Funkwende
Das im Anthropozän stattfindende exponentielle Wachstum wirtschaftlicher Aktivitäten und Ressourcenverbräuche samt deren Folgen für Menschen und Umwelt führt zur Erkenntnis notwendiger Änderungen, wie sie als Energiewende oder Verkehrswende benannt sind. Die nichtionisierende Strahlung des Mobilfunks steigt ebenfalls stark an und die daraus absehbaren Folgen zeigen inzwischen die Notwendigkeit einer Funkwende auf.[1] Wie die gesundheitlichen Gefahren und Risiken sowie ökologischen Folgen (insbesondere im Hinblick auf den Energieverbrauch) folgend belegen, bedürfen die Emissionen und Immissionen der Anlagen und Geräte des Mobilfunks daher ebenfalls einer Umkehr in der Bewirtschaftung, um die Auswirkungen auf die Schutzgüter der Umwelt zu begrenzen. Einige der zentralen Ansatzpunkte werden hier aufgeführt.
Begrenzung der gesundheitlichen Effekte[Bearbeiten]
Die nach dem deutschen Gefahren- und Sicherheitsrecht erforderliche Einhaltung des Schutzprinzips und des Vorsorgeprinzips trägt den neueren Erkenntnissen nicht ausreichend Rechnung.
Die Studie Health impact of 5G[2], die für das Panel for the Future of Science and Technology (STOA) des Europäischen Parlaments gefertigt wurde, findet insgesamt 1.861 Studien über die krebserzeugende Wirkung beim Menschen und in Tierstudien. Anhand der wissenschaftlichen Klassifikation gemäß der Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) wird zusammenfassend bewertet, dass ein ausreichender Nachweis (kausaler Zusammenhang) für die Krebsentstehung geführt werden kann. Insbesondere fußt diese Bewertung auf zwei großen Studien, der NTP-Studie[3] und der sog. Ramazzini-Studie.[4] Letztere als Wiederholungsstudie mit geringeren Feldstärken, die mit einer sehr großen Anzahl an Versuchstieren durchgeführt wurden. Auch der Bericht des Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag[5] erkennt in Bezug darauf an, dass dies große, qualitativ hochwertige Studien seien und eine höhere Anzahl bestimmter Tumoren bzw. deren Vorstufen durch nichtionisierende Strahlung des Mobilfunks (GSM und UMTS) zeigen. Der Bericht (Seite 117, 120) zählt diese Befunde zu den wichtigsten der letzten Jahre.
Die Studie für das Europäische Parlament[2] erkennt ebenfalls ausreichende Nachweise für schädliche Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit von Männern und stellt damit einen kausalen Zusammenhang zwischen der Exposition gegenüber NIS und der spezifischen schädlichen Wirkung her.
Inzwischen lässt sich auch der zugrunde liegende und schädigende Wirkungsmechanismus ›oxidativer Zellstress‹ erklären, eine Störung des oxidativen Gleichgewichts in den Zellen. Dies kann zu entzündlichen Prozessen, einer Schädigung der Erbsubstanz und damit auch zur Entstehung von Krebs führen. Eine vom schweizerischen Bundesumweltsamt veranlasste, bisher umfassendste Aufarbeitung der vorliegenden Literatur zeigt dies sehr deutlich auf.[6]
Diese und weitere Kenntnisse zu den gesundheitlichen Effekten[7] führen zu einer Leistungsflussdichte in Höhe von 100 µW/m², die an Orten, die dem Aufenthalt von Personen dienen, nicht überschritten werden sollte.[8]
Grundzüge einer strahlungsreduzierten Exposition[Bearbeiten]
Da die nichtionisierende Strahlung des Mobilfunks zu den ›schädlichen Umwelteinwirkungen‹ gemäß Bundes-Immissionsschutzgesetz zählt, kann ein rechtliches und fachliches Schutzkonzept analog zum Lärm entworfen werden. Dort werden die Innenräume gemäß städtebaulicher Schutzkategorien durch einen begrenzenden Außenpegel geschützt. So gilt z. B. in Wohngebieten nachts ein Außenpegel, der auch bei einem zur Lüftung geöffneten Fenster einen nächtlichen, erholsamen Schlaf innen ermöglicht. Der Außenlärm wird also aufgrund des Schutzanspruchs für Wohnqualität innen und der Dämpfung durch die Gebäudehülle zugrunde gelegt (oberer Teil in der Abbildung).
