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One Standard German Axiom

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Abb. 1: Visualisierung des One Standard German Axioms (nach Dollinger 2021: Abb. 2.4)

Der Begriff One Standard German Axiom tritt erstmals auf in dem Buch The Pluricentricity Debate: On Austrian German and Other Germanic Standard Varieties des österreichisch-kanadischen Linguisten Stefan Dollinger. Das One Standard German Axiom, gelegentlich als „Axiom des Einheitsdeutschen“ übersetzt,[1] beschreibt die Tendenz in der akademischen Germanistik, die nationalen Standardvarietäten der deutschen Sprache jenseits des Bundesdeutschen zu vernachlässigen oder gar zu negieren (visualisiert in Abb. 1. Abb. 2 hingegen zeigt die plurizentrische Sichtweise mit mehreren, überlappenden Standardvarietäten). Bisher wurde der Terminus One Standard German Axiom vor allem rund ums Österreichische Standarddeutsch verwendet.

Entstehung[Bearbeiten]

Abb. 2: Visualisierung der Plurizentrik des Deutschen, hier mit drei Standardvarietäten (Bezugspunkten) (nach Dollinger 2021: Abb. 2.3)

Im Feuilleton gibt es spätestens seit den 1950er-Jahren eine Debatte um die Relevanz und Realität weiterer Standardvarietäten des Deutschen, neben dem seit den 1770er-Jahren kodifizierten Einheitsdeutsch, das auf Ostmitteldeutsch und Luthers Einfluss zurück geht und von Maria Theresia auch in Österreich gegen den lokalen Standard (Gemeindeutsch) eingeführt wurde. Die öffentliche Diskussion in the 1950ern und 1960ern war größtenteils negativ gegenüber neueren Standards. Es wurde, z. B. im Nachrichtenmagazin Der Spiegel spöttisch von „Österreichs Spracherneuerern“ und deren „Feldzug gegen die ‚Überfremdung‘ der österreichischen Sprache durch die deutsche“[2] gesprochen. Das österreichische Standarddeutsch (oft als Eigenname Österreichisches Standarddeutsch) nimmt damit seit jeher in der Diskussion um Standards des Deutschen eine spezielle Rolle ein, als erste neuere Standardvarietät und damit jene, die die Akzeptanz für jüngere Standards des Deutschen generell zu erreichen hat.

Im Zusammenhang einer nach wie vor fehlenden, generellen Anerkennung des österreichischen Standarddeutsch in der germanistischen Dialektologie als wichtigster Bezugsgröße für Österreich, erwähnt Dollinger den Terminus One Standard German Axiom, oder auch nur One Standard Axiom. Während die akademische Germanistik heute in aller Regel nicht mehr, wie in den 1990ern, ein Österreichisches Deutsch explizit verneint, wird es, so der Vorwurf der Kritiker, als unbedeutende Größe invisibilisiert.[3] Dollinger bezeichnet, aufbauend auf einer Argumentation des Germanisten Martin Durrell, dieses Phänomen als das One Standard German Axiom. Durrell argumentiert, dass der Name „Deutsch“ irreführend sei. Er schreibt, dass:

„myths established by earlier linguistic historiography about the relationship of the Germans, their name and their language are immensely powerful and persist in popular imagination.“

Martin Durrell[4]

Nach dieser historiographischen Verklärung des Deutschen würde das einzig „richtige“ Deutsch demnach nur in Deutschland von Deutschen (Norddeutschen) gesprochen. Dollinger setzt die Diskussion mit dem folgenden Text fort, womit er das Konzept, das schon in den Debatten der 1980er- und 1990er-Jahren zentral war, benennt:

„Given the continued appeal of the idea of one Standard German German, a German that ties all German speakers together, the One Standard German Axiom can be seen as an unreflected political concept underpinning linguistic approaches that negate the existence of Standard Austrian German.“

Stefan Dollinger[5]

Falls das One Standard German Axiom eine korrekte Beobachtung darstellt, würde es bedeuten, dass die germanistische Dialektologie hegemoniale Tendenzen als Resultat ihrer Ausrichtung auf den ostmitteldeutschen Standard als einziger zulässiger Bezugsgröße darstellt. Es wäre damit ein Akt des undeklarierten „language making“, in diesem Fall „language unmaking“,[6] der Verhinderung neuerer Standards.

