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Nutzungsperspektivische Entwicklung

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Die nutzungsperspektivische Entwicklung (Usage Perspective Development, UPD), beschreibt ein arbeitswissenschaftliches Vorgehen, bei dem die Nutzungsbedarfe bereits zu Beginn von Entwicklungsprozessen analysiert und eingebunden werden und zur Entwicklung innovationsfähiger soziotechnischer Lösungen führen. Hierzu werden die Bedarfe entlang der Nutzungskettengliedern eines technischen Produktes identifiziert und anschließend für die Anforderungen verwendet, die eine IST-Beurteilung und eine SOLL-Definition erlauben.

Entwicklungsansatz [Bearbeiten]

Nutzungszentrierte Entwicklung basiert auf der Annahme, dass die Nutzung von technischen Produkten, Dienstleistungen und Systemen (nachfolgend zusammengefasst Produkt genannt) bereits in den frühen Phasen, dem sogenannten FFE - Fuzzy Front End (Herstatt, Verworn, 2007[1]), der Entwicklung zu berücksichtigen ist, um effektive, effiziente und begeisternde Lösungen zu gestalten.[2]

Bisherige Modelle und Ansätze, wie die Wertschöpfungskette (nach Michael E. Porter) oder Produktentwicklung nach Customer Centricity, User Centered Design oder Design Thinking lassen neben den identifizierten Phasen (Entwicklung, Produktion, Vertrieb & Services, Recycling) bislang die Phase der Nutzung außer Acht. Diese Ansätze betrachten die Entwicklung von Produkten oftmals aus wirtschaftlicher oder ästhetischer Perspektive. Aber vor allem die Gliederung der Nutzung in Teilphasen ist bislang nicht weiter untersucht und spezifiziert worden. Der nutzungsperspektivische Entwicklungsansatz identifiziert entlang der Nutzungsphase die entsprechenden nutzungszentrierten Bedarfe und fokussiert diese im Zuge der Bedarfsdefinition bereits in den frühen Entwicklungsphasen ergänzt von technischen, betriebsinternen und ästhetischen Möglichkeiten, welche weiterhin als Kriterien für Entscheidungsprozesse dienen. Die Phase der Nutzung wird als eigener, essentieller Aspekt definiert und als Prozess in die Wertschöpfungskette integriert.[3]

Nutzungskette im Produktlebenszyklus

Die Nutzungsphasen, auch Nutzungskategorien genannt, beinhalten die einzelnen abgegrenzten Themenbereiche der Verwendung von soziotechnischen Produkten, welche bei einer neuen Konzeption berücksichtigt werden sollen.[4]Der Ansatz bildet die relevanten Akteure und Inhaltbereiche anhand der Interaktion des Nutzers mit den verschiedenen Aspekten des Produktlebens ab. Auf Basis der Nutzungskategorien ergeben sich die relevanten Perspektiven des Produktlebenszyklus. Da die strukturierten Nutzungsprozesse die Ableitung relevanter Nutzungsszenarien ermöglichen, kann der Anforderungskatalog bereits in den frühen Entwickungsphasen umfassend und effizient definiert werden. Durch den Einbezug der Nutzerbedarfe soll vermieden werden, dass Ingenieure fachspezifisch und lediglich aus ihrer Perspektive entwickeln. Ziel ist es, durch die Identifikation und konsequente Berücksichtigung der Nutzerbedarfe in den frühen Entwicklungsphasen die Gebrauchstauglichkeit und Attraktivität des Produktes für den Verbraucher/Endnutzer zu steigern.[5] 

Nutzungskette in den frühen Entwicklungsphasen

Kritik und Abgrenzung[Bearbeiten]

Etablierte Ansätze[Bearbeiten]

Produktentwicklung auf den Kunden anzupassen bedeutet, dass die Kundenbedürfnisse ermittelt und verstanden werden müssen. Gängige Methoden des kundenorientierten Ansatzes (Customer Centricity) sind Kundenbefragungen, Analysen von Verkaufszahlen und Kundenzufriedenheit, wobei diese quantitativ angelegt sind.

