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Systemische Prüfungen

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Das Ziel einer Systemischen Prüfung ist die Einschätzung der Lebensfähigkeit einer Organisation oder die Einschätzung der Überlebensfähigkeit eines anderen komplexen Sachverhalts (also eines Sachverhalts, der nicht vollständig beschrieben werden kann). Der Systemische Ansatz gibt einem Prüfungsteam Hilfestellungen, um die an es gestellten, oftmals widersprüchlichen, Anforderungen auszubalancieren und wenn möglich sogar zu nutzen. Dazu gehören einerseits die widersprüchlichen Anforderungen an die Prüfung selbst, wie z. B. Kosten versus Qualität der Prüfung, und andererseits die mit dem Prüfungsthema zusammenhängenden widersprüchlichen Anforderungen, wie z. B. bei der Prüfung einer Kapitalanlage die sich widersprechenden Dimensionen des Dreiecks von Rendite versus Risiko versus Liquidität. So können beispielsweise durch den im systemischen Prüfungsvorgehen propagierten „top-down Ansatz“ oftmals Kosten bei u.U. höherer Qualität eingespart werden, da verschiedene Kriterien dem Prüfungsteam helfen, die risikoreichsten Themen herauszufiltern.

Ein wesentliches Merkmal einer Systemischen Prüfung ist, dass die Prüfung nicht zu Beginn von Anfang bis Ende final durchgeplant wird, sondern sich im Prüfungsverlauf verändern kann. Im Prüfungsverlauf wird schrittweise über das weitere Vorgehen entschieden. So wird die Unsicherheit, welche sich aus dem Prüfungsziel „Lebensfähigkeit einer Organisation“ und den erwähnten widersprüchlichen Anforder¬ungen an die Prüfer ergibt, in den Prüfungs- und Erkenntnisprozess des Prüfungsteams eingebracht. Für die Bearbeitung der damit einhergehenden Herausforderungen des Prüfungsteams und seines Heimatsystems (z. B. Interne Revision, Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Behörde) stellt der Systemische Prüfungsansatz verschiedene Konzepte zur Verfügung, ohne jedoch den Anspruch auf eine Formel für den optimalen, reibungslos funktionierenden Prüfungsverlauf zu erheben. [1]

Fachlicher Kontext[Bearbeiten]

Systemische Prüfungen profitieren von den Ergebnissen anderer Systemischer Ansätze zur Gesprächsführung [2]. So kann auf ein großes Methodenrepertoire der Systemischen Organisationsberatung, und der Systemischen Therapie (zur Übertragung auf Prüfungen, vgl. Puhani 2015) zurückgegriffen werden. Andere Konzepte z.B. aus den Kommunikationswissenschaften oder dem Konfliktmanagement lassen sich ebenfalls problemlos integrieren.

Typischerweise erhoffen sich die Auftraggeber einer Prüfung einen Bericht darüber, ob der zu prüfende Organisationsbereich reibungslos funktioniert oder ob Änderungen notwendig sind. Auch hier greift der Systemische Prüfungsansatz auf die bereits existierenden Forschungen zurück, insbesondere auf die Konzepte zur Lebensfähigkeit sozialer Systeme [3] und auf bereits bewährte Modellbildungen von Organisationen, wie z. B. das Modell einer Organisation als Entscheidungssystem [4]

Theoretischer Hintergrund[Bearbeiten]

Die Systemische Prüfungstheorie ermöglicht es unterschiedliche Typen von Prüfungen gegeneinander abzugrenzen und zu vergleichen. Dabei können drei Sinndimensionen unterschieden werden, nämlich 1. die sachlichen Inhalte (Sachdimension), 2. die Beziehungen von Teilnehmern an der Kommunikation (Sozialdimension) und 3. die Fragen der zeitlichen Ordnung von Prozessen (Zeitdimension).

