Utility 4.0
Utility 4.0 ist die Bezeichnung für Energieversorgungsunternehmen, deren Geschäftsprozesse und Kundenservices weitgehend digitalisiert sind. Grundgedanke ist, dass alle Akteure und Funktionen der Energiewirtschaft untereinander mithilfe moderner Informations- und Kommunikationstechnik verzahnt sind.[1] Technisch erfolgt dies durch den Einsatz digital vernetzter Systeme und Technologien aus dem Bereich des Internets der Dinge im Energiesystem.[2] Durch diese Vernetzung und der Nutzung datenanalytischer Verfahren wie beispielsweise Smart Data soll die gesamte Wertschöpfungskette von der Energieerzeugung bis zum Verbrauch optimiert werden. Demnach werden Energieversorgungsunternehmen der Zukunft vor allem große Datenmengen verarbeiten und datenanalytische Verfahren zur Sicherung der Energieversorgung einsetzen.[3]
Bezeichnung[Bearbeiten]
Mit der Bezeichnung Utility 4.0 wird bewusst Bezug auf den aus der produzierenden Wirtschaft bekannten Begriff Industrie 4.0 genommen.[4] Dabei wird die Idee der Digitalisierung als vierter industrieller Revolution aufgegriffen und in den energiewirtschaftlichen Kontext übertragen.
Der Energiesektor hat seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts insgesamt vier Entwicklungsstufen durchlaufen. Die Nummerierung Utility 1.0 bis 4.0 folgt einer sowohl zeitlichen als auch sachlichen Abfolge. Ähnlich der standardisierten Bezeichnung für Software-Updates, bei denen die Ziffer vor dem Komma für große Versionssprünge steht (Versionsnummerierung), deuten die Ziffern im Falle der Transformation vom Versorgungswerk zum digitalen Energieunternehmen moderner Prägung auf vier Entwicklungssprünge hin:[5]
- Zu Beginn der Versorgungswirtschaft haben Energieverteilungsunternehmen (Utility 1.0) Elektrizität an die Verbraucher verteilt.
- Mit der in den Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts einsetzenden Liberalisierung erfolgte eine Trennung von Netzen und Energievertrieb. Es entstanden die klassischen Energieversorgungsunternehmen (Utility 2.0).
- Seit etwa 2011 begannen die Versorger ihren Kunden nicht mehr ausschließlich Energie, sondern als Energiedienstleistungsunternehmen (Utility 3.0) auch umfassende Services und erweiterte Produkte zu verkaufen.
- Als vorläufig letzte, vierte Phase transformieren Versorgungsunternehmen zu digitalen Energiedienstleistungsunternehmen (Utility 4.0) deren Leistungsangebote vorzugsweise vernetzt, flexibel, digital und dienstleistungsorientiert sind.
Aus dem Industrie-4.0-Begriff hervorgegangen, legt Utility 4.0 den Schwerpunkt auf die digitale Transformation des Energiesektors, bei der perspektivisch Versorgungswirtschaft und Informationstechnologie miteinander verschmelzen.[6]
Ursprung[Bearbeiten]
Der Begriff wurde von Oliver D. Doleski 2013 geprägt und im Januar 2016 erstmals im Springer Verlag publiziert.
Im Jahr 2017 haben die Professoren Daniel Schallmo und Volker Herbort das Utility-4.0-Konzept um ein Phasenmodell für ein strukturiertes Vorgehen zur digitalen Transformation von Geschäftsmodellen in der Energiewirtschaft erweitert.[7]
Herausforderungen[Bearbeiten]
Mit Utility 4.0 werden transformierte Energieversorgungsunternehmen beschrieben, die durch den umfassenden Einsatz von Informationstechnik, ausgeprägte Innovationsfähigkeit und klare Kundenorientierung gekennzeichnet sind. Mit dem Übergang von der traditionellen zur digitalen Energieversorgung sind allgemein folgende Herausforderungen verbunden:[8]
- Zunehmend souveräner agierende Kunden und Prosumer erwarten ein deutlich verbessertes Dienstleistungsangebot bei der Belieferung von Energie. Infolgedessen müssen moderne Versorgungsunternehmen Konzepte realisieren, die ihren Kunden intelligente Energielösungen liefern und dabei mehr als nur das Grundbedürfnis einer sicheren Versorgung mit Energie bedienen.[9]
- Der Übergang von der traditionellen Versorgungseinbahnstraße zwischen Kraftwerken und Verbrauchern hin zur bidirektionalen Energieversorgung erhöht die Anforderungen an Kommunikations- und IT-Systeme digitaler Versorgungsunternehmen.
