Scheinadel
Die Bezeichnung Scheinadel wird - je nach dem rechtlichen Standpunkt - als legitim, aus anderer Perspektive hingegen als Adelsschwindel, Namensschwindel oder als Hochstapelei bezeichnet.[1] Das Universal-Lexikons des 18. Jahrhunderts verwendete für den "Schein-Adel" auch die Bezeichnung "erdichteter Adel" oder die lateinische Form "Nobilitas ficta"[2] Seit dem 20. Jahrhundert gilt sie für Adelstitel in Nachnamen, die Personen durch Adoption, Scheinehe oder einen anderen Rechtsakt erworben haben, ohne den Adelstitel in direkter männlicher und ehelicher Abstammung geerbt zu haben[3] und damit dem Adel anzugehören.[4] In englischsprachigen Ländern werden diese Titeln als False titles of nobiliy bezeichnet, in französischsprachigen Ländern heißt sie Fausse noblesse ("Falscher" Adel) oder Noblesse d'Apparence, was man auch mit "Scheinadel" übersetzen kann.
Geschichte[Bearbeiten]
Im Deutschen Reich wurden im Jahre 1919 mit Artikel 109 Absatz 3 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) die Vorrechte des Adels abgeschafft, die Adelstitel bestanden aber fort. Wörtlich heißt es hier, "Öffentlich-rechtliche Vorrechte oder Nachteile der Geburt oder des Standes sind aufzuheben. Adelsbezeichnungen gelten nur als Teil des Namens und dürfen nicht mehr verliehen werden". Dieser Artikel wurde später in Bundesrecht übernommen.[5] Gleichzeitig wurde die Schließung des Heroldsamtes in Preußen[6] und ähnlicher Behörden in anderen Landesbestandteilen beschlossen, die bisher in Fragen der Adelszugehörigkeit entschieden hatten. Mit dem Rückzug des Staates aus dem Adelsrecht wurde, insbesondere auch in Bezug auf die nach dem Ersten Weltkrieg stark ansteigende Anzahl an Scheinadligen, und zur Unterscheidung gegenüber Standes-Adligen wurde bereits 1920 der Begriff „Scheinadel“ verwendet[7]. Aufgrund des Weiterbestehens der Adelstitel, die auf das Adelsrecht und die Grundsätze des Salischen Rechts zurückgehen, erscheint der aktuelle Personalstand dieses "Historischen Adels" auch weiterhin in den publizierten Bandreihen des Gothaischen Genealogischen Handbuchs sowie in der Monatszeitschrift Deutsches Adelsblatt. Die Gestaltungsmöglichkeiten des heutigen Namensrechts (Adoptionen, Weitergabe des Namens durch ausgeheiratete Frauen, einbenannte Ehemänner, nichteheliche Kinder usw.) produzieren zahlreiche Namensträger, die dem „historischen Adel“ nicht angehören.
Um Scheinadelige zu erfassen, wurde im Jahr 1923 bei der Deutschen Adelsgenossenschaft (D.A.G.) der Adelsprüfungsausschuss als eine eigene Abteilung geschaffen, die ab 1925 Listen mit „Scheinadeligen“ erstellte, um sie klar von den Angehörigen des historischen Adels abzugrenzen. Damit wurde die bis zur Weimarer Republik in staatlicher Funktion wahrgenommene Adelsanerkennung nun privat vorgenommen. In der Tradition der Abteilung für adelsrechtliche Fragen der DAG nimmt seit dem Jahre 1949 der Deutsche Adelsrechtsausschuss (ARA) diese Arbeit weiterhin wahr. Entscheidend für die Arbeit des ARA ist der Grundsatz, dass sich die Zugehörigkeit zum deutschen Adel nach dem bis zur Abschaffung der Monarchien in Deutschland geltenden Adelsrecht richtet. Dieser Grundsatz gilt entsprechend auch für die unter der Aufsicht des ARA erfolgende Bearbeitung des Gothaischen Genealogischen Handbuchs. Dem ARA gehören alle deutschen Adelsverbände sowie Vertreter des Adels in Österreich und der Schweiz an. Im internationalen Verkehr führt der ARA zu seinem Namen den Zusatz „Conseil de Noblesse“.[8]
