Geschichte der Psychiatrie in England im 19. Jahrhundert
Die historische Entwicklung der Psychiatrie in England im 19. Jahrhundert kann anhand der Geschichte der psychiatrischen Krankenhäuser beschrieben werden.
Über die Situation von seelisch Kranken in sogenannten Irrenasylen berichten zahlreiche Kritiker seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts. So verspottet William Hogarth vor allem das Bethlem Hospital (Bedlam) in London. Andere Kritiker, wie der britische Psychiater John Conolly (1794–1866), formulieren ihre Kritik in Form von idealen Visionen humanitärer Einrichtungen, die es, gemessen an solchen Vorstellungen, seinerzeit nicht gegeben hat. Als ein Beispiel sei eine Schrift von Alexander Francis Browne (1806–1885) genannt, dem Direktor des Royal Lunatic Asylum in Montrose, Schottland. Er entwarf die Vorstellung eines Asyls „in dem es keinen Zwang, keine Ketten, keine Peitschen, keine körperlichen Züchtigungen“ gab.[1] Genau dies war wohl die soziale Realität in einem Irrenasyl in England zu Beginn des 19. Jahrhunderts.
Die Situation in England im 19. Jahrhundert[Bearbeiten]
Seit dem Jahr 1774 wurden in England zahlreiche Madhouse Acts verabschiedet, um dem skandalösen Treiben in den Irrenasylen Einhalt zu gebieten.
Nicht alle Asyle in England waren zu dieser Zeit Horrorkabinette. In der Stadt York kam in den 1790er Jahren ein Gemeindemitglied der dort ansässigen Quäkergemeinde in einem Irrenasyl auf ungeklärte Weise zu Tode. Die Gemeinde der Quäker beschloss daraufhin, ein eigenes Irrenasyl zu gründen. Es wurde im Jahre 1796 gegründet und The Retreat genannt. Es wurde nach Prinzipien geleitet, die vorsahen, dass die Patienten in einer ruhigen und familiären Atmosphäre ohne Gewaltmaßnahmen wie undisziplinierte Kinder behandelt wurden.
The Retreat wurde bekannt durch die Arbeit einer Parlamentskommission, die 1815 die Zustände im Londoner Bethlem Hospital untersuchte. Zwei Jahre vorher hatte Samuel Tuke (1784–1857) The Retreat als eine Einrichtung beschrieben, in der es keine Ketten und keine körperlichen Strafen gab.[2] Dem gegenüber waren die Zustände im Bethlem Hospital verheerend. Vor dem Parliament Committee on Madhouses wurde der Fall des Patienten James Norris verhandelt, der im Bethlem Hospital mit Eisenketten an die Wand gefesselt wurde. Bei der Untersuchung stellte sich heraus, dass der leitende Arzt des Asyls Thomas Monro (1759–1833) alkoholabhängig war und manchmal monatelang nicht zur Arbeit erschien.
Die genannte Parlamentskommission wurde notwendig, nachdem 1808 ein Gesetz erlassen worden, das es den Gemeinden erlaubt, Steuern zu erheben, um Armenasyle einzurichten. Da sich die Skandale in diesen Asylen, wie am Beispiel des Bethlem Hospital verdeutlicht, häuften, wurde 1828 die Metropolitan Commissioners in Lunacy einberufen mit der Aufgabe, die Londer Irrenasyle zu kontrollieren.
Exkurs Vereinigungen der Irrenärzte[Bearbeiten]
Die erste Vereinigung der Irrenärzte in England wurde 1841 unter dem Namen Association of Medical Officers of Asylums and Hospitals for the Insane gegründet. Die Gesellschaft gab ab 1853 das Asylum Journal heraus, das 1858 unter dem Titel Journal of Mental Science erschien. Die Association nannte sich später Medico-Psychological Association und existiert seit 1971 unter dem Namen des Royal College of Psychiatrists. In Deutschland wurde 1864 der Verein der deutschen Irrenärzte gegründet, der schnell wuchs und 1914 bereits über 600 Mitglieder hatte.
Der Beginn der Moralischen Behandlung in England[Bearbeiten]
Die sogenannte Moralische Behandlung, die in England unter dem Stichwort des non-restraint (ohne Zwang) firmierte, wurde erstmals von dem englischen Psychiater Robert Gardiner Hill (1811–1878) vertreten. Bekannt wurde die Methode aber durch die Arbeit des englischen Psychiaters John Conolly (1794–1866), der forderte, Irrenasyle sollten stets durch Ärzte geleitet und mit dem Ziel einer moralischen Besserung der Irren geführt werden.[3]
Patienten und Angehörige als Kritiker der Psychiatrie[Bearbeiten]
Obwohl somit Ärzte die Vorreiterrolle in der Kritik der Irrenasyle spielten, gesellten sich zu ihnen bald Laien. Der ehemalige Patient John Perceval (1803–1876) gründete die Alleged Lunatics Friend Society, als Vorläufer der heutigen Patienten-Selbsthilfe-Vereinigungen.
Ein berühmter Skandal war in England der Fall der Louisa Lowe, einer wohlhabenden Frau, die 1842 einen Geistlichen heiratete und diesen 1870 verließ. George Lowe ließ daraufhin seine Frau entführen und in das Irrenasyl Brislington House in Bristol bringen. Gegen den Besitzer des Asyls strengte Frau Lowe ein Verfahren wegen Freiheitsberaubung an. Die obersten Lordrichter befanden aber, es sei rechtens sie einzusperren, da ihr Mann keine bösen Absichten habe. Im Februar 1871 wurde sie gegen ihren Willen nach Lawn House in Hanwell gebracht. Dies war ein Privatasyl des bekannten Psychiaters Henry Maudsley, der bei ihr „Wahnvorstellungen“ feststellte. Sie hatte zwischenzeitlich ein weiteres Verfahren angestrengt, sodass eine Parlamentskommission mit dem Fall befasst war. Diese beschied, eine Freilassung von Mrs. Lowe würde „gegen die Etikette verstoßen“, denn zur gleichen Zeit hatte ihr Mann ein Verfahren angestrengt, um an ihr beträchtliches Privatvermögen zu gelangen. Nach 18 Monaten wurde sie freigelassen. Sie gründete die Lunacy Law Reform Association und beschrieb in einem Buch ihre Erlebnisse.[4]
Siehe auch[Bearbeiten]
Literatur[Bearbeiten]
Porter Roy: Die Kunst des Heilens, Spektrum Verlag. ISBN 3-86756-071-4
Quellen[Bearbeiten]
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