, Berlin 1996, Klappentext.
  13. Panajotis Kondylis: Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1986, S. 37.
  14. Hölderlin, hoher Besuch und Böltz’sche Bibliothek. In: Der Lauffener Bote. 51. Woche, 19. Dezember 2002, S. 11.


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