Wählt ein Prüferteam einen Systemischen Prüfungsansatz, begegnet es der Unsicherheit einer Prüfung (paradoxe Anforderungen an den Prüfungsprozess, komplexes Prüfungsthema) durch einen offen angelegten Lern- und Entscheidungsprozess (Je nach Lernstand entscheidet das Prüferteam schrittweise über den weiteren Verlauf der Prüfung). Theoretisch gesprochen bedient sich der Ansatz also des „Law of requisite variety“ (vgl. Ashby 1956 und Stefford Beer 1970), welches in diesem Zusammenhang besagt, dass das Prüferteam der Komplexität einer Prüfung mit weitgehender Entscheidungsfreiheit im Prüfungsprozess begegnet. Der Lern- und Entscheidungsprozess einer Systemischen Prüfung gestaltet die Sinndimensionen also möglichst so, dass ihm genug Entscheidungsspielraum bleibt, auch mit unerwarteten Situationen umzugehen. D.h. Das Prüfungskonzept sollte mit der Prüfung angepasst und weiterentwickelt werden können.

In der Sachdimension wird die Komplexität des Prüfungsobjekts durch eine Untersuchung der Wechselwirkungen von einer Organisation und ihrer Umwelt oder von einem Organisationsbereich und seinem Umfeld verarbeitet. Zusätzlich kommt der Ansatz jedoch nicht ohne zielgerichtete Modellbildungen auf Ebene der Beobachtungen erster Ordnung aus. Um die Komplexität des geprüften Sachverhalts nicht völlig zu verlieren und um einseitige Prüfungsfeststellungen vorzubeugen, werden dafür möglichst Modelle mit entgegengesetzter Zielsetzung eingesetzt, wie z. B. Organigramme (Aufteilung der Arbeit) und Ablaufdiagramme (Zusammenarbeit).

In der Sozialdimension werden die Anforderungen der verschiedenen Interessengruppen einer Prüfung (z. B. Auftraggeber, Geprüfte) bearbeitet. So ist z. B. eine Grundbedingung der Prüfung, dass das Prüferteam unabhängig von den Geprüften ist, gleichzeitig soll es jedoch Prüfungshandlungen vornehmen, wie diejenigen die Mitarbeiter der geprüften Organisation zu befragen, und ist insofern abhängig von ihnen.

Solche und andere Widersprüche werden vor allem in der Zeitdimension bearbeitet, indem z. B. zunächst das von der Organisation erstellte Organigramm betrachtet wird und die Prüfer sich so von dem Selbstbild der Organisation abhängig machen, sie dann aber später im Prüfungsprozess überwiegend selbstständig und unabhängig ein dazugehöriges Ablaufdiagramm erstellen oder verifizieren. Eine solch dynamische Konzeption einer Prüfung nutzt also den zeitlichen Ablauf des Prüfungsprozesses, um anfallende Anforderungen hintereinander zu behandeln.

Im Vergleich zu einem streng normativen Prüfungsansatz, bei dem z. B. das Prüferteam die Anforderungen an einen Organisationsbereich (Soll-Zustand) anhand einer Checkliste überprüft, schöpft dieser Ansatz die kreativen und kommunikativen Fähigkeiten des Prüferteams aus, um möglichst viele relevante Themen und Problemstellungen des geprüften Organisationsbereichs zu erfassen. Mit einer derartigen Konzeption der Systemischen Prüfung geht die Hoffnung einher, dass sich die Attraktivität und der Wert von Prüfungen für alle Beteiligten steigern lassen. Durch die Einbeziehung des gesamten Prüferteams kann mit dem Nutzen des „Mehr-Hirn-Denken“ und verschiedener subjektiver Perspektiven von Experten die Qualität der Prüfung gesteigert werden.

Vergleich des systemischen und des normativen Prüfungsansatzes[Bearbeiten]

Verglichen mit einem normativen Prüfungsansatz (klares regelbasiertes Soll-Konzept für den zu prüfenden Organisationsbereich, zu Beginn fest geplantes Prüfungsvorgehen), hat der Systemische Ansatz eine Reihe von Vor- und Nachteilen, die in der Tabelle unten aufgeführten sind.

