Antikapitalismus
Als Antikapitalismus bezeichnet man Grundhaltungen, die gegenüber kapitalistischen Ideen oder Gesellschaftsordnungen eine fundamental entgegengesetzte Position einnehmen. Er wird hauptsächlich von marxistischen, sozialdemokratischen, frühsozialistischen und anarchistischen Linken vertreten. Daneben gab oder gibt es einen romantischen, konservativ-revolutionären, völkischen und nationalsozialistischen Antikapitalismus. Aus antiextremistischer Perspektive wird zwischen einem anthropomorphen, politischen, sozialen, kulturpessimistischen, zinsfeindlichen und antifaschistischen Antikapitalismus unterschieden[1].
Begriffsbestimmung[Bearbeiten]
Wolfgang Hock bestimmte den Antikapitalismus als „die ökonomische Seite einer generell gegen den demokratischen Liberalismus gerichteten, umfassend ausgebildeten Ideologie“.[2] Karl Marx definierte den Sozialismus als Antikapitalismus im ökonomischen Bereich. Zugleich bedeutet Sozialismus mehr als Antikapitalismus und nicht alles, was antikapitalistisch ist, ist proletarisch. Neben dem sozialistischen Antikapitalismus gibt es auch einen kulturkritischen Antikapitalismus, der die liberale Wirtschaftsordnung als kultur- und naturzerstörerisch begreift, respektive einen Antikapitalismus von rechts. Die rechte Polemik gegen das große Kapital führt jedoch, da sie mit einer prinzipiellen Verteidigung des Privateigentums verknüpft ist, nicht zu sozialistischen Konsequenzen.
Hermann L. Gremliza resümiert: „Antikapitalismus pur kann zu den seltsamsten Ausformungen führen, auf der nationalen Seite zu völkischem Antikapitalismus, Nationalbolschewismus und ähnlichem, auf der Linken zu Proletkult.“[3]
Ein religiöser, christlich motivierter Antikapitalismus findet sich im römisch-katholischen Bereich in der lateinamerikanischen Befreiungstheologie,[4] aber auch in kirchlichen Dokumenten zur katholischen Soziallehre.[5]
Der Marxismus-Leninismus lehnte den Kapitalismus entschieden ab, und propagierte die gewaltsame Revolution zum Sturz des Kapitalismus. Er kritisiert am Kapitalismus die Ausbeutung der Arbeiter durch die Kapitalisten, die Entfremdung der Arbeit, die Anarchie der Produktion, die Verelendung der Arbeiterklasse in Folge der periodischen Wirtschaftskrisen die nach der Marxistische Krisentheorie aus der Grundlage des Kapitalismus dem Privateigentum an Produktionsmitteln entstehen, und die imperialistischen Kriege die gesetzmäßig aus dem Kapitalismus entstehen.
Verhältnis zum Antisemitismus[Bearbeiten]
Insbesondere der frühe Antikapitalismus ging häufig mit Antisemitismus einher, so etwa bei den Frühsozialisten Charles Fourier[6] und Pierre-Joseph Proudhon[7] oder bei dem Anarchisten Michail Bakunin.[8] Nach Ansicht mancher Forscher finden sich auch bei den marxistischen Theoretikern Karl Marx (insbesondere in seiner Schrift Zur Judenfrage von 1843/44)[9] und Franz Mehring antisemitische Klischees;[10] diese Sichtweise ist jedoch umstritten.