Ebenso kann ein Schutz- bzw. Vorsorgekonzept für die nichtionisierende Strahlung entwickelt werden, welches sich am Prinzip der Unverletzlichkeit der Wohnung bzw. einem hohen Schutzanspruch orientiert. Belegbare Richtwerte für innen in Höhe von 1 µW/m² (angegeben als Leistungsflussdichte) bzw. als Feldstärke 0,02 V/m und ein solcher für außen in Höhe von 100 µW/m² (0,2 V/m)[8][9][10] wären praktikabel, wenn man eine mittlere Dämpfung durch die Gebäudehülle in Höhe die von etwa 20 dB ansetzt (Schirmwirkung von Leichtbeton.[11] Da die Schirmwirkung bzw. Dämpfung der unterschiedlichen Baumaterialien höchst unterschiedlich ist, kann nur ein mittleres Maß angesetzt werden.
Bei einem Innenpegel von 1 µW/m² ist ein ausreichender Sicherheitsabstand in Höhe von 30 dB (Faktor 1000) zum Mindestversorgungspegel durch nichtionisierende Strahlung gegeben. Dieser Wert erlaubt auch ergänzende, weitgehend effektive Abschirmmaßnahmen bei empfindlichen Personen (z. B. bei Elektrosensibilität).
Mobile Innenversorgung durch Lichtfrequenzen (Li-Fi)[Bearbeiten]
Wenn eine ausreichende leitungsgebundene Versorgung ins Haus hinein besteht, lassen sich anstatt der heutigen WLAN-Funkfrequenzen ebenfalls drahtlose Lichtfrequenzen (Li-Fi, Spektrum des sichtbaren Lichts oder Infrarotlichts) zur mobilen Kommunikation einsetzen. Eine direkte Funkverbindung mit dem Mobilfunknetz wäre nicht mehr nötig, wenn der Zugang beim Provider über ein entsprechendes Internetgateway realisiert wird. Die hohe, lediglich durch den SAR-Wert begrenzte Exposition durch nichtionisierende Strahlung der Endgeräte wäre so entbehrlich und ermöglicht eine gesundheitsverträglichere mobile Kommunikation innen. Zusätzlich bieten Lichtfrequenzen mangels Durchdringung fester Körper besseren Datenschutz.
Kommunale Steuerung durch Bauleitplanung[Bearbeiten]
Rahmenbedingungen für ein solches Konzept können auch mit der örtlichen Bauleitplanung geschaffen werden. Da gemäß Entscheidung des BVerwG (4 C 1.11 v. 30.08.2012) die Mobilfunkstrahlung städtebaulich relevant ist, steht es den Gemeinden frei, eine Städtebaupolitik nach eigenen Ordnungsvorstellungen zu betreiben und von den Grenzwerten abzuweichen. Folgt eine Gemeinde einem solchen Qualitätsanspruch, kann dieser für einzelne, näher bestimmte Wohngebiete planungsrechtlich festgelegt werden.[12]
Begrenzung des Energie- und Ressourcenverbrauchs[Bearbeiten]
Der Energie- und Ressourcenbedarf digitaler Infrastrukturen hat inzwischen ein enormes Ausmaß erreicht und steigt zukünftig exponentiell an, obwohl große Potentiale zur Energie- und Ressourceneinsparung auch in der Modernisierung der Mobilfunknetze liegen. Der Bericht des Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag[13] zeigt dies auf. Auch Ergebnisse des UBA-Forschungsprojektes Green Cloud-Computing warnen gerade im Hinblick auf deutlich effizientere kabelgebundene Netzwerke: Der Mobilfunk ist für den Hausanschluss ungeeignet und aus Sicht des Umwelt- und Klimaschutzes nicht tragfähig.[14] Eine Funkwende durch Verzicht auf Durchstrahlung der Gebäudehülle, entsprechend geringerer Sendeleistung und örtlichem Roaming entfaltet so große Einsparpotenziale.
Einzelnachweise[Bearbeiten]
- ↑ Wilfried Kühling: Funkwende – Eine Denkschrift. In: umwelt · medizin · gesellschaft. Band 35, Nr. 4, 2022, S. 34–37 (diagnose-funk.org). ] PDF: Abgerufen am 29.03.2023.
- ↑ 2,0 2,1 Wissenschaftlicher Dienst des Europäischen Parlaments, Panel for the Future of Science and Technology (STOA), Belpoggi, F. (2021): Health impact of 5G. PE 690.012. Abgerufen am 29.03.2023.