Normativer Ansatz Systemischer Prüfungsansatz
starres, einfaches Soll-Konzept (geringe Unsicherheit über die Aufgaben aber auch geringe Treffsicherheit) Widersprüchliche Anforderungen eröffnen Spannungsfeld (z.B. Berücksichtigung sowohl der langfristigen als auch kurzfristigen Unternehmensplanung: jährliche GuV als auch vierteljährliche Ergebnisse), Berücksichtigung von Wechselwirkungen
Separat betrachtete Prüfungsfeststellungen (reduktionistische Sicht) Eröffnet den Blick auf Vor- und Nachteile verschiedener möglicher Konstellationen des Unternehmens und betrachtet den Kontext eines Sachverhalts (holistisch)
Einfache Bewertung durch Abgleich von Soll und Ist - Grundlage ist immer ein klar vorgegebenes (Ideal-)Soll; fehlt dies, kann nicht geprüft werden (d.h. das Thema wird ausgeklammert)

Reines schwarz-weiß-Denken || Bewertung anspruchsvoll, da zunächst erklärt werden muss, welche Vor- und Nachteile für welche Unternehmensziele einschlägig sind und diese dann abgewogen werden müssen. In der Prüfung anhand der gegebenen Rahmenbedingungen (Kontext, Umwelt): individuelle Festlegung des Ideal-Solls bzw. Beschreibung von Zielkonflikten, Prioritäten und Lösungsansätzen, wenn kein klar vorgegebenes Ideal-Soll vorliegt, wird dieses durch die Prüfer definiert; es kann geprüft werden.

einfach, transparent, ignoriert jedoch sich ändernde, neue oder widersprüchliche Anforderungen des unternehmerischen Umfelds (statisch)

Themenabgrenzung innerhalb eines Unterthemas (z.B. Rechnungswesen, IT)

Komplex, berücksichtigt jedoch Lernfähigkeit von Unternehmen und damit seine Lebensfähigkeit (dynamisch und berück-sichtigt Umfeld des Unternehmens und den weiteren Kontext der Prüfung)

Themenabgrenzung innerhalb eines Unterthemas (z.B. Rechnungswesen, IT) Betrachtet die Wechselwirkungen verschiedener Prüfungs-Unterthemen z.B. zwischen Rechnungswesen und IT und kann so zu neuen Erkenntnissen führen

Quelle: Haferkorn 2010, S. 222

Ein normativer (auch regelbasiert genannter) Prüfungsansatz »misst« die Abweichungen von einem widerspruchsfreien, klar geregeltem »Soll-Zustand« des geprüften Organisationsbereichs. Der Vorteil des normativen Prüfungsansatzes liegt daher in seiner Einfachheit und Transparenz. Beim normativen Prüfungsansatz wird das Prüferteam seine Feststellungen über den Organisationsbereich (dem »Ist-Objekt«) gegen ein detailliertes Modell (dem »Soll-Objekt«) abgleichen (»Soll-Ist«-Abgleich). Im Gegensatz zu den normativen Prüfungsansätzen, bei denen für jede einzelne Prüfungsfeststellung »Abweichung von der Norm« festgestellt wird, wird beim systemischen Ansatz ein Gesamturteil gebildet. Dieses sollte durch eine Zusammenfassung der wichtigen Prüfungsfeststellungen erreicht werden, um es dem Prüferteam aus dieser Gesamtsicht zu erleichtern, eine umfassende Risikobewertung für das Prüfungsurteil vorzunehmen. Durch Festlegen weitestgehend eindeutiger Kriterien blendet ein normativer Ansatz alle Aspekte eines Organisationsbereichs außerhalb der einmal festgelegten Norm und damit Nichtwissen aus (vgl. Kette 2008, S. 279). So vernachlässigt er unter anderem diejenigen Anforderungen der Umwelt an den Organisationsbereich, die sich ändern, neu entstehen oder widersprüchlich sind. Wenn der Organisationsbereich oder die Organisation jedoch wichtige Anforderungen der Umwelt auf Dauer unberücksichtigt lässt, wird sie seiner für die Lebensfähigkeit zentralen Eigenschaften, nämlich seiner Anpassungs- und Lernfähigkeit, nicht gerecht. Er stirbt dann u.U. an den Folgen der Schäden, die beim Ausblenden einer lebenswichtigen Anforderung der Umwelt entstehen. Daher kann die Lebensfähigkeit einer Organisation nicht durch einen normativen Ansatz, der sowohl das Lernen der Organisation als auch das Lernen der Prüfung ignoriert, geprüft werden.