Rudolf Muhr, Ruth Wodak, Rudolf de Cillia, Richard Schrodt und andere österreichische Linguistinnen und Linguisten treten seit den 1990ern entschieden gegen das One Standard German Axiom auf, das besonders klar auch von Hermann Scheuringer vertretenen wird (siehe Abschnitt „Vorgängerdebatten“) und dem traditionellen Standpunkt der akademischen Germanistik seit jeher mehr oder weniger entspricht.[7] Laut Muhr gibt es seit ungefähr 2010 eine neu agierende Forschergeneration,[8] die jedoch nicht mehr zum „österreichischen Deutsch“, sondern zu „Deutsch in Österreich“ forscht.[9] Seit diesem Zeitpunkt gibt es weitere Zweifel um die Akzeptanz der österreichischen Standardvarietät in der akademischen Dialektologie.[8] Es ist dieser Umstand, den das One Standard German Axiom bezeichnet.

Wissenschaftsrezeption[Bearbeiten]

In der Wissenschaft gibt es in der Germanistik bis 2023 mehrheitlich Skeptiker, doch mit Ausnahmen. Germanistin Julia Ruck kann dem Begriff des One Standard German Axiom einiges abgewinnen,[10] ebenso der Germanist Hermann Möcker,[11] während der Germanist Nils Langer in einer überaus scharfen Rezension[12] kein gutes Haar an Konzept und Buch lässt. Langer bezeichnet das One Standard German Axiom als gänzlich unzutreffend und unmöglich, da es „dem Geist solcher [germanistischer] Forschung widerspr[icht“][12] (siehe Germanistikstreit bei Österreichisches Deutsch). Andererseits sieht Ruck durch „theoretische Fundierung“ und „internationale theoretische Verortung zahlreiche überzeugende Argumente“[10] für die Existenz eines One Standard German Axioms. Sie sieht Dollingers „Kritik am Deutschen“ darin begründet, dass „Pluriareale Linguist*innen … von einer einzigen deutschen Standardvarietät aus[gingen“, was das One Standard German Axiom konstituiert, „welches er [Dollinger] mindestens ebenso politisch motiviert sieht als die Plurizentrik deutscher Standardvarietäten“[10]. In einer Rezension des deutschen Buches zum Thema äußert sich die Historikerin Anneliese Rieger positiv zur Diagnose eines One Standard German Axiom in der deutschen Dialektologie, da der Ansatz „auch methodische Überlegungen, zur Frage der Perspektive beim Betreiben der Germanistik und hier insbesondere dem Standardisieren zu bieten“[13] hat. Möcker ist weiters im Sinne des Axioms der Meinung, dass der derzeitige germanistische Blick „größere Zusammenhänge konstruieren" will und der "Einfluss der Staatlichkeit aufs österreichische Deutsch … geleugnet bzw. beseitigt werden“ (S. 9) soll.[11]

De Cillia and Ransmayr betrachten das One Standard German Axiom als eine "relativ scharf[e]" Form der Kritik an der gegenwärtigen Dialektologie des Deutschen.[14] Mireille & Savedra (2023) urteilen von ihrer plurizentrischen brasilianischen Perspektive über ein Lehrbuch zu Deutsch an der Uni in Rio de Janeiro: "Although the teaching material claims to address the diversity of the German language, it still reflects a monocentric view since Standard German German appears in the textbook as the unmarked standard", i.e. a book based on the unwritten Axiom of one standard German.[15]

Aufseiten der Kritiker steht wohl Peter Auer, der die anti-plurizentrische Schichtweise, die das One Standard German Axiom bezeichnet, ansieht als „disregarding these ideological processes of blowing-up [features] and shrinking [other features], which is in line with usage-based premises“.[16] Alexandra Lenz und weitere Germanisten in ihrem Umfeld bestätigen, dass die "Bezeichnung und das Konstrukt eines „One Standard German Axiom“ … von Dollinger (2019)" stammen, aber lehnen den Begriff energisch als nicht zutreffend für ihre eigenen Arbeiten ab ("dass ein solches Axiom nicht – wie Dollinger es darstellt – der sprachpolitischen Grundhaltung und wissenschaftlichen Überzeugung" ihrer Arbeiten entspricht).[17]