Der Marxismus-Leninismus sah Antisemitismus als Waffe der herrschenden Klasse, um vom Klassenkampf abzulenken und Raubkriege zu legitimieren.[11] So schrieb Lenin, dass „die Kapitalisten Feindschaft gegen die Juden schüren, um den Blick des Arbeiters zu trüben, um seine Aufmerksamkeit von dem wirklichen Feind der Werktätigen - vom Kapital - abzulenken“.[12]
In der Völkischen Bewegung des Deutschen Kaiserreichs wurde die Kulturkritik an den Phänomenen der modernen Massengesellschaft regelmäßig in antisemitischer Gestalt formuliert. Der Kapitalismus wurde mit einer angeblichen Weltverschwörung des „Finanzjudentums“ und mit dem antisemitischen Stereotyp des „Wucherers“ assoziiert, der „nordisch-germanischen Menschen“ wesensfremd sei. Die völkische Kapitalismuskritik machte sich insbesondere an dem Phänomen der Warenhäuser fest, deren Konkurrenz dem alten Mittelstand zu schaffen machte.[13]
Ein solcher völkisch-antisemitisch geprägter Antikapitalismus findet sich unter anderem auch im zentralen 25-Punkte-Programm der NSDAP, wo etwa die Brechung der Zinsknechtschaft, die Verstaatlichung der Trusts, die Kommunalisierung der großen Warenhäuser und eine entschädigungslose Enteignung von Grundbesitzern (Bodenreform) gefordert wurde.[14] Auch Joseph Goebbels sah sich anfangs als überzeugter Sozialist und trat unter anderem gemeinsam mit den Brüdern Otto und Gregor Strasser in den Gründungsjahren der NSDAP für die Realisierung eines „völkisch-nationalen Sozialismus“ ein, wandte sich später jedoch von diesen Vorstellungen ab.[15] In einem Zeitungsartikel „Unser Sozialismus“ vom April 1931 definierte Goebbels als Kapitalismus „das Kapital, zum Schaden und Verhängnis des Volkes zu mißbrauchen“, ohne dass der Staat und die verantwortlichen Parteien dagegen einschreiten. Er schrieb: „Diesen Mißbrauch nennen wir Kapitalismus, und ihn wollen wir als Idee mit all ihren macht- und wirtschaftspolitischen Folgerungen beseitigen.“[16] Joachim Petzold sieht darin „ideologische Verrenkungen“ um sich „antikapitalistisch zu drapieren und doch die Interessen des Kapitals zu vertreten“.[17] Für Adolf Hitler spielten antikapitalistische Ideen aber keine Rolle. Vielmehr suchte er nach einem Ausgleich mit bürgerlichen und konservativen Kräften und trat in entschiedene Opposition zum antikapitalistischen Lager.[18] Er propagierte eine Ideologie, gemäß der die sozioökonomischen Probleme seiner Zeit vorwiegend durch Gewinnung von Lebensraum (im Osten) und die Auslöschung der Juden gelöst werden könnten. Schon bald im Laufe der 1920er-Jahre setzte sich Hitler in den parteiinternen Richtungsstreitigkeiten durch.[19] Der antikapitalistisch gesinnte Flügel der NSDAP spielte allmählich keine größere Rolle mehr. Er wurde schließlich nach der von der NS-Führung initierten Säuberungswelle 1934 endgültig bedeutungslos. Auch im NS-Staat spielten antikapitalistische Überlegungen keine besondere Rolle mehr.[20]
Slavoj Žižek warnte im Januar 2020 davor, den gegenwärtigen Antikapitalismus in allen Fällen für nichts anderes als eine versteckte Form des Antisemitismus zu halten.[21]
Siehe auch[Bearbeiten]
- Kapitalismuskritik
- Sozialismus / Kommunismus / Marxismus / Leninismus / Stalinismus / Maoismus
- Nationaler Sozialismus / Kriegssozialismus
- Querfront
Literatur[Bearbeiten]
- Wolfgang Hock: Deutscher Antikapitalismus. Der ideologische Kampf gegen die freie Wirtschaft im Zeichen der großen Krise, Knapp, Frankfurt am Main 1960.
- Michael Barthel und Benjamin Jung: Völkischer Antikapitalismus? Eine Einführung in die Kapitalismuskritik von rechts, Reihe: Unrast transparent. Rechter Rand, Bd. 9, Unrast Verlag, Münster 2013, ISBN 978-3-89771-114-3.
- Ludwig von Mises: Die Wurzeln des Antikapitalismus, Fritz Knapp, Frankfurt am Main 1979 - Original: The Anti-Capitalistic Mentality, D. VAN NOSTRAND, Princeton 1958.
Weblinks[Bearbeiten]
- Wolfgang Fritz Haug: Zur Dialektik des Antikapitalismus (PDF; 364 kB)
- Rainer Hank: Das Geschäft mit dem Geld; Reiche Juden. Antikapitalismus und Antisemitismus gehen seit jeher Hand in Hand.
- Ludwig von Mises: Die Wurzeln des Antikapitalismus - PDF: Die Wurzeln des Antikapitalismus - The Anti-Capitalistic Mentality
Einzelnachweise[Bearbeiten]
- ↑ Fabian Fischer: Die konstruierte Gefahr. Feindbilder im politischen Extremismus. Nomos, Baden-Baden, S. 174 ff.
- ↑ Wolfgang Hock: Hock, Wolfgang (1960): Deutscher Antikapitalismus. Der ideologische Kampf gegen die freie Wirtschaft im Zeichen der großen Krise. Frankfurt 1960, S. 12.
- ↑ Hermann L. Gremliza: Wildcat-Zirkular, Nr. 34/35, März 1997, S. 104–116
- ↑ Winfried Ziegler: Die Befreiungstheologie. Entwurf einer theologischen Ethik (PDF; 83,6 kB). Onlinematerial zum Ethikunterricht, Abruf im Januar 2019.