Der kundenorientierte Ansatz und die damit verbundenen quantitativen Erhebungen von Kundendaten und Meinungen führen zwar vereinzelt zu Entscheidungshilfen, münden aber fast immer in der Administration von Kundendaten und Kundenbeziehungen, aber selten zu den Bedürfnissen und Ableitungen von neuen nutzenstiftenden Potenzialen für die entsprechende Produktentwicklung.[6]

Die Lead-User Methodik, bei welcher der trendführende Nutzer in die Produktentwicklung miteingebunden werden, stößt vor dem Hintergrund zunehmend komplexer Produkte an ihre Grenzen. Lead-User müssten erst den komplexen Kontext der Entwicklung verstehen, um zu sehen warum etwas wie möglich oder nicht möglich ist. Ferner kommt es zu Verzögerungen der Produkteinführung durch hohen Organisationsaufwand und Bewältigung von Informationsmengen, eine Konzentration auf Nischenlösungen, die für den Massenmarkt nicht geeignet sind oder eine zwanghafte Differenzierung gegenüber der Konkurrenz mithilfe aller möglichen Parameter, wie bspw. Funktion, Optik oder Geschäftsmodell.[7]

Das Design Thinking ist in den letzten Jahren zu einer der bevorzugten prozessualen Methoden in der Produkt- und Dienstleistungsentwicklung von innovativen Unternehmen geworden. Es soll durch kreativitätsfördernde Prinzipien Lösungen hervorbringen, die am Anfang des Entwicklungsprozesses noch nicht fest definiert sind. Unter anderem können der Nutzerfokus, die spezifische Problembetrachtung, Visualisierungen, grundsätzliche Experimentierfreude und Vielfalt im Team als Prinzipien und Grundgedanken der Methode erkannt werden.

Unterschiede[Bearbeiten]

Der Ansatz der nutzungsperspektivischen Entwicklung, also der nutzungszentrierten, multiperspektivischen Produktentwicklung, grenzt sich von bestehenden Ansätzen, wie dem Lead-User-Ansatz, Design Thinking oder Customer Centricity durch folgende Aspekte ab:

Der Ansatz zur nutzungsperspektivische Entwicklung erkennt die Problematik des Lead Users oder der [Diversifikation|vertikalen Diversifizierung]] an, nimmt verschiedene Denkweisen des Design Thinking auf, entwickelt diese weiter und geht abweichend von bisherigen Ansätzen immer von der Nutzung soziotechnischer Produkte aus. Die Produktentwickler sollen durch Trainings, detaillierte Informationen (Marktforschungen, Rollen bzw. Personas und User Journeys) und die interdisziplinäre Zusammenarbeit dafür sensibilisiert werden, wofür und wie die, zu entwickelnde, Lösung genutzt werden soll und diese Nutzung aus möglichst allen relevanten Sichtweisen betrachten. Durch diese Betrachtung wird eine nutzenstiftende Diversität in den frühen Phasen der Produktentwicklung erreicht, die nicht durch Hierarchien und Positionskämpfe beeinflusst wird. Zudem folgt die nutzungsperspektivische Entwicklung einem normativen Prozess im Gegensatz zu Design Thinking, etc. welche ihre Vorgehensweise als einen unverbindlichen Leitfaden ansehen und glauben somit Innovationspotentiale nicht zu beschneiden.[8]

Durch die stringente nutzungszentrierte Aufnahme aller potenziellen Anforderungen aus verschiedenen Perspektiven werden durch Ingenieure die technische Machbarkeit, die Marktakzeptanz und Alleinstellungsmerkmale versucht sicherzustellen. Dabei spielt die Beachtung der einzelnen Nutzungsphasen aus unterschiedlichen Perspektiven eine herausragende Rolle. Diese werden anschließend in Szenarien untergebracht. Es formen sich so rollenbasierte Nutzungsfälle, welche nach Qualitäts- und Quantitätskriterien gewichtet werden. Somit kristallisieren sich sogenannte Hauptnutzungsfälle heraus, die es vor allem zu bedienen gilt, um ein Mindestmaß an Akzeptanz zu gewährleisten. Es gilt alle möglichen Nutzungsfälle, alle Perspektiven und alle Szenarien zu identifizieren, um neben der Marktakzeptanz durch Kombinatorik aller identifizierten Variablen innovative nutzenstiftende Potentiale zu detektieren. Gleichzeitig sollen Anforderungen der Produkte an den Nutzer minimiert werden, um barrierefreie und niedrigschwellige Lösungen zu schaffen.[9]