In einer Klarstellung weist Dollinger darauf folgend hin, dass es sich beim One Standard German Axiom um keine persönlichen Standpunktentscheidungen geht, sondern um eine strukturelle Grundhaltung ("issues of "bias" that are "structural") des Wissenschaftszuganges, die mit dem "Fahrwasser" der deutschen Dialektologie mitgeliefert wird. Mit dem Resultat "that critical observations regarding the status of Austrian German have been stifled by disciplinary assumptions within German dialectology".[18] Im Wesentlichen scheint die Debatte um das One Standard German Axiom eine nun fokussierte Fortführung eines Germanistenstreites zwischen eher nationalen (Plurizentrik) und eher großdeutschen (Monozentrik) Ausrichtungen zu sein, wie es sie spätestens seit der Publikation des Österreichischen Wörterbuches (ÖWB) im Jahre 1951 gibt.[19] Ein wesentliches Anliegen Dollingers scheint es zu sein, historische Daten auf großdeutsche bzw. deutschnationale Verzerrungen historisch-komissionell untersuchen zu lassen, wie ein Vortragsvideo bestätigt.[20] Dieses Vorgehen würde im Prinzip auf beinahe alle historische Projekte der germanistischen Sprachwissenschaft zutreffen. So zum Beispiel gilt das für das Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich, das von den 1930er bis zu den 1970ern vom (ehemaligen) Nazi-Philologen Eberhard Kranzmayer beeinflusst und geführt wurde, oder den Deutschen Sprachatlas, der von Unterzeichnern (Wrede, Mitzka) des Bekenntnis der deutschen Professoren zu Adolf Hitler bis weit in die Zeit der BRD geführt wurde.

Rezeption außerhalb der Germanistik[Bearbeiten]

Außerhalb der Germanistik wurde das One Standard German Axiom in der Kodifizierung von Katalanisch von Joan Costa-Carreras aufgegriffen und in Bezug auf den traditionellen katalanischen im Vergleich zum neueren Valencianischen Standard angewandt.[21] Costa Carreras nimmt demnach das One Standard Axiom als Kernstück ihrer Kritik auf, "presented and defined following Dollinger (2019), who discusses its epistemological foundation and criticises its social implications and ideological assumptions" (S. 183).[21] Sie wendet den Terminus auf die Situation im Baskenland in einer Vergleichsanalyse der zwei Institute zur Erforschung des Katalanischen und kreiert, nach einer "summary of Dollinger’s (see “Pluri-areality, in the “Background” Section) discussion", das "One Standard Catalan Axiom" und das "One Standard Valencian Axiom" in folgender Zusammenfassung:

„Both the IEC’s [Institut d’Estudis Catalans] and the AVL’s [Acadèmia Valenciana de la Llengua] texts are explicitly based on the “One Standard Axiom”: the former applies the “One Standard Catalan Axiom”, the latter the “One Standard Valencian Axiom”.“

Joan Costa Carreras: History of Catalonia and Its Implications for Contemporary Nationalism and Cultural Conflict[22]

Sie kommt zum Schluss, dass beide Institutionen, IEC sowohl als auch AVL, mit einem “One Standard Axiom” operieren.

Ruck fasst die Debatte um das One Standard German Axiom weiter und vergleicht es mit dem Englischen Englisch. Sie befindet, dass "Dollinger's concerns echo Milroy and Milroy's (1999) arguments for expanding the descriptive paradigm of linguistics with explorations of prescription, which they consider an integral part of language and its use".[23] Rieger beklagt in Dollingers Arbeiten ein Fehlen von "Referenzen zum irischen Englisch, die für das Verhältnis einer kleineren Standardvarietät gegenüber der dominanteren innerhalb Europas für die Konstellation des österreichischen Deutsch Anknüpfungspunkte geliefert hätten".[24]

Öffentliche Publikumsdebatte[Bearbeiten]