Der Gewinn eines systemischen Prüfungsansatzes liegt demgegenüber darin, dass er komplexere Fragestellungen, wie die der Lebensfähigkeit einer Organisation, bearbeiten kann. Dabei wird die Unsicherheit des Erkenntnisgewinns in den Prüfungsprozess eingebracht. So wissen die Prüfer und die Berichtsempfänger um die Komplexität des Vorhabens und die Grenzen ihrer eigenen Wahrnehmung. Mit einem qualitativ hochwertigen Ergebnis kann nicht automatisch bzw. immer gerechnet werden. Der systemische Prüfungsansatz stellt hohe Anforderungen an die Kompetenzen des Prüfungsleiters, der Prüfer und des Prüfungsmanagements.

Prüfungsvorbereitung[Bearbeiten]

Damit das Prüferteam in der späteren Prüfung die Interessen der Auftraggeber und Berichtsempfänger angemessen berücksichtigen kann, muss es deren Erwartungen vor dem eigentlichen Beginn der Prüfung kennenlernen. Daher wird es in der Prüfungsvorbereitung ihren Kontakt suchen, um zu besprechen, welche Prüfungsziele mit welchem Personal und mit welchen Ressourcen erreicht werden können (Zur Prüfungsvorbereitung vgl. Puhani 2015, S. 13–63). Vor dem eigentlichen Start der Prüfung sollten fernerhin Auftaktveranstaltungen mit den Führungskräften der geprüften Bereiche stattfinden. Dort wird jedem geprüften Bereich Sinn und Zweck der Prüfung dargelegt und den Geprüften ggf. die Möglichkeit gegeben, die Funktionsweise des Organisationsbereichs aus ihrer Sicht vorzustellen. Je nach Prüfungsthema sind u.U. Erwartungen weiterer Interessengruppen abzufragen und zu managen.

In der Prüfungsvorbereitung erhebt das Prüferteam die verschiedensten Wechselwirkungsprozesse des geprüften Bereiches bzw. der geprüften Bereiche. Dabei sind insbesondere die Ziele der Organisation an den Bereich bzw. die geprüften Bereiche zu hinterfragen. Vor allem sollten miteinander konkurrierende Zielanforderungen an den Bereich bzw. die Bereiche (z.B. möglichst viel, möglichst schnell aber auch gleichzeitig möglichst günstig zu arbeiten) und die Vorgehensweisen zur Zielerreichung berücksichtigt werden. Aufgrund der so und durch die übliche Prüfungsvorbereitung erhaltenen Informationen (alte Prüfungsberichte, Anforderung einschlägiger Unterlagen usw.) erstellt das Prüferteam zunächst anfängliche Arbeitshypothesen bzw. Erklärungsansätzen über die Funktions¬weise des geprüften Organisationsbereichs sowie über Wechselwirkungen in- und außerhalb des Bereichs. In der Prüfungsvorbereitung kann daher keine endgültige Prüfungsplanung im Sinne eines abschließenden Fragenkatalogs erstellt werden. Vielmehr handelt es sich um eine Themensammlung von Fragestellungen, die im ersten Schritt zu bearbeiten ist. Berücksichtigt das Prüfungsteam dabei die widersprüchlichen Anforderungen an den / die geprüften Organisationsbereich(e), fällt ihm das Erarbeiten möglicher Dysfunktionen leichter. In der Regel kann ein Vertrieb z. B. nicht ohne jegliche Betriebsrisiken für das Unternehmen gänzlich neue Märkte erobern. Die anfänglichen Arbeitshypothesen werden im Laufe des Prüfungs¬prozesses immer wieder verändert und schließlich verfeinert. Diese Veränderungen können zu veränderten Themensammlungen und Fragestellungen führen.

