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Amazonisierung

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Amazonisierung ist ein von Paul Reinbacher in seinem gleichnamigen Buch zur Beschreibung unserer zeitgenössischen (westlichen) Gesellschaft verwendeter Begriff. Letztere lässt sich insofern als eine „Bequemlichkeitsgesellschaft“ bezeichnen, als sie „Convenience“ zu ihrem neuen axialen Prinzip erhebt. Am Beispiel des Online-Versandhändlers Amazon,[1][2] können zahlreiche der damit einhergehenden Entwicklungen in unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft (nicht nur wie bisher bloß eher metaphorisch in der Wirtschaft[3][4][5][6][7][8][9] sondern darüber hinaus auch in der Politik, im Bildungs-, im Sozial- oder im Gesundheitsbereich sowie in den privaten, persönlichen Sphären des Lebens) anschaulich beschrieben werden, weshalb man insgesamt und außerdem analytisch bzw. sogar theoretisch informiert (siehe unten) von einem Phänomen der gesellschaftsweiten „Amazonisierung“ sprechen kann. Während die in den letzten Jahren immer wieder, wenngleich eher kursorisch anzutreffende Verwendung des Begriffs vor allem darauf abzielte, einzelne Auswirkungen des aufstrebenden Online-Versandhandels (wie insbesondere die Verdrängung des lokalen Einzelhandels aufgrund einer Veränderung bzw. Verlagerung des Konsumverhaltens) zu beschreiben, gehen die Entwicklungen mittlerweile weit darüber hinaus.[1]

Hauptaspekte[Bearbeiten]

Die gesellschaftstheoretische Analyse ist unter anderem inspiriert von Diagnosen der McDonaldisierung (George Ritzer).[10] und der Disneyfizierung (Alan Bryman)[11] Wie diese beiden identifiziert auch sie sowohl kurzfristige, angenehme Folgen, allen voran mehr Bequemlichkeit, als auch langfristige, unangenehme (Neben-)Wirkungen wie insbesondere Wertverlust, Zukunftspessimismus und Polarisierung entlang der neuen Differenz von bequem/unbequem. Amazonisierung beruht einerseits auf expliziten, manifesten Prinzipien und andererseits auf impliziten, latenten Mechanismen, die sowohl den Erfolg des bekannten Online-Versandhändlers als auch die Entwicklung der Gesellschaft charakterisieren. Zu den expliziten Prinzipien zählen vor allem die von Amazon-Gründer Jeff Bezos propagierte „customer obsession“ [12] (also „Kundinnen- und Kundenbesessenheit“) sowie in weiterer Folge das unbedingte Streben nach Innovation (inklusive hoher Lern- und Veränderungsbereitschaft oder Frustrations- und Fehlertoleranz), die strategische Langfrist-Orientierung (inklusive eines Verzichts auf kurzfristige Gewinne) und operative Exzellenz (inklusive kontinuierliche Verbesserung der Effektivität und Effizienz interner Strukturen).[13]

Gleichzeitig sensibilisiert das Konzept der „Amazonisierung" für die Ambivalenz gesellschaftlicher Entwicklungen. Damit ist nicht nur gemeint, dass das Leben für manche immer mehr Bequemlichkeit bringt, dies aber mit Unbequemlichkeit für andere (beispielsweise für jene, die in den Versandlagern von Amazon arbeiten) „erkauft“ wird. Darüber hinaus wird das Leben für die meisten sowohl bequemer als auch unbequemer (zum Beispiel, weil neue Technologien zwar die Kommunikation erleichtern, zugleich aber Erwartungen an die Erreichbarkeit und Anforderungen an die Antwortgeschwindigkeit erhöhen). Dies markiert einen Unterschied zu der prominenten und verbreitet rezipierten Diagnose von George Ritzer, die von einer unilinearen und unidirektionalen Entwicklung in Richtung zunehmender Rationalisierung in der Tradition von Max Weber (1864–1920) ausgeht. Entgegen dieser modernen Erzählung werden in einem postmodernen Sinne auch Ambivalenzen, Ambiguitäten und Antinomien akzeptiert bzw. toleriert.

Theoretischer Hintergrund[Bearbeiten]

Das im Alltag empirisch zu beobachtende Phänomen der Amazonisierung in einer Bequemlichkeitsgesellschaft, die "Convenience“ als axiales Prinzip etabliert, kann theoretisch mit den Analysen des US-amerikanischen Soziologen Talcott Parsons (1902–1979) erhellt werden. Jener hat vor einigen Jahrzehnten für die moderne westliche, insbesondere für die US-amerikanische Gesellschaft einen kulturellen Wertewandel beschrieben und diesen in das Begriffspaar von „institutionalized individualism“ und „instrumental activism“ als zunehmend dominantem Muster gefasst.[14] Demzufolge führt eine zunehmend an Dominanz gewinnende individuelle und instrumentelle Rationalität dazu, dass soziale Zusammenhänge heute vorrangig als instrumentelle Mittel zum Zweck der Erreichung individueller Ziele betrachtet werden. Amazonisierung, Bequemlichkeitsgesellschaft und das Streben nach "Convenience" sind Ausdruck ebendieses Sachverhalts: Viele Menschen verstehen sich heute vorrangig als Kundin bzw. Kunde statt beispielsweise in der Politik als Bürgerin bzw. Bürger oder im Bildungswesen als Schülerin bzw. Schüler und Studentin bzw. Student.[15][16]