- ↑ Jorge Bergoglio: Zwischen Himmel und Erde. Jorge Bergoglio im Gespräch mit dem Rabbiner Abraham Skorka. Riemann, München 2013, ISBN 978-3-570-50161-0, S. 184.
- ↑ Paul Morris: Judaism and Capitalism. In: Richard H. Roberts (Hrsg.): Religion and the Transformations of Capitalism. Comparative Approaches. Routledge, London/New York 1995, S. 90; Lisa Moses Leff: Fourier, Charles. In: Richard S. Levy (Hrsg.): Antisemitism. A Historical Encyclopedia of Prejudice and Persecution. ABC-Clio, Berkeley 2005, Bd. 1, S. 238; Annette Schaefgen: Fourier, Charles. In: Wolfgang Benz (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Bd. 2: Personen. De Gruyter, Berlin 2009, ISBN 978-3-598-44159-2, S. 243 (abgerufen über De Gruyter Online).
- ↑ Dominique Trimbur: Proudhon, Pierre-Joseph. In: Wolfgang Benz (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Bd. 2: Personen. De Gruyter, Berlin 2009, ISBN 978-3-598-44159-2, S. 657 f. (abgerufen über De Gruyter Online); Frédéric Krier: Sozialismus für Kleinbürger. Pierre Joseph Proudhon – Wegbereiter des Dritten Reiches. Böhlau, Köln – Weimar – Wien 2009, S. 389 f.
- ↑ Cornelia Schmitz-Berning: Vokabular des Nationalsozialismus. Walter de Gruyter, Berlin/New York 2007, ISBN 978-3-11-092864-8, S. 461 (abgerufen über De Gruyter Online); Klaus von Beyme: Sozialismus. Theorien des Sozialismus, Anarchismus und Kommunismus im Zeitalter der Ideologien 1789–1945. Springer, Wiesbaden 2013, S. 121 f.
- ↑ Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Piper, München 1986, S. 96; Edmund Silberner: Sozialisten zur Judenfrage. Ein Beitrag zur Geschichte des Sozialismus vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis 1914. Colloquium, Verlin 1962, S. 125 ff.; Matthias Vetter: Marx, Karl. In: Wolfgang Benz (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Bd. 2: Personen. De Gruyter, Berlin 2009, ISBN 978-3-598-44159-2, S. 526.
- ↑ Robert S. Wistrich: Anti-capitalism or antisemitism? The case of Franz Mehring. In: Leo Baeck Institute Year Book. 22, 1977, S. 35–51; Götz Aly: Warum die Deutschen? Warum die Juden? Gleichheit, Neid und Rassenhass 1800–1933. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011, S. 127 f
- ↑ Walter Mohrmann: Antisemitismus. Ideologie und Geschichte im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin (Ost) 1972, S. 11.
- ↑ Zit. n. Walter Mohrmann: Antisemitismus. Ideologie und Geschichte im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin (Ost) 1972, S. 16. Vollständiges Zitat unter trend.infopartisan.net.
- ↑ Heike Hoffmann: Völkische Kapitalismus-Kritik: Das Beispiel Warenhaus. In: Uwe Puschner, Walter Schmitz, Justus H. Ulbricht (Hrsg.): Handbuch zur „Völkischen Bewegung“ 1871–1918. Saur, München 1999, ISBN 3-598-11421-4, S. 558–571.
- ↑ Wolfgang Wippermann: Ideologie. In: Wolfgang Benz, Hermann Graml und Hermann Weiß (Hrsg.): Enzyklopädie des Nationalsozialismus. Klett-Cotta, Stuttgart 1997, S. 11 f.
- ↑ Ulrich Höver: Joseph Goebbels. Ein nationaler Sozialist. Bouvier, Bonn 1992, S. 67–81, 88 101.
- ↑ Zit. n. Joachim Petzold: Die Demagogie des Hitlerfaschismus. Berlin 1982, S. 316 f.
- ↑ Petzold: Demagogie. S. 317.
- ↑ Udo Kissenkoetter: Gregor Straßer und die NSDAP; Deutsche Verlags-Anstalt; Stuttgart 1978; ISBN 3421 01881 2
- ↑ Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP), 1920-1923/1925-1945, Historisches Lexikon Bayerns; Zugriff am 22. Juli 2021
- ↑ Wolfgang Wippermann: Der konsequente Wahn. Ideologie und Politik Adolf Hitlers. Bertelsmann Lexikon Verlag, Gütersloh/München 1989, S. 233 ff.
- ↑ der Freitag 2020/02[1]
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