Prüfungsdurchführung[Bearbeiten]

Während der Prüfungsdurchführung muss das Prüferteam entscheiden, welche Prüfungstechniken es verwendet, ob es die Arbeitshypothese aufgrund neuer Erkenntnisse ändert und wie es den aktuellen Stand der Erhebungen bewertet. Hilfreich ist dabei der Einsatz der drei Ebenen der Wirklichkeitskonstruktion (vgl. Simon 2006, S. 72 77), welcher auf Systemische Prüfungsansätze übertragen wurde (vgl. Haferkorn 2010, S. 58 ff.). Die drei Ebenen (1: Informationserhebung, 2: Erklärung für Ursache-Wirkungszusammenhänge und 3: Beurteilung der vorgefundenen Sachverhalte) sollen die Beobachtungen der Prüfer von der Erklärung der Beobachtungen und diese wiederum von der Bewertung trennen. Dies unterstützt das Prüferteam dabei, seinen Prüfungsprozess zu strukturieren und seine wichtigen Entscheidungen transparent darzustellen sowie sein Vorgehen auch (selbst-)kritisch zu hinterfragen.

Für die Informationserhebung spielt die Befragung unter den möglichen Prüfungsmethoden eine besondere Rolle, da sie besonders viel Komplexität bewältigt. Dem vorgestellten Prüfungsansatz entsprechend, sind Gesprächsstrategien aus der systemischen Therapie, aus der systemischen Beratung und von qualitativen Interviews aus der Soziologie für Prüfungsgespräche aufbereitet worden (vgl. hierzu Puhani 2015, S. 113–127). Selbstverständlich sind getroffene Aussagen anschließend prüferisch zu belegen und durch harte Fakten zu untermauern.

Bei einer Systemischen Prüfung sollten verschiedene Erklärungsansätze für bestimmte Beobachtungen oder Aussagen der Geprüften gefunden werden. So könnten als Ursache für die geringen Erträge eines Unternehmens, ineffiziente Prozesse, mangelnde oder zu umfangreiche Kontrollen, hohe Kosten, zu niedrige Preise der Produkte usw. in Frage kommen. Je mehr und je widersprüchlicher die Erklärungsansätze sind, die in Betracht gezogen werden, desto unabhängiger wird der Prüfer/Prüfungsleiter /das Prüfungsteam von einseitigen Interpretationen und desto umfassender sein Bild von der Funktionsweise des geprüften Bereichs. Wie nebenbei bewahrt der Prüfer/ Prüfungsleiter/ das Prüfungsteam damit auch seine Unabhängigkeit gegenüber den Erklärungen der Geprüften.

Um nach (fast) jedem Prüfungsschritt eine Entscheidung über das weitere Prüfungsvorgehen treffen zu können, muss eine Anpassung der Arbeitshypothese und eine Bewertung des bislang Geprüften erfolgen. Der Systemische Ansatz schlägt - trotz der Komplexität des soziologischen Risikobegriffs - eine risikogetriebene Bewertung vor. Zu beachten ist bei einer solchen Risikoeinschätzung:

  • der Planungshorizont eines für den geprüfte Organisationsbereich möglicherweise nachteiligen Szenarios,
  • das Schadenausmaß und die Schadenprognose des Szenarios,
  • die Entscheidung welche zu einem solchen Szenario zugrunde liegt und
  • in wie weit das Szenario den Entscheider selbst Schaden zufügen, ihn also selbst betreffen würde.


Der Risikobegriff wird hier in einem qualitativen Sinn verwendet und dient dem Prüferteam dazu seine Entscheidungen im Prüfungsprozess sowie seine Einschätzungen der geprüften Sachverhalte kritisch zu hinterfragen. So wäre es z. B. in der Subprimekrise 2007 hilfreich gewesen zu fragen, in wie weit diejenigen, welche eine Entscheidung über die Kreditvergabe (und -bewertung) treffen, auch von einem Ausfall der minderwertigen Kredite betroffen wären. Häufig unberücksichtigt bleibt auch der Planungshorizont einer Risikoeinschätzung: Erst spät (nach Beendigung des Arbeitsvertrags des Entscheiders) auftretende Schäden werden eher in Kauf genommen. Dies hat ggf. dann seine Berechtigung, wenn durch weitere Handlungen noch Zeit bleibt, den Schaden rechtzeitig abzuwenden.