- Neue Marktakteure und wachsende Datenmengen fordern klassische Energieunternehmen heraus. Immer mehr Applikationen müssen gleichzeitig und in Echtzeit betreut, operativ sicher und unter Berücksichtigung datenschutzrechtlicher Anforderungen beherrscht werden.[10] Etablierte Geschäftsmodelle der Energieversorger und Netzbetreiber verändern sich dramatisch.
- Versorgungsunternehmen müssen den mit dem digitalen Wandel verbundenen Komplexitätsanstieg organisatorisch verkraften. So müssen Mitarbeiter in allen Unternehmensbereichen qualifiziert und der Unternehmensbereich IT den wachsenden Anforderungen entsprechend organisiert werden.[11]
- Sämtliche Bereiche eines Energieversorgungsunternehmens, von der strategischen bis zur operativen Ebene, vom Netzbetrieb bis zur Bereitstellung von Energiedienstleistungen, sind von der digitalen Transformation zum Utility 4.0 betroffen. Dies gilt insbesondere auch für die klassischen Unternehmensfunktion wie Einkauf, Marketing oder Personalwesen, deren Prozesse sich von ihren analogen Pendants herkömmlicher Versorgungsunternehmen deutlich unterscheiden.[12][13]
Versorgungsunternehmen werden diesen Herausforderungen dann gerecht, wenn sie als Utility 4.0 ihr Angebot als innovative Kombination aus konsequenter Kundenorientierung, gelebter Dienstleistungsmentalität, glaubhafter Gemeinwohlorientierung und klarem Technologiefokus gestalten.[14]
Konzept[Bearbeiten]
Das Konzept Utility 4.0 basiert auf dem Gedanken, dass sich digitale Versorgungsunternehmen fundamental von den analog orientierten Energieunternehmen der Vergangenheit unterscheiden.[15] So handelt es sich bei diesem Unternehmenstypus der vierten Evolutionsstufe um digital transformierte Energieversorgungsunternehmen. Dabei nimmt die Informations- und Kommunikationstechnologie bei Utilities 4.0 die Rolle des zentralen Befähigers oder Enablers ein.[16]
Literatur[Bearbeiten]
Monografien und Herausgeberschaften[Bearbeiten]
- Doleski, O.D. (Hrsg.): Realisierung Utility 4.0 Band 1: Praxis der digitalen Energiewirtschaft von den Grundlagen bis zur Verteilung im Smart Grid, Springer Vieweg, Wiesbaden, 2020.
- Doleski, O.D. (Hrsg.): Realisierung Utility 4.0 Band 2: Praxis der digitalen Energiewirtschaft vom Vertrieb bis zu innovativen Energy Services, Springer Vieweg, Wiesbaden, 2020.
- Schallmo, D., Herbort, V., Doleski, O.D.: Roadmap Utility 4.0 - Strukturiertes Vorgehen für die digitale Transformation in der Energiewirtschaft, Springer Vieweg, Wiesbaden, 2017.
- Doleski, O.D. (Hrsg.): Herausforderung Utility 4.0: Wie sich die Energiewirtschaft im Zeitalter der Digitalisierung verändert, Springer Vieweg, Wiesbaden, 2017.
- Doleski, O.D.: Utility 4.0 –Transformation vom Versorgungs- zum digitalen Energiedienstleistungsunternehmen, essentials, Springer Vieweg, Wiesbaden, 2016.
Weblinks[Bearbeiten]
Siehe auch[Bearbeiten]
Einzelnachweise[Bearbeiten]
- ↑ Oliver D. Doleski: Digitalisierung der Energiewirtschaft - Utility 4.0 als Partner des Mittelstands. In: Managementportal.de. 18. Juni 2018, abgerufen am 8. Oktober 2020.
- ↑ Utility 4.0 - Impact of Industrial Internet of Things (IIoT) on the Global Power Industry, 2019. In: Research and Markets (Hrsg.): Report. Research and Markets, Dublin, Ireland Mai 2019 (english).