Der nutzungsperspektivische Entwicklungsansatz geht davon aus, dass durch die Ableitung aller relevanten Anforderungen und nutzungsstiftenden Potenzialen auch das Geschäftsmodell bereits in den frühen Phasen mitgestaltet wird.[10] 

Anwendung in der Praxis[Bearbeiten]

Anhand des nutzungsperspektivischen Entwicklungsansatzes können die Anforderungen aus dem Kontext der Nutzung definiert werden. So ergibt sich ein umfassender Anforderungskatalog, der als Leitfaden bzw. Referenzquelle sowohl bei der Konzeption als auch bei Entscheidungsprozessen im weiteren Verlauf der Entwicklung dient. Der Ansatz ist für die Anwendung bei der Entwicklung von Produkten, Systemen als auch von Dienstleistungen konzipiert.[11]

Proof of Concept - Elektromobilitätsdienstleistungen[Bearbeiten]

Mit dem Ziel ein Vorgehen zu entwickeln, dass eine Allgemeingültigkeit für die Produktentwicklung besitzt, wurden Nutzungsphasen im Kontext Elektromobilität aufgestellt, generalisiert und überprüft. Es wurde eine empirische Studie mit Nutzern von Elektromobilen durchgeführt anhand derer die Nutzungsphasen mit einem deduktiv-nomologischen Modell hypothetisch definiert und mithilfe nutzungsorientierter Entwicklungsprojekte, Fokusgruppen etc. validiert wurden.[12]

Ziel[Bearbeiten]

Der Ansatz soll es Entwicklern ermöglichen, Bedarfe zuverlässig und wiederholbar zu definieren und nutzenstiftende Potenziale zu identifizieren. Dadurch soll eine neue Perspektive auf die Entwicklung von gebrauchstauglichen und sinnvollen Produktlösungen eröffnet werden, um eine Entwicklung aus reiner betriebsinterner und/oder fachspezifischer Sicht zu vermeiden. Das Ziel ist die Entwicklung von Produkten mit gesteigerter Gebrauchstauglichkeit (eng. Usability) sowie die Umsetzung effizienterer Entwicklungsprozesse.[13]

Einsatz im Lehrkontext[Bearbeiten]

In zukünftigen Arbeitsschritten soll auf Basis des nutzungsperspektivischen Entwicklungsansatzes ein neuartiges Lehrkonzept entstehen. Ziel ist die Ausbildung zu einem Innovateur, welcher Inventionen und Innovationen gemäß nutzungszentrierter und marktrelevanter Kriterien interdisziplinär neu- und weiterentwickeln, als auch bewerten kann.[14]