Der im Prüfungsansatz angelegte Lern- und Entscheidungsprozess stellt also die Bilder von der Wirklichkeit des Organisationsbereichs und die damit einhergehenden Bewertungen der Prüfer permanent in Frage. Durch viele Bilder vom geprüften Organisationsbereich und eine möglichst ausgewogene Bewertung kann dem Berichtsempfänger eine gute Grundlage für Entscheidungen über die Zukunft der Organisation an die Hand gegeben werden.

Prüfungsergebnis

Die systemischen Ansätze nimmt an, dass jede Frage des Prüfers bei seinen Gesprächspartnern Assoziationen bewirkt und Ideen streut. Auch die am harmlosesten erscheinende Frage hat einen suggestiven Gehalt und transportiert bestimmte Vorannahmen. Somit ist im systemischen Ansatz jede Frage eine Intervention. Je nachdem in welcher Rolle der Prüfer sich sieht, kann er durch seine Fragen bewusst die Aufmerksamkeit des Organisationsbereichs auf bestimmte Themen lenken und hoffen oder durch seine Aktionen (z.B. Maßnahmenvereinbarung) bewirken, dass der Organisationsbereich diese bei seinen späteren Entscheidungen berücksichtigt. So kann ein Revisor z. B. eine Führungskraft im Prüfungsverlauf indirekt darauf aufmerksam machen, dass dem Vorstand gewisse Informationen aus seinem Führungsbereich fehlen. Wenn die Führungskraft daraufhin den Vorstand mit diesen Informationen versorgt, hat der Prüfer durch die Fokussierung der Aufmerksamkeit des Geprüften auf die Lücken in der Berichterstattung, bewusst ein Prüfungsergebnis erzielt ohne explizit eine Prüfungsfeststellung zu treffen. Um der Komplexität des geprüften Organisationsbereichs und der Prüfung gerecht zu werden, wird im Systemischen Ansatz der Leser des Prüfungsberichts umfassend über die Bedeutung der Prüfungsergebnisse für die Organisation und über den Kontext ihres Entstehens informiert. Der Berichtsempfänger erkauft sich den vielseitigen Einblick in die Funktionsweise des geprüften Organisationsbereichs damit, dass er sich beim Lesen intensiv mit dem Organisationsbereich und dem Prüfungsergebnis befasst.

Bei diesem Lernprozess sollte das Prüferteam den Leser des Prüfungsberichts unterstützen. So könnte von ihm bereits in der Prüfungsvorbereitung der Kenntnisstand der Berichtsempfänger über den zu prüfenden Organisationsbereich in Erfahrung gebracht werden, damit der Prüfungsleiter seinen Prüfungsbericht entsprechend aufbereiten kann. Man könnte sich auch vorstellen, dass das Prüferteam wichtige Entscheidungen, z. B. zur Prüfungs¬tiefe und damit zu den Prüfungskosten, nicht alleine trifft sondern z. B. die Auftraggeber der Prüfung im Laufe der Prüfung einbezogen werden. Die Komplexität und Widersprüchlichkeit des Prüfungsprozesses und der geprüften Sachverhalte bleibt daher im Systemischen Prüfungsansatz auch für die Berichtsempfänger erhalten und soll auch sie vor einseitigen Schlussfolgerungen bewahren.

