Taniguchi-Ha
Taniguchi-Ha (jap. 谷口派) ist eine Unterströmung des Karate-Stils Gōjū-Ryū mit größter Verbreitung in Brasilien und Südafrika. Der Begriff dient der Identifikation der Karate-Dōjōs, die unabhängig von Verbandszugehörigkeit die Besonderheiten des von Akira Taniguchi gelehrten Karate weiter pflegen.
Ursprünge[Bearbeiten]
Akira Taniguchi war ein Handelsmann, der zur Verbreitung von Gōjū-Ryū in Brasilien, Südafrika, Chile und Mexiko beigetragen hat. 1962 kam er in Südafrika und in 1963 in Brasilien an.
Durch seine ständigen Geschäftsreisen gelang es Taniguchi, in mehreren brasilianischen Städten Karateschulen zu gründen und Lehrer auszubilden. Obwohl seine Haupttätigkeit zwischen Brasilien und Japan war, pflegte er weiterhin bis in den 1990er, als er nach Japan zurückkehrte, einen Austausch auch mit Südafrika.[1]
Sein Stil war anders als das Okinawa Gōjū-Ryū, das vor allem in der Stadt Sao Paulo durch am Anfang des 20. Jahrhunderts eingereiste okinawanische Einwanderer bereits praktiziert wurde, was für viel Kritik sorgte. Sein Stil war allerdings auch anders als die meisten aktuellen Unterströmungen des Gōjū-Ryū.[2]
Die Mahato-Kai[Bearbeiten]
Die Ursprünge von Taniguchi-Ha gehen auf die Mahato-Kai, die Karategruppe der kaiserlichen Universität von Kyushu, in Fukuoka, Japan, zurück. Gegründet als Abteilung der Universität in 1940 von Dr. Sumihiko Funatsu, direkter Schüler von Chōjun Miyagi, betrieb der Karateklub der Kyushu-Universität, wie andere japanische Universitätsdojos zu der Zeit, ein eher stilübergreifendes Karate mit intensivem Austausch mit anderen Schulen und Meistern anderer Stile.[3]
Dr. Funatsu selbst soll auch Shōtōkan, Wadō-Ryu und chinesisches Kung Fu gekonnt haben.[4]
Mit Gōjū-Ryū als Basis wurden Elemente anderer Stile übernommen sowie andere Meister eingeladen, dort zu unterrichten. Auf Wunsch von Sumihiko Funatsu ging der damals bereits 5. Dan Akira Taniguchi ins Ausland unterrichten, während Dr. Noriyuki Tamesue die Mahatokai in Japan weitergeführt hat.
Vor seiner Abreise war Akira Taniguchi bereits technischer Direktor in der Seinan Gakuin Universität und Lehrer im Karateklub der Oberschule in Fukuoka gewesen. Unter ihm hatten unter anderem Tadashi Hibio und Sadao Sakai gelernt.[4]
Technische Besonderheiten[Bearbeiten]
Anders als in klassischen Unterströmungen des Gōjū-Ryū verwendet Taniguchi-Ha Techniken und Stellungen, die von anderen Karate-Stilen entlehnt wurden oder deren Ursprünge unbekannt sind.[5]
Yakusoku Kumite[Bearbeiten]
Abgesprochene Partnerübungen im Taniguchi-Ha unterscheiden sich zwischen Sanbon (3-Schritt-) und Ippon (1-Schritt-) Kumite. Dabei gibt es 10 Sanbon-Kumite-Übungen und 26 Kihon-Ippon-Kumite-Übungen.
Beim Ippon Kumite bilden 10 einfache Angriff-Abwehr-Kombinationen die so genannte “Erste Konjugation”. Dieselben Kombinationen mit Folgetechniken beider Seiten bilden die so genannte “Zweite Konjugation”. Die dritte Konjugation basiert allerdings auf der ersten und stellt ein schnelles Ende des Kampfes durch den Sieg des Angreifers (Tori) als Gegenmittel zur Abwehr dar.[5]
Formen[Bearbeiten]
Zusätzlich zu den 12 offiziellen Gōjū-Ryū Kata werden Gohon Waza, Kihon Kata, Kihon Kumite Kata und die für das Stil typische Kata Jippo. Historisch hat Akira Taniguchi auch Heian/Pinan Kata im Unterricht genutzt.
Gohon Waza sind kurze Kata mit 5 verwandten Techniken, die oft mit Änderung der Stellungen und/oder der Richtung geübt werden. Diese sind Gohon Uke I, Gohon Uke II, Gohon Kake, Gohon Enpi, Gohon Zuki und Gohon Geri.
Die Kihon Kata Shodan und Nidan sind eine Art Taikyoku, während die Sandan und Yondan Versionen weitere Winkel hinzufügen. Die Überlieferung dieser Kata ab Sandan variiert je nach Lehrer beziehungsweise wird nicht geübt.[6]
Die Kihon Kumite Kata sind kurze Kata, die immer in einer Wendung mit der ersten Technik enden, sodass diese Kata unendlich sind. Hier sind die Shodan und Nidan Versionen verbreitet, während weitere Versionen stark vom Lehrer abhängen.