Die These des One Standard German Axiom findet Widerhall in der österreichischen Medienlandschaft, wo die Debatte unter anderen Vorzeichen als im Wissenschaftsbetrieb, mit weitgehend positivem Medienecho, ausgetragen wird. Früh brachte Ö1 einen Beitrag im Mittagsjournal (Eva Obermüller, 25 Oktober 2019, "Österreichisches Deutsch") basierend auf dem englischen Buch[5]. Das deutsche Buch[25] wurde, u.a., besprochen im Standard (Alois Pumhösel, 12. Oktober 2020 "Sprachforscher: Österreichisches Deutsch sollte man feiern!"; Alois Pumhösel, 11. Mai 2021, Forschung Spezial S. 12 "Ist Österreichisch eine eigene Sprache?"), der Presse (Erich Kocina, 31. März 2021, S. 14, "Mut zum Österreichischen", Veronika Schmidt, 15 Mai 2021, S. W3, "Wie die Sprache nicht in einem Einheitsdeutsch endet"), im Kurier (Laila Docekal, "Linguist Dollinger: Schickts den Duden nach Deutschland" 22. September 2022) und in der Wiener Zeitung. In der letztgenannten Zeitung bietet Robert Sedlaczek, selbst namhafter Sachbuchautor zum Österreichischen Deutsch, folgende Einschätzung zur Bedrohung des österreichischen Standards, in weitgehender Übereinstimmung mit dem One Standard German Axiom an:

„Ich greife ein Thema heraus, das laut Dollinger zeigt, wie das Konzept der Plurizentrik und damit das österreichische Deutsch in Frage gestellt wird - nicht aus Versehen, sondern mit Absicht. Einige deutsche Germanisten, die inzwischen in Österreich Lehrstühle besetzen, arbeiten an dem Spezialforschungsbereich "Deutsch in Österreich" - es wird mit sechs Millionen Euro vom österreichischen Wissenschaftsfonds finanziert. Dollinger zeigt anhand von Zitaten aus früheren Arbeiten der vorwiegend deutschen Projektbetreiber, dass sie das Konzept "österreichisches [Standard] Deutsch" ablehnen und stattdessen die regionalen Besonderheiten innerhalb des deutschen Sprachraums in den Vordergrund rücken - nicht aus Böswilligkeit, "sondern weil deren Sozialisation und Ausbildung" dem Konzept einer nationalen Varietät entgegensteht.“

Robert Sedlaczek: Wiener Zeitung, 27. April 2021[26]

Eine Replik auf Sedlaczeks Besprechung[27] folgte von Peter Wiesinger, emeritierter Professor für Deutsche Sprache an der Universität Wien, der Dollingers Sachbuch als „salopp polemisch“ bezeichnet und die Ursachen für die Zurückdrängung des österreichischen Standards keinesfalls in der Germanistik sieht, sondern in den "verschiedenen Auswirkungen der Globalisierung mit verstärkter Mobilität und ausgeweiteter Kommunikation durch die verschiedenen Audio-, Print- und elektronischen Medien".[28]

Die Frage der "Germanisierung" der österreichischen Germanistik, die Sedlaczek herausstrich, spielt immer wieder in den Themenbereich um Standardvarietäten des Deutschen hinein. Literaturwissenschafter Klaus Zeyringer publizierte im Jänner 2020 in der Kleinen Zeitung einen Essay unter dem Titel "Die zunehmende Germanisierung" an Österreichs Universitäten, in dem er den Aspekt der Sozialisierung in der BRD, wo "Nation" nur negativ behaftet war, als Grund für differente Betrachtungen zu den Standards des Deutschen anführt.[29] Schon im Jahr 2015 erhob Rudolf Muhr u. a. ähnliche öffentliche Vorwürfe[30] in Bezug auf die Mittelvergabe an den Sonderforschungsbereich Deutsch in Österreich, die von der Vergabeinstitution[31] und der Rektorin der Uni Graz verneint wurden.[32] Obwohl Muhrs Einwurf im Bereich Begutachtung inkorrekt war (diese war sehr wohl international), sind die restlichen Aspekte seiner Kritik (Ignorieren von 35 Jahren Forschung zum Österreichischen Deutsch & Fokus auf Dialekte unter Rücknahme der Standardvarietäten) mit dem One Standard German Axiom erklärbar. So meint Muhr:

„Die massive Ausrichtung [des SfB Deutsch in Österreich] an dialektologischen Fragestellungen zeigt, dass hier mit einem Sprach- und Gesellschaftsmodell des 19.Jahrhunderts gearbeitet wird, das durch gesellschaftliche Entwicklungen längst überholt ist.“

Rudolf Muhr: Die Presse[33]

Ein Vorwurf, der im Rahmen der methodischen Kritik des One Standard German Axioms auch anderweitig erhoben wurde. So findet auch Dollinger, "Dass viele der vermeintlichen österreichischen Standardformen in der Germanistik lediglich als Dialektausdrücke betrachtet werden".[34] Die kritisierte Forschergruppe rund um Alexandra N. Lenz stritt die Vorwürfe energisch ab und kommentierte:

„Zu den vielfältigen und differenzierten Forschungspositionen des SFB-Teams „Deutsch in Österreich. Variation – Kontakt – Perzeption“ seiner insgesamt 32 Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeiter, darunter insgesamt 27 Prae- & Postdocs und 5 ProfessorInnen, sowie seiner 31 kooptierten und assoziierten ExpertInnen aus dem In- und Ausland sei auf die Webseite des SFB verwiesen ... .“

Alexandra N. Lenz et al.: dioe.at[35]

Die Vorwürfe, falls korrekt, wiegen schwer. Da die Verteidigung des Status Quo in der deutschen Dialektologie ebenso energisch durchgeführt wird, erscheinen die Fronten allerdings verhärtet.

Detaillierte Buchbesprechungen und Autoreninterviews, die das One Standard German Axiom weiter kontextualisieren, sind unter anderem verfügbar auf Ö1 (mit Wolfgang Ritschl, Kontext, 9. April 2021)[36], auf Puls 4 (mit Bianca Schwarzjirg, Frühstücksfernsehen, 18. Mai 2021),[37] in der Verlagsbuchpräsentation von new academic press (18. Mai 2021)[38] und auf ORF Online (Eva Obermüller, 26. Oktober 2019, „Was Sprache mit Identität zu tun hat“)[39]. Eine Publikumsdiskussion über das One Standard Axiom aus Anlass der 44. Auflage des Österreichischen Wörterbuches fand im Wiener OFF-Theater mit Chefredakteurin Christiane Pabst und Stefan Dollinger am 26. April 2022 statt.[40]

Vorgängerdebatten[Bearbeiten]

Man kann das One Standard German Axiom als eine Grundannahme der traditionellen Germanistik betrachten, einer Art Grundannahme der Gründungsväter Grimm und anderer. Was um 1800 völlig natürlich war – nur ein Standard in einem zusammenwachsenden Großdeutschland – entwickelte sich ab der kleindeutschen Lösung 1866/71 zum „Problem der nationalen Varietäten des Deutschen“.[41]

Debatte ums Österreichische Wörterbuch

Dieses Problem machte sich massiv erst nach der Publikation des ÖWB im Dezember 1951 bemerkbar. So berichtete Hauptherausgeber Albert Krassnigg über Stimmen, die dieses, die österreichische Standardvarietät legitimierende Wörterbuch, als "ein gänzlich überflüssiges, zeitbedingtes, feindseliges Unternehmen gegen die Sache des Gesamtdeutschtums"[42] betrachteten. In den frühen 1980ern wurde, aufgrund der ersten wesentlichen Erweiterung des ÖWBs, erstmals die Opposition zwischen akademischer Germanistik und jüngeren Germanistikstudenten dokumentiert, was sich in größtenteils negativen Einschätzungen von führenden Vertretern bemerkbar machte (z. B. durch Peter Wiesinger[43]). Der damalige Student der Germanistik Rudolf Muhr trat die Verteidigung der österreichischen Norm im ÖWB an, die eine Methodenkritik an Wiesingers Studie inkludierte, die auch heute noch lesenswert ist.[44] Möcker schreibt dazu, dass das ÖWB "das Produkt engagierter Schulmänner und Ministerialbeamter" war, "bei Abseitsstehen der etablierten Germanistik",[11] was bis heute im Wesentlichen so geblieben ist (S. 175).[1] Seit 2007 wird das ÖWB durch die Aussprachedatenbank des Österreichischen Deutsch als Binnenkodex des österreichischen Standarddeutsch komplettiert.

Grazer Tagung zum Österreichischen Deutsch 1995

Eine wichtige Tagung wurde in Graz von Rudolf Muhr und Richard Schrodt mit Billigung des Wiener Lehrstuhlinhabers Peter Wiesinger durchgeführt. Es entstand daraus der Tagungsband Österreichisches Deutsch: Linguistische, sozialpsychologische und sprachpolitische Aspekte einer nationalen Variante des Deutschen,[45] der ein unverzichtbarer Teil der Literatur geworden ist. In diesem frühen Text bezeichnet Rudolf Muhr das Bedürfnis mancher Sprecher nach lediglich einem Standard als "Dogma vom 'guten und einheitlichen 'Hoch'deutschen",[46] was dem One Standard German Axiom im wesentlichen entspricht.