Prüfungsnachbereitung

Prüfungen und Prüfungsgespräche verlaufen niemals optimal, so dass man aus den Entscheidungen im Prüfungs¬verlauf und den Schwächen jeder Gesprächsführung lernen kann. Eine sehr effektive Form für das Prüferteam, seine Techniken zu verbessern, besteht daher darin, die Prüfung im Anschluss zu reflektieren. Die im Gespräch und bei der Suche nach sinnvollen und anschlussfähigen Erklärungsmodellen sowie bei der Abfassung des Prüfungsberichts aufgetretenen Probleme sind insbesondere daraufhin zu untersuchen, ob die Möglichkeit besteht, dass das Prüferteam zukünftig bereits in den Prüfungsvorbereit¬ungen bestimmte Vorkehrungen treffen kann, mögliche Störungen der Prüfung frühzeitig abzu¬wenden oder sein Prüfungsvorgehen zu optimieren.


Haltung des Prüfers

Roswita Königswieser und Martin Hillebrand haben aus Sicht des systemischen Ansatzes näher beschrieben, welche Haltung sich im Gespräch bewährt hat. Diese ist auch ganz grundsätzlich auf eine Prüfung übertragbar. In der nachfolgenden Tabelle werden zwei extreme Haltungen gegenübergestellt (vgl. Königswieser und Hillebrand 2005). Die mit »+« bezeichnete Haltung ziehen sie der als »–« bezeichnete Haltung vor (Tabelle s. u.). Durch die überspitzte Darstellung wird der Kern ihrer Aussage gut deutlich.


Diese Tabelle entspricht in etwa der von dem Soziologen Thomas Pfeffer vorgeschlagenen systemischen Haltung des Fragenden bei qualitativen Interviews (vgl. Pfeffer 2004, S. 130, 131). Er stellt dabei ganz klar heraus, dass es sinnvoll ist, Störungen in der Gesprächsführung zunächst sich selbst zuzuschreiben, da solche Gespräche bei »Selbstfestlegung, Selbstveränderung und Selbstbeobachtung» ansetzen.

Die Beobachtungen der Berater und Soziologen lassen sich auf die Prüfungssituation übertragen: Geht der Prüfer mit einem festen Bild von der Organisation in eine Befragung, welches er nicht bereit ist zu ändern und hat darüber hinaus erste Schlussfolgerungen für den Prüfungsbericht gezogen, so wird er im Interview nur schwerlich davon abweichende Argumente konstruieren können. Missverständnisse mit den Mitarbeitern der Organisation und Konflikte über das „richtige“ Bild von der Organisation sind dann vorprogrammiert. Ein Prüfer sollte sich also bei Störungen des Gesprächs fragen, ob er die Erwartungen des Geprüften an die Prüfung kennt und ob sein Bild und seine Einschätzung vom Organisationsbereich stimmen oder ob Korrekturen notwendig sind. In der Prüfungssituation ist es selbstverständlich auch möglich, dass Störungen durch den Gesprächspartner bewusst eingesetzt werden, um die eigenen Interessen besser durchsetzen zu können. Dies sollte vom Prüfer erkannt und beachtet werden (vgl. Puhani, 2015 S. 11–12).

Fazit

Ein großer Vorteil des Systemischen Ansatzes ist, dass mit der neuen soziologischen Systemtheorie eine konsistente theoretische Grundlage zur Verfügung steht, welche als Theorie der Kommunikationssysteme auch eine Grundlage für eine Theorie der Prüfung bildet. Prüfungen sind demnach soziale Systeme, eine Einschätzung die konform mit der Beobachtung geht, dass sie vornehmlich aus einem gesellschaftlichen Kontrollbedürfnis heraus entstehen. Der theoretische Überbau ermöglicht einen Vergleich verschiedener Prüfungsansätze (vgl. Systemtheoretische Prüfungstheorie), so dass ein Prüferteam den für seine aktuellen Bedürfnisse geeigneten Ansatz auswählen kann.

Auf Basis der Systemtheorie versucht der systemische Ansatz verschiedene Techniken und Haltungen zu entwickeln, die in der Praxis angewandt werden. Das Prüfungsteam kann bei einer Systemischen Prüfung auf ein großes Methodenrepertoire der Systemischen Organisations¬beratung, der Systemischen Therapie und der Mediation zurückgreifen und diese an seine Bedürfnisse anpassen.