Siehe auch[Bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. Birgit Verworn, Cornelius Herstatt, C.: Prozessgestaltung der frühen Phasen. In: Management der frühen Innovationsphasen. Gabler Verlag, Wiesbaden 2003, S. 195–214.
  2. Sigmund Schimanski: Usage Perspective Development Approach in the Fuzzy Front End. In: Tareq Ahram, Waldemar Karwowski (Hrsg.):Advances in Human Factors, Software, and Systems Engineering. Proceedings of the AHFE 2017 International Conference on Human Factors, Software, and Systems Engineering, July 17-21, 2017, The Westin Bonaventure Hotel, Los Angeles, California, USA. Springer, Cham 2018.
  3. Sigmund Schimanski: Derivation of Mobility Services Through the Usage-Centered Development Approach. In: Masaaki Kurosu (Hrsg.): Human-Computer Interaction. Interaction Contexts. 19th International Conference, HCI International 2017, Vancouver, BC, Canada, July 9-14, 2017, Proceedings, Part II. Springer, Cham 2017, S. 700-701.
  4. Sigmund Schimanski: Usage Phases in the Development of Product Systems Exemplified by a Route Recommendation Scheme for Cyclists. In: Masaaki Kuroso (Hrsg.): Human-Computer Interaction. Novel User Experiences. HCI 2016. Lecture Notes in Computer Science. 18th International Conference, HCI International 2016, Toronto, ON, Canada, July 17-22, 2016. Proceedings, Part III. Springer, Cham 2016, S. 331.
  5. Sigmund Schimanski: Usage Perspective Development Approach in the Fuzzy Front End. In: Tareq Ahram, Waldemar Karwowski (Hrsg.):Advances in Human Factors, Software, and Systems Engineering. Proceedings of the AHFE 2017 International Conference on Human Factors, Software, and Systems Engineering, July 17-21, 2017, The Westin Bonaventure Hotel, Los Angeles, California, USA. Springer, Cham 2018, S. 3-4.
  6. Horst Wildemann: Enable. Weniger ist mehr. In: Financial Times Deutschland. Nr. 7, 2005.
  7. Eric von Hippel: Lead Users. A Source of novel product concepts. In: Management Science. Vol. 32, 1986, S. 791–805.
  8. Leonard Bruce Archer: Whatever Became of Design Methodology? In: Design Studies. 1.1, 1979, S. 17–20.
  9. Sigmund Schimanski: Usage Perspective Development Approach in the Fuzzy Front End. In: Tareq Ahram, Waldemar Karwowski (Hrsg.):Advances in Human Factors, Software, and Systems Engineering. Proceedings of the AHFE 2017 International Conference on Human Factors, Software, and Systems Engineering, July 17-21, 2017, The Westin Bonaventure Hotel, Los Angeles, California, USA. Springer, Cham 2018, S. 11-14.
  10. Sigmund Schimanski: Derivation of Mobility Services Through the Usage-Centered Development Approach. In: Masaaki Kurosu (Hrsg.): Human-Computer Interaction. Interaction Contexts. 19th International Conference, HCI International 2017, Vancouver, BC, Canada, July 9-14, 2017, Proceedings, Part II. Springer, Cham 2017, S.710.
  11. Sigmund Schimanski: Usage Perspective Development Approach in the Fuzzy Front End. In: Tareq  Ahram, Waldemar Karwowski (Hrsg.): Advances in Human Factors, Software, and Systems Engineering. Proceedings of the AHFE 2017 International Conference on Human Factors, Software, and Systems Engineering, July 17-21, 2017, The Westin Bonaventure Hotel, Los Angeles, California, USA. Springer, Cham 2018, S.6.
  12. Sigmund Schimanski: Usage Perspective Development Approach in the Fuzzy Front End. In: Tareq  Ahram, Waldemar Karwowski (Hrsg.): Advances in Human Factors, Software, and Systems Engineering. Proceedings of the AHFE 2017 International Conference on Human Factors, Software, and Systems Engineering, July 17-21, 2017, The Westin Bonaventure Hotel, Los Angeles, California, USA. Springer, Cham 2018, S.6.
  13. Sigmund Schimanski: Usage Perspective Development Approach in the Fuzzy Front End. In: Tareq  Ahram, Waldemar Karwowski (Hrsg.): Advances in Human Factors, Software, and Systems Engineering. Proceedings of the AHFE 2017 International Conference on Human Factors, Software, and Systems Engineering, July 17-21, 2017, The Westin Bonaventure Hotel, Los Angeles, California, USA. Springer, Cham 2018, S. 13-14.
  14. Sigmund Schimanski: Derivation of Mobility Services Through the Usage-Centered Development Approach. In: Masaaki Kurosu (Hrsg.): Human-Computer Interaction. Interaction Contexts. 19th International Conference, HCI International 2017, Vancouver, BC, Canada, July 9-14, 2017, Proceedings, Part II. Springer, Cham 2017, S. 710-711.


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