Scheuringer-Muhr Debatte

In den 1990ern entbrannte ein besonders erbitterter Disput um die Plurizentrik im österreichischen Standarddeutsch. Damals waren auf der Plurizentrik-Seite der Grazer Germanist Rudolf Muhr[47] der Hauptautor, auf der Anti-Plurizentrik-Seite der Wiener, später Regensburger, Germanist Hermann Scheuringer[25]. Hierbei vertritt Scheuringer eine eher großdeutsche Ausrichtung, nachdem er bis 1985 noch schrieb: "an Austrian variety of standard German is generally accepted”.[48] Ab 1990 hieß es dann aber: Man habe in mehr als fünfzig Jahren [von 1945 bis 1996, Jahr der Publikation] „offizieller Geschichtsverfälschung“ das „Kind mit dem Bad ausgeschüttet, nämlich Österreichs Geschichte in und mit Deutschland im Jahrtausend davor“ verdrängt.[49] Muhr zeigt diese "tausendjährige" Rückbesinnung auf.[50] Diese Scheuringer-Muhr Debatte enthält im Kern bereits alle wesentlichen Streitpunkte, die hinter dem One Standard German Axiom stehen.

Literatur[Bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. 1,0 1,1 Stefan Dollinger: Österreichisches Deutsch oder Deutsch in Österreich? Identitäten im 21. Jahrhundert. In: S. 173. 2021, abgerufen am 6. Juni 2023.
  2. Redaktion: Der Spiegel. Nr. 25, 1962, S. 62 (nid-library.com).
  3. Rudolf Muhr: Eine kurze politische Geschichte des Österreichischen Deutsch. In: Thomas Walter Köhler, Christian Mertens & Anton Pelinka (Hrsg.): Ein Hauch von Welt: Österreich vor und nach Saint Germain. Braumüller, Wien 2020, S. 499–524.
  4. Martin Durrell: Deutsch: Teutons, Germans or Dutch? The problems of defining a nation. In: Geraldine Horan, Nils Langer & Sheila Watts (Hrsg.): Landmarks in the History of the German Language. Lang, Oxford 2009, S. 183.
  5. 5,0 5,1 Stefan Dollinger: The Pluricentricity Debate: on Austrian German and Other Germanic Standard Varieties. Routledge, Abingdon 2019, S. 14.
  6. Philipp Krämer, Leena Kolehmainen & Ulrike Vogl: What is language making? In: International Journal for the Sociology of Language. Nr. 274, S. 1–27.
  7. Stefan Dollinger: Österreichisches Deutsch oder Deutsch in Österreich? Identitäten im 21. Jahrhundert. In: Seiten 145-151. 2021, abgerufen am 6. Juni 2023.
  8. 8,0 8,1 Rudolf Muhr: Pluriareality in sociolinguistics: A comprehensive overview of key ideas and a critique of linguistic data used. 2020, S. 10, abgerufen am 8. Juni 2023 (The paper is the second downloadable link from the top): „Stephan Elspaß, professor of German linguistics at the Univeristy of Salzburg (Austria) held a key note at the International Conference … in Münster (08.02.2019) where he entirely abandoned the idea that German was a pluricentric language (PCL) ... In the ensuing discussion of his key note he was then asked by one of the conference organizers whether he believed that there was "no Austrian German at all"? In reply, Elspaß made a dismissive gesture and said: "I would not know where that would be!" (referring to his maps of linguistic variation)“
  9. Stefan Dollinger: Österreichisches Deutsch oder Deutsch in Österreich? Identitäten im 21. Jahrhundert. 2021, S. 161, abgerufen am 8. Juni 2023: „Die Umbenennung und Herabstufung von 'Österreichischem Deutsch' – als „eigenständigen Typus“ des Deutschen – zu ‚Deutsch in Österreich‘ – „ohne jeglichen Eigencharakter“ [Einstufungen von Edgar Schneiders Dynamic Model, 2003 & 2007] – wurde mit der neuen Generation von Forscher*innen aus Deutschland durchgeführt.“