- ↑ Michael Wyde, Mark Cesta, Chad Blystone, Susan Elmore, Paul Foster, Michelle Hooth, Grace Kissling, David Malarkey, Robert Sills, Matthew Stout, Nigel Walker, Kristine Witt, Mary Wolfe, John Bucher (2016): Report of Partial Findings from the National Toxicology Program Carcinogenesis Studies of Cell Phone Radiofrequency Radiation in Hsd: Sprague Dawley® SD rats (Whole Body Exposures) Abgerufen am 29.03.2023.
- ↑ L. Falcioni, L. Bua, E. Tibaldi, M. Lauriola, L. De Angelis, F. Gnudi, D. Mandrioli, M. Manservigi, F. Manservisi, I. Manzoli, I. Menghetti, R. Montella, S. Panzacchi, D. Sgargi, V. Strollo, A. Vornoli, F. Belpoggi (2018): Report of final results regarding brain and heart tumors in Sprague-Dawley rats exposed from prenatal life until natural death to mobile phone radiofrequency field representative of a 1.8 GHz GSM base station environmental emission. Environmental Research. Abgerufen am 29.03.2023.
- ↑ Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (2022): Mögliche gesundheitliche Auswirkungen verschiedener Frequenzbereiche elektromagnetischer Felder (HF-EMF). Deutscher Bundestag, Drucksache 20/5646 v. 14.02.2023, Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. Abgerufen am 29.03.2023.
- ↑ Meike Mevissen, David Schürmann: Gibt es Hinweise auf vermehrten oxidativen Stress durch elektromagnetische Felder? Eine Zusammenfassung neuerer relevanter Tier- und Zellstudien in Bezug auf gesundheitliche Auswirkungen. BERENIS – Beratende Expertengruppe nicht-ionisierende Strahlung, Newsletter-Sonderausgabe Januar 2021, Schweizerisches Tropen- und Public Health-Institut, Basel 2021 (admin.ch [PDF]). ] Abgerufen am 29.03.2023.
- ↑ Wilfried Kühling: Bewertungsdilemma Mobilfunk – Wie wir das Unvermögen staatlicher Risikobewertung endlich überwinden. 1. Auflage. Metropolis, Marburg 2023, ISBN 978-3-7316-1544-6, S. 305.
- ↑ 8,0 8,1 Igor Belyaev, Amy Dean, Horst Eger, Gerhard Hubmann, Reinhold Jandrisovits, Markus Kern, Michael Kundi, Hanns Moshammer, Piero Lercher, Kurt Müller, Gerd Oberfeld, Peter Ohnsorge, Peter Pelzmann, Claus Scheingraber, Roby Thill (2017): EUROPAEM EMF-Leitlinie 2016 zur Prävention, Diagnostik und Therapie EMF‐bedingter Beschwerden und Krankheiten. Übersetzung aus: Reviews on Environmental Health 31 (3): 363-397. DOI:10.1515/reveh-2016-0011. Abgerufen am 28. März 2023.
- ↑ Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (2008): Für zukunftsfähige Funktechnologien. BUND Position 46. Berlin. Abgerufen am 29.03.2023.
- ↑ Wilfried Kühling, Claudia Hornberg (2014): Nichtionisierende Strahlung. In: UVP-Gesellschaft e.V., AG Menschliche Gesundheit (Hrsg.): Leitlinien Schutzgut Menschliche Gesundheit, Hamm. 137-152. Abgerufen am 29.03.2023.
- ↑ Bayerisches Landesamt für Umwelt (2008): Schirmung elektromagnetischer Wellen im persönlichen Umfeld. S. 18f. Abgerufen am 29.03.2023.
- ↑ Wilfried Kühling (2021): 5G/Mobilfunk durch Gesamträumliche Planung steuern. H. 13 der Schriftenreihe Wirkungen des Mobil- und Kommunikationsfunks, Kompetenzinitiative zum Schutz von Mensch, Umwelt und Demokratie e.V., Saarbrücken Abgerufen am 29.03.2023.
- ↑ Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (2022): Energieverbrauch der IKT-Infrastruktur. Grünwald, R. & Caviezel, C. Endbericht zum TA-Projekt, Arbeitsbericht Nr. 198, Berlin. Abgerufen am 29.03.2023.
- ↑ Umweltbundesamt (2020): Energie- und Ressourceneffizienz digitaler Infrastrukturen. S. 8. Abgerufen am 29.03.2023.
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