Der Systemische Prüfungsansatz erlaubt einem Prüferteam komplexe Prüfungsziele, wie die Einschätzung der Lebensfähigkeit der geprüften Organisation, ins Auge zu fassen. Dies geschieht in dem Bewusstsein der (direkt und indirekt) Beteiligten, dass niemand die Lebensfähigkeit der Organisation definitiv einschätzen kann. Die in den Prüfungsprozess eingebrachte Unsicherheit wird durch einen Lern- und Entscheidungsprozess des Prüfungsteams bearbeitet. Letzteres muss im Bewusstsein seines beschränkten Wissens, die Entscheidungen über den weiteren Prüfungsverlauf treffen. Beim Kennenlernen des geprüften Organisationsbereichs unterscheidet das Prüferteam zwischen dem beobachteten Sachverhalt, der Erklärung des Sachverhalts und seiner Bewertung und bewahrt es so vor einseitigen und vorschnellen Prüfungsurteilen.

Zur Verbesserung des Prüfungsergebnisses werden in diesen Lern- und Entscheidungsprozess außerdem die Geprüften und Berichtsempfänger involviert, so dass auch ihre Bedürfnisse besser als in einem normativen Prüfungsansatz berücksichtigt werden können. Einerseits ermöglicht dies dem Prüferteam seine Probleme zu externalisieren, wenn z. B. die Prüfer ihre Vorgesetzten um weitere Ressourcen bitten. Andererseits erlaubt der Systemische Prüfungsansatz den Prüfern die Erwartungen der Geprüften und der Berichtsempfänger zu managen. Dies sollte insbesondere dazu führen, dass diese das Prüfungsergebnis nicht nur akzeptieren, sondern sogar als hilfreich und sinnvoll empfinden.

Inhaltsverzeichnis

  • Systemische Prüfungen
  • Fachlicher Kontext
  • Theoretischer Kontext
  • Vergleich des systemischen mit dem normativen Prüfungsansatz
  • Prüfungsvorbereitung
  • Prüfungsdurchführung
  • Prüfungsbericht
  • Prüfungsnachbereitung
  • Haltung des Prüfers
  • Fazit

Literatur
Heinz von Foerster: Das Konstruieren einer Wirklichkeit. In: Die erfundene Wirklichkeit. Wie wissen wir, was wir zu wissen glauben. Beiträge zum Konstruktivismus. Hg. von Paul Watzlawick, München, Piper 2006
Petra Haferkorn: Systemische Prüfungen. Systemtheoretische Prüfungstheorie und systemische Prüfungsansätze zur Einschätzung der Lebensfähigkeit von Organisationen. Heidelberg, Carl-Auer 2010. ISBN 978-3-89670-932-5
Sven Kette: Bankenregulierung als Cognitive Governance. Wiesbaden, VS Verlag 2008
Roswita Königswieser, Martin Hillebrand: Einführung in die systemische Organisationsberatung. Heidelberg, Carl-Auer, 2. Aufl. 2005.
Niklas Luhmann: Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie. Frankfurt, Suhrkamp 1984. ISBN 3-518-28266-2
Niklas Luhmann: Organisation und Entscheidung. Wiesbaden, VS Verlag, 2. Aufl. 2006
Humberto Maturana, Francisco Varela: Der Baum der Erkenntnis. München, Goldmann 12. Aufl. 1990. ISBN 3-59617855-X
Thomas Pfeffer (2001): Das »zirkuläre Fragen« als Forschungsmethode zur Luhmannschen Systemtheorie. Heidelberg, Carl-Auer, 2. Aufl. 2004.
Silvia Puhani: Erfolgreiche Prüfungsprozesse in der Internen Revision. Konzepte, Kommunikation, Konfliktmanagement. Berlin, Erich Schmidt 2015. ISBN 978-3-503-15717-4
Fritz B. Simon: Einführung in Systemtheorie und Konstruktivismus. Heidelberg, Carl-Auer 2006


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  1. Haferkorn 2010
  2. Haferkorn 2006
  3. Luhmann 1984, Haferkorn 2010
  4. Beer 1989, Luhmann 2010 sowie Königswieser, Hillebrand 2004


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