Darüber hinaus lässt sich mit Georg Simmel (1858–1918) als einem wichtigen Gründervater der deutschsprachigen Soziologie vermuten, dass die immer bequemere Erlangung von vermeintlich wertvollen Erlebnissen an diesen eher vorbeiführt, was wiederum Wertverlust und Zukunftspessimismus befeuert: Wert hat für uns nur etwas, das über einer gewissen Schwelle der Anstrengung liegt und nicht selbstverständlich verfügbar ist (weshalb der Wert einer intakten Umwelt von vielen erst seit ihrer Gefährdung erkannt worden ist).[17] Als Metapher können wir hier an jene Mühelosigkeit denken, mit der man heute auf viele Berggipfel gelangt: Von dort aus das Panorama zu betrachten, ist ohne Zweifel ein schönes Erlebnis, aber doch kaum vergleichbar mit der Erfahrung, den Berg aus eigener Kraft und Schritt für Schritt erklommen, ja, wie man sagt "bezwungen" zu haben, weshalb letztlich auch der Ausblick von einem Gipfel nach einer solchen Besteigung des Berges als „Belohnung“ zu mehr Befriedigung führt, als wenn man mit der Seilbahn an dieselbe Stelle gelangt wäre – und man von dieser aus dann dasselbe mit anderen Augen sieht.[18]

Literatur[Bearbeiten]

  • Paul Reinbacher: Amazonisierung: Beobachtungen der Bequemlichkeitsgesellschaft. Marburg: Metropolis 2024, ISBN 978-3731615712

Weblinks[Bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. Brian Dumaine: Bezonomics. How Amazon is Changing Our Lives, and What the World’s Best Companies are Learning From It. Simon & Schuster, London 2020, ISBN 978-1-982113-64-3.
  2. Brad Stone: The Everything Store: Jeff Bezos and the Age of Amazon. Bantam, London 2013, ISBN 978-0-316-23990-5.
  3. Christiane Benner: Amazonisierung oder Humanisierung der Arbeit durch Crowdsourcing? In: Christiane Benner (Hrsg.): Crowdwork: Zurück in die Zukunft? Bund Verlag, Frankfurt am Main 2015, ISBN 978-3-7663-6395-4.
  4. Thomas Klebe: Crowdwork: Amazonisierung der Arbeit oder Selbstbestimmung mit sozialen Schutzrechten? In: Theodor Tomandl u. a. (Hrsg.): Wie bewältigt das Recht moderne Formen der Arbeit? Manz, Wien 2016, ISBN 978-3-7003-1958-0.
  5. Markus Fost: Die „Amazonisierung“ des Handels. In: Stefan Detscher (Hrsg.): Digitales Management und Marketing: So nutzen Unternehmen die Marktchancen der Digitalisierung. Springer Gabler, Wiesbaden 2021, ISBN 978-3-658-33730-8.
  6. Adrian Hotz & Markus Fost: Die „Amazonisierung“ des Konsums: Game-Changer Amazon. In: Daniel Schallmo u. a. (Hrsg.): Digitale Transformation von Geschäftsmodellen: Grundlagen, Instrumente und Best Practices. Springer, Wiesbaden 2017, ISBN 978-3-658-12388-8.
  7. Von Janine Hilpmann HR: Geburtstag des Online-Händlers: 25 Jahre "Amazonisierung des Konsums". Abgerufen am 5. Juli 2024.
  8. Maria Marquart: Handel 2019: Warum Amazon kleine Läden vernichtet - und retten kann. In: Der Spiegel. 27. Dezember 2018, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 5. Juli 2024]).
  9. Die Angst vor der „Amazonisierung“ - WELT. 19. April 2018, abgerufen am 5. Juli 2024.
  10. George Ritzer: The McDonaldization of Society: An Investigation Into the Changing Character of Contemporary Social Life. Thousand Oaks: Pine Forge 1993.
  11. Alan Bryman: The Disneyization of Society. London: Sage 2004.
  12. Jeff Bezos: Letter to shareholders. Abgerufen am 5. Juli 2024.
  13. Paul Reinbacher: Amazonisierung. ISBN 978-3-7316-1571-2, S. 49 ff.
  14. Talcott Parsons: American Society: A Theory of the Societal Community. Hrsg.: Giuseppe Scortino. Paradigm, Boulder 2007, ISBN 978-1-59451-228-5.
  15. Paul Reinbacher: Leben in der Bequemlichkeitsgesellschaft. Academia Superior: Gesellschaft für Zukunftsforschung, 7. Mai 2024, abgerufen am 5. Juli 2024.
  16. Paul Reinbacher: Bildung der Gesellschaft: Zur Anatomie der Österreichischen Pädagogischen Hochschule. Passagen, Wien 2022, ISBN 978-3-7092-0524-2.
  17. Georg Simmel: Philosophie des Geldes. Duncker & Humblot, Leipzig 1900.
  18. Paul Reinbacher: Amazonisierung. ISBN 978-3-7316-1571-2, S. 26;91.


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