Bis heute ist die Adelsgesellschaft eine separate Gruppe von Familien, die sich mehr oder weniger durch ihr ererbtes Vermögen und die familiären Bande von anderen Gruppen der Gesellschaft unterscheiden. Die Adelsgesellschaft ruft natürlich immer wieder auch Außenstehende auf den Plan, die entweder selbst adelig sein möchten oder mit diesem Wunsch anderer Personen Geld verdienen. Der Bekannteste unter ihnen ist sicherlich Titelhändler Consul Weyer Graf von Yorck oder bürgerlich Hans-Hermann Weyer. Er suchte gezielt nach verarmten Adeligen aus Nebenzweigen und Personen, die ihrerseits den Adel durch Heirat erworben haben.[9]
In anderen europäischen Republiken gelten eigene Regeln im Umgang mit "Scheinadel". Die Französische Republik schaffte den Adel als Rechtsbegriff ab. Adelstitel, die in den Monarchien erblich verliehen wurden, werden aber ähnlich wie in der Bundesrepublik Deutschland, nach den ursprünglichen Erbregeln, als Bestandteil des Namens anerkannt. Die Aufsicht über die ehemaligen Adelstitel wird von einem Büro des französischen Justizministeriums ausgeübt, welches einen Titelträger zur Verwendung in offiziellen Dokumenten wie z. B. Geburtsurkunden ermächtigen kann[10]. Zur sogenannten Fausse noblesse, gleichbedeutend mit "Falscher Adel" gehören schätzungsweise mehrere tausend Familien[11]. 1982 wurde hierzu ein Nachschlagewerk die Encyclopédie de la Fausse Noblesse et de la Noblesse d'Apparence publiziert. In Italien werden die päpstlichen Adelstitel von der Republik anerkannt[12].
In den noch bestehenden Monarchien hat der Adel in der Regel einen anderen Stellenwert. Die Verleihung neuer Adelstitel und die Pflege der bestehenden Adelstraditionen unterstehen entweder staatlicher Kontrolle wie in Spanien[13] oder sie werden von staatlich autorisierten Adelsvereinigungen betreut wie in Belgien,[14] Dänemark[15] oder Großbritannien.[16]
Bis 1919 führten außereheliche Abkömmlinge von adligen Vätern oft den Familiennamen des Vaters ohne das Adelsprädikat „von“ und Rangtitel (in jüngerer Zeit häufiger den Nachnamen der Mutter). Es kam in früheren Jahrhunderten aber auch vor, dass sie den väterlichen Namen mit dem Präfix „von“ führten, ohne dass sie durch Adelsbrief in den Adel (dem sie durch Geburt nicht angehörten) aufgenommen worden wären (siehe: Vererbbarkeit von adeligen Titeln und Privilegien). Ferner gab es Fälle des Adelsverlusts, wenn Adlige in den Bauernstand absanken oder einen (ihnen untersagten) Erwerbsberuf (wie Handwerker oder Kaufmann) ergriffen, was den Standesverlust nach sich zog. (Ein Beispiel hierfür ist der aus verarmtem Uradel stammende Dichter, Gastwirt und Enkel eines Bäckers Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen.)
Nicht unter den Begriff „Scheinadel“ im engeren Sinne, also bezogen auf tatsächlich existierende Adelsnamen und -titel, jedoch in einem weiteren Sinne fallen diejenigen Familiennamen oftmals bäuerlicher Abkunft aus Norddeutschland oder der Schweiz, die ein „von“ oder „von der“ oder „von dem“, „zu“ oder „zur“ im Familiennamen tragen, ohne jemals dem Adel angehört zu haben. In diesen Fällen handelt es sich bei dem Namenspräfix nicht um ein Adelsprädikat, sondern um einen bloßen Herkunftsnamen, den − meist in Städte gezogene − Familien von ihrem Heimatort auf dem Land ableiteten. Noch sehr viel häufiger als im deutschen Sprachraum wird in den Niederlanden das Präfix „van“ von bürgerlichen, gleichzeitig aber auch von allen adligen Familien geführt. In Norddeutschland bezeichnete man solche „Vons“ scherzhaft als „Hamburger Gemüseadel“.
Liste prominenter Scheinadeliger[Bearbeiten]
- Hans-Hermann Weyer-Graf von Yorck (* 22. April 1938 in Berlin als Hans Hermann Weyer), deutscher Titelhändler, Unternehmer und Honorarkonsul mehrerer Länder; führt den Namen durch Adoption einer Gräfin Yorck von Wartenburg.
- Frédéric Prinz von Anhalt (* 18. Juni 1943 in Wallhausen als Hans-Robert Lichtenberg), deutsch-amerikanischer Geschäftsmann; führt den Namen nach Adoption durch Marie Auguste Prinzessin von Anhalt (1898-1983).
- Marcus Eberhard Edward Prinz von Anhalt (* 20. Dezember 1966 in Pforzheim als Marcus Frank Adolf Eberhardt); deutscher Unternehmer und Bordellbetreiber; führt den Namen nach Adoption durch Frédéric Prinz von Anhalt.
- Mario-Max Prinz zu Schaumburg-Lippe (* 23. Dezember 1977 in Salzburg als Mario-Helmut Wagner); deutscher Jurist, Designer, Sänger und AstroTV-Moderator; führt den Namen nach Adoption durch Helga-Lee Prinzessin zu Schaumburg-Lippe, geborene Roderburg (1911-2005), Witwe des Rennfahrers Max Prinz zu Schaumburg-Lippe.
- Bruno Lothar Fürst von Sayn-Wittgenstein (geboren als Bruno Lothar Koch), heiratete in den 1970er Jahren auf Vermittlung von Hans-Hermann Weyer Elisabeth Gertrud Fürstin von Sayn-Wittgenstein (* 1927) in einer "Scheinehe".[17]
- Karl-Heinz Richard Fürst von Sayn-Wittgenstein (* 29. Juli 1954 in Dachau als Karl-Heinz Richard Böswirth), deutscher Unternehmer; 1991 von Bruno Lothar Fürst von Sayn-Wittgenstein (vormals Bruno Lothar Koch) adoptiert.
- Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein (* 1. Oktober 1954 als Doris Ulrich in Arolsen); deutsche Politikerin (AfD); führt den Namen infolge einer Adoption, die auf Elisabeth Gertrud Fürstin von Sayn-Wittgenstein (* 1927) zurückgeht.[18]
Literatur und Einzelnachweise[Bearbeiten]
- ↑ Heinrich Bill: Institut Deutsche Adelsforschung. In: Institut Deutsche Adelsforschung. Abgerufen am 28. Oktober 2021.
- ↑ Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste 1731-1754. Band 34. Zedler, Halle und Leipzig, S. 0594.
- ↑ Namensrecht. Deutscher Adelsrechtsausschuss, abgerufen am 29. Oktober 2021.
- ↑ Jens Eisfeld: Die Scheinehe in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert. In: Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts. Nr. 45. Mohr Siebeck, S. 215–216.
- ↑ Artikel 123 Grundgesetz GG und Artikel 109 Weimarer Reichsverfassung WRV. Rechtsanwaltskanzlei Möbius, abgerufen am 28. Oktober 2021.
- ↑ Harald von Kalm: Das preussische Heroldsamt, 1855-1920: Adelsbehörde und Adelsrecht in der preussischen Verfassungsentwicklung. Duncker & Humblot, Berlin 1994, S. 241–242.
- ↑ Deutsches Adelsblatt (Hrsg.): Friedrich Krug von Nidda und von Falkenstein: Adel und Scheinadel. Jahrgang XXXVII, 1920, S. 3–5.
- ↑ Deutscher Adelsrechtsausschuss. In: Homepage des Deutschen Adelsrechtsausschusses. Deutscher Adelsrechtsausschuss, abgerufen am 28. Oktober 2021.
- ↑ Konsul Weyer: Consul Weyer Graf von Yorck. Abgerufen am 28. Oktober 2021.
- ↑ Titres nobiliaires, noblesse, armoiries. In: Les archives contemporaines de la Justice. Abgerufen am 28. Oktober 2021.
- ↑ Pierre-Marie Dioudonnat: Le Simili-nobiliaire français. Hrsg.: Sédopols. Paris 2010.
- ↑ Francesco Pericoli Ridolfini: Titoli Nobiliari Pontifici Ricosnosciuti in Italia. Hrsg.: QUADERNI DELLA "RASSEGNA DEGLI ARCHIVI DI STATO. Nr. 25. Rome 1963.
- ↑ Fundacion Cultural de la Nobleza Espanola. Abgerufen am 28. Oktober 2021.
- ↑ ANRB. In: Association de la Noblesse du Royaume de Belgique. Abgerufen am 28. Oktober 2021 (français).
- ↑ Dansk Adels-Forening (DAF). Abgerufen am 28. Oktober 2021.
- ↑ Hereditary Peerage Association. Abgerufen am 28. Oktober 2021.
- ↑ Die adoptierten Fürsten. Saarbrücker Zeitung, 15. Juni 2017, abgerufen am 28. Oktober 2021.
- ↑ Jörn Wenge: „Ich vermute, dass sie adoptiert worden ist“. 5. Dezember 2017, abgerufen am 28. Oktober 2021.
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