Als letztes wird die für das Stil charakteristische Kata Jippo gelehrt. Diese beinhaltet verschiedene Techniken und Stellungen des Taniguchi-Ha und wird mindestens seit den 1970er Jahren generell ab dem 2. Kyu geübt.[7]
Als Absprache im Kollegium der Nachfolger von Taniguchi wird diese Kata eher nur intern oder in befreundeten Kreisen vorgeführt. Selten aber in der Öffentlichkeit.[6]
Stellungen[Bearbeiten]
Ungewöhnlich für Schüler anderer Gōjū-Ryū Unterströmungen sind auch:
- Naka Dachi: eine nach vorn zeigende Shiko Dachi
- Kōsa Dachi: eine Art verdrehte Zenkutsu Dachi
- Uma Ashi Dachi: eine kurze Zenkutsu Dachi mit dem Gewicht stark nach vorn verlagert und auf dem hinteren Fußballen gestützt
- Tsubame Dachi: ähnlich der Heisoku Dachi, aber mit einem angehoben Fersen und angewinkelten Standbein (analog der Neko Ashi Dachi)
Techniken[Bearbeiten]
Während Han Zuki, Haisoku Geri und Ura Shuto Uke in der Form vermutlich nur in Taniguchi-Ha geübt werden, sind auch Techniken anderer Stile wie Shuto Uke und Age Zuki (wie im Shotokan) auch Teil des Programms.
Ansonsten sind auch weitere Besonderheiten sichtbar:
Größere Einhakbewegungen (z. B. in Mawashi Uke), viele Kombinationen in Hanmi und Gyaku Hanmi, vor allem mit einem kontinuierlichen Wechsel, und “dropping strikes”.
Heutige Verbreitung[Bearbeiten]
Auf Wunsch von Akira Taniguchi sind nach seiner Rückkehr manche seiner Hauptschüler nach Japan entsandt, um unter der Anleitung von Yutaka Ishikawa (JKF) zu lernen und für einen Anlehnung an das japanische Goju-Ryu zu sorgen. Taniguchi fürchtete, sein “etwas anderes” Karate hätte keinen Platz in einer modernen Welt mit großen Verbänden und Standardisierungen. Ferner war er mit dem Vorstand der JKF Goju-Kai stets im Austausch und hatte manche davon selbst ausgebildet. So wurden viele Techniken angepasst.[8]
Obwohl viele Schüler von Akira Taniguchi nach seiner Rückkehr nach Japan eine Anbindung an einen weltweiten Verband aufgesucht oder gar die Stilrichtung gewechselt haben, wurden die Besonderheiten seines Karate als universell intern weitergegeben. Unabhängig vom Prüfungsprogramm oder Verbandszugehörigkeit haben sich diese Dojos versammelt und auf das Erhalten der Tradition unter dem Namen “Taniguchi-Ha” geeinigt.[6]
Weltweiter Stilrichtungsverantwortlicher und hochrangigster Taniguchi-Ha Lehrer ist Shihan Arthur Filho, der nach wie vor das größte Taniguchi-Ha Dojo seit Taniguchis Zeit bei der ACM (CVJM) Porto Alegre betreibt. Zudem erlangte er den 7. Dan im brasilianischen Karate Verband (CBK) und den 5. Dan in der ehemaligen Mahatokai.[9]
Die Unterströmung ist die meistverbreitete in Südbrasilien und auch in anderen Teilen des Landes durch den Einfluss von Taniguchi vertreten.[2]
Im englischsprachigen Raum versammelt die Organisation Budo-Ryu International - unter Richard Salmon - alle Dojos, die nach dem Vorbild von Akira Taniguchi trainieren.[1]
Weblinks[Bearbeiten]
- Taniguchi-Ha Rio Grande do Sul – Blog über das Goju-Ryu Karate in Südbrasilien
- Federacao Gaucha de Karate – Gaucho Karate Verband
- Budo-Ryu International
Einzelnachweise[Bearbeiten]
- ↑ 1,0 1,1 Hanshi’s First True Sensei. BRI Newsletter Archive. Published in 2010.
- ↑ 2,0 2,1 Ledur, Frosi & Mazo: Karate no Rio Grande do Sul: as contribuições de Akira Taniguchi. Hrsg.: Universidade Federal do Rio Grande do Sul. Porto Alegre 2012, S. 10–18.
- ↑ Quast, Andreas: Karate taught in Germany ~ 1931 – 1934. In: Ryukyu Bugei. 25. April 2021, abgerufen am 6. Oktober 2021 (english).
- ↑ 4,0 4,1 History of Mahatokai. University of Kyushu. 1985.
- ↑ 5,0 5,1 Goju-Ryu Prüfungsprogram des Gaucho Karate Verbands (FGK). Stand 2021.
- ↑ 6,0 6,1 6,2 A. Filho, persönliches Interview, 21. April 2021
- ↑ L. Almeida, persönliche Kommunikation. 6. August 2021
- ↑ Ledur, Josiana: Karate Gōjū-ryū no Rio Grande do Sul: Revisitando a vida de Akira Taniguchi. In: Record: Revista de História do Esporte. Vol. 6, N. 2. Rio de Janeiro 2013, S. 1–23.
- ↑ Honouring the legacy of Akira Taniguchi Shihan. In: Budokan World. Abgerufen am 6. Oktober 2021.
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