  10. 10,0 10,1 10,2 Julia Ruck: Rezension von Dollinger Stefan: The Pluricentricity Debate. In: ÖDaF-Mitteilungen: Fachzeitschrift für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. 2021. Auflage. Band 37, Nr. 1, 2021, S. 150–153 (academia.edu).
  11. 11,0 11,1 11,2 Hermann Möcker: Rezension von Stefan Dollinger, Österreichisches Deutsch oder Deutsch in Österreich? In: Österreich in Geschichte, Literatur, Geographie. Nr. 66, S. 4–11 (academia.edu).
  12. 12,0 12,1 Nils Langer: Rezension von Dollinger (2019). 2021, abgerufen am 7. Juni 2023.
  13. Anneliese Rieger: Rezension: Österreichisches Deutsch oder Deutsch in Österreich? Identitäten im 21. Jahrhundert von Stefan Dollinger. In: Medienimpulse. Band 59, Nr. 3, S. 3 (doaj.org).
  14. Rudolf de Cillia und Jutta Ransmayr: Österreichisches Deutsch macht Schule. In: Wien: Böhlau. 2019, abgerufen am 7. Juni 2023 (S. 40).
  15. Camila Meirelles & Mónica Sabedora: German as a Pluricentricity language in teacher education at the Universities of Rio de Janeiro. In: Marcus Callies & Stefanie Hehner (Hrsg.): Pluricentric Languages and Language Education Pedagogical Implications and Innovative Approaches to Language Teaching. Routledge, Abingdon 2023, S. 157.
  16. Peter Auer: Reflections on Pluricentricity. In: Sociolinguistica. Band 35, Nr. 1, S. 44.
  17. Alexandra Lenz et al.: STELLUNGNAHME ZUM VORTRAG VON PROF. DR. STEFAN DOLLINGER, 25.8.2021. 2021, abgerufen am 7. Juni 2023.
  18. Stefan Dollinger: Response pertaining to the “Statement” from 9 September 2021 by Alexandra Lenz, Stephan Elspaß, Gerhard Budin, Stefan Michael Newerkla, and Arne Ziegler. In: academia.edu. 2021, abgerufen am 7. Juni 2023.
  19. Wolfgang Pollak: Was halten die Österreicher von ihrem Deutsch? IfSSS, Wien 1992, S. 9–48.
  20. Stefan Dollinger: Empfehlung 5 von 8: Vorläufiger Stopp am Kranzmayer-Wb und Einsetzung einer Historiker:innen-Kommission zur Feststellung, ob die Daten verwendent [sic] werden sollen. In: Youtube Ascina Channel. Austrian Scholars and Scientists in North America, 2021, abgerufen am 7. Juni 2023 (Minute 1:07:00, Slides mit 8 Empfehlungen).
  21. 21,0 21,1 Joan Costa Carreras: Compostionality, Pluricentricity and Pluriareality in the Standardization of Catalan. In: History of Catalonia and Its Implications for Contemporary Nationalism and Cultural Conflict. Antonio Cortijo Ocaña und Vicent Martines, 2020, abgerufen am 7. Juni 2023 (184).
  22. Costa-Carreras, Joan. 2021. Compositionality, Pluricentricity, and Pluri-Areality in the Catalan Standardisation. In History of Catalonia and Its Implications for Contemporary Nationalism and Cultural Conflict, edited by Antonio Cortijo Ocaña and Vicent Martines, pp. 182-197. Hershey, PA: IGI Global, https://doi.org/10.4018/978-1-7998-6614-5.ch013.
  23. Julia Ruck: The politics and ideologies of Pluricentric German in L2 Teaching. In: Critical Multilingual Studies. Band 8, Nr. 1, S. 22.
  24. Anneliese Rieger: Rezension: "Österreichisches Deutsch oder Deutsch in Österreich? Identitäten im 21. Jahrhundert" von Stefan Dollinger. In: Medienimpulse. 2021, S. 5, abgerufen am 13. Juni 2023.
  25. 25,0 25,1 Stefan Dollinger: Österreichisches Deutsch oder Deutsch in Österreich? Identitäten im 21. Jahrhundert. 2021, abgerufen am 6. Juni 2023.
  26. Robert Sedlaczek: Österreichsiches Deustch unter Druck. In: Wiener Zeitung. 27. April 2021 (wienerzeitung.at).
  27. Robert Sedlaczek: Das österreichische Deutsch steht unter Druck. In: Wiener Zeitung. 27. April 2021, abgerufen am 8. Juni 2023.
  28. Peter Wiesinger: Das Volk bestimmt die Sprache: Das österreichische Deutsch ist kein unveränderlicher hieratischer Block. In: Wiener Zeitung. Nr. 5.5.2021, S. Replik.
  29. Klaus Zeyringer: Die zunehmende Germanisierung. In: Kleine Zeitung. 2. Januar 2020, S. 6-7, abgerufen am 13. Juni 2023.
  30. Rudolf Muhr: Sprachforschung: zurück ins 19. Jahrhundert. In: Die Presse. 21. September 2015, abgerufen am 13. Juni 2023.
  31. Christine Mannhalter: Die falschen Behauptungen des Professor Muhr. In: Die Presse. 23. September 2015, abgerufen am 13. Juni 2023.
  32. Christa Neuper: "Germanisierung" an der Uni? Rektorin widerspricht. In: Kleine Zeitung. 17. Februar 2017, abgerufen am 13. Juni 2023.
  33. Die Presse, 21.9.2015, https://www.diepresse.com/4826339/sprachforschung-zurueck-ins-19-jahrhundert?from=rss
  34. Alois Pumhösel: Ist Österreichisch eine eigene Sprache? In: Der Standard. 11. Mai 2021, abgerufen am 13. Juni 2023.
  35. https://www.oeaw.ac.at/acdh/about/news-archive/news-detail/stellungnahme-zum-vortrag-von-prof-dr-stefan-dollinger-25082021
  36. Wolfgang Ritschl: Kontext. In: Ö1. 9. April 2021, abgerufen am 13. Juni 2023.
  37. Bianca Schwarzjirg: Frühstücksfernsehen (nur Audio). In: Puls 4. 18. Mai 2021, abgerufen am 13. Juni 2023.
  38. Harald Knill: Buchpräsentation Österreichisches Deutsch oder Deutsch in Österreich? In: New Academic Press. 18. Mai 2021, abgerufen am 13. Juni 2023.
  39. Eva Obermüller, Stefan Dollinger: Was Sprache mit Identität zu tun hat. In: Science.orf.at. ORF, 26. Oktober 2019, abgerufen am 13. Juni 2023.
  40. New Academic Press: Österreichisches Deutsch oder Deutsch in Österreich und das ÖWB. 2022, abgerufen am 13. Juni 2023.
  41. Ulrich Ammon: Die deutsche Sprache in Deutschland, Österreich und der Schweiz: Das Problem der nationalen Varietäten. De Gruyter, Berlin 1995.
  42. Albert Krassnigg 1958, zitiert nach Stefan Dollinger: Österreichisches Deutsch oder Deutsch in Österreich? Identitäten im 21. Jahrhundert. 2021, S. 130, abgerufen am 8. Juni 2023.
  43. Peter Wiesinger: Zum Wortschatz im Österreichischen Wörterbuch. In: Österreich in Geschichte und Literatur. Band 24, Nr. 7, 1980, S. 366–397.
  44. Rudolf Muhr: Über das Für und Wider der Kritik am Österreichischen Wörterbuch. In: Informationen zur Deutschdidaktik. Band 8, Nr. 4, 1983, S. 134–138.
  45. Rudolf Muhr, Richard Schrodt, Peter Wiesinger (Hrsg.): Österreichisches Deutsch: Linguistische, sozialpsychologische und sprachpolitische Aspekte einer nationalen Variante des Deutschen. 1. Auflage. hot, Wien 1995.
  46. Rudolf Muhr: Zur Sprachsituation in Österreich und zum Begriff "Standardsprache" in plurizentrischen Sprachen. Sprache und Identität in Österreich. In: Rudolf Muhr, Richard Schrodt, Peter Wiesinger (Hrsg.): Österreichisches Deutsch: Linguistische, sozialpsychologische und sprachpolitische Aspekte einer nationalen Variante des Deutschen. hot, Wien 1995, S. 80.
  47. Rudolf de Cillia und Jutta Ransmayr: Österreichisches Deutsch macht Schule. Böhlau, Wien 2019, S. 33 ff.
  48. Hermann Scheuringer: The state border as a dialect border. In: Henry Warkentyne (Hrsg.): Papers from the Fifth Methods on Dialectology Conference. University of Victoria, Victoria 1985, S. 447.
  49. Hermann Scheuringer: Das Deutsche als pluriareale Sprache. Ein Beitrag gegen staatlich begrenzte Horizonte in der Diskussion um die deutsche Sprache. In: Die Unterrichtspraxis/