- ↑ Thank Frederik: An enterprise Architecture Blueprint for Utility 4.0. In: Energy Central. 3. November 2020, abgerufen am 5. Januar 2021 (english).
- ↑ Oliver D. Doleski: Wie der Übergang zu Utility 4.0 gelingt. In: Springer Professional. 1. Februar 2017, abgerufen am 8. Oktober 2020.
- ↑ Oliver D. Doleski: Utility 4.0 – mehr als eine Worthülse? In: Springer Professional. 23. Mai 2018, abgerufen am 8. Oktober 2020.
- ↑ Oliver D. Doleski: Utility 4.0 – Transformation vom Versorgungs- zum digitalen Energiedienstleistungsunternehmen. Springer Vieweg, Wiesbaden 2016, ISBN 978-3-658-11550-0, S. 15.
- ↑ Daniel Schallmo, Volker Herbort: Roadmap zur digitalen Transformation in der Energiewirtschaft: So gelingt der Wandel vom Versorger zum Utility 4.0-Anbieter. In: Oliver D. Doleski (Hrsg.): Herausforderung Utility 4.0. Springer Vieweg, Wiesbaden 2017, S. 43–68, doi:10.1007/978-3-658-15737-1_3.
- ↑ Oliver D. Doleski: Energieversorgungsunternehmen neu denken: Utility 4.0. In: Oliver D. Doleski (Hrsg.): Realisierung Utility 4.0. Band 1. Springer Vieweg, Wiesbaden 2020, ISBN 978-3-658-25331-8, S. 32.
- ↑ Kevin Smith: Utilities 4.0: the role of digital in customer experience. Medium, 7. September 2018, abgerufen am 5. Januar 2021 (english).
- ↑ Susann Funke: Datenschutz – ein Baustein von Utility 4.0. In: Oliver D. Doleski (Hrsg.): Realisierung Utility 4.0 Band 1. Springer Vieweg, Wiesbaden 2020, S. 301–315, doi:10.1007/978-3-658-25332-5_18.
- ↑ Olaf Terhorst, Marcus Warnke: Die Rolle der IT für die Utilities 4.0. In: Oliver D. Doleski (Hrsg.): Realisierung Utility 4.0 Band 1. Springer Vieweg, Wiesbaden 2020, S. 167–186, doi:10.1007/978-3-658-25332-5_10.
- ↑ Volker Aumann: Recruiting im Zeitalter von Utility 4.0 – Perspektiven für die Energiewirtschaft. In: Oliver D. Doleski (Hrsg.): Realisierung Utility 4.0 Band 1. Springer Vieweg, Wiesbaden 2020, S. 271–285, doi:10.1007/978-3-658-25332-5_16.
- ↑ Sarah Schmitt, Werner Hitschler: Utility 4.0. Digitales Marketing als Katalysator für die interdisziplinäre Zusammenarbeit. In: Oliver D. Doleski (Hrsg.): Realisierung Utility 4.0 Band 2. Springer Vieweg, Wiesbaden 2020, S. 13–26, doi:10.1007/978-3-658-25589-3_2.
- ↑ Lara B. Liboni, Luisa H.B. Liboni, Luciana O. Cezarino: Electric utility 4.0: Trends and challenges towards process safety and environmental protection. In: Institution of Chemical Engineers (Hrsg.): Process Safety and Environmental Protection. July 2018 Auflage. Volume 117. Elsevier B.V., Juni 2018, ISSN 0957-5820, S. 593–605, doi:10.1016/j.psep.2018.05.027 (english).
- ↑ Doleski, O.D.: Utility 4.0 – der Energiesektor auf dem Weg nach Digitalien. In: Wirtschaftsinformatik & Management. Vol. 12, Nr. 4. Springer, Wiesbaden 22. Juni 2020, S. 282–289, doi:10.1365/s35764-020-00268-w.
- ↑ Julius Golovatchev: Digitaler Zwilling für die Realisierung Utility 4.0. In: Oliver D. Doleski (Hrsg.): Realisierung Utility 4.0 Band 2. Springer Vieweg, Wiesbaden 2020, S. 593–609, doi:10.1007/978-3-658-25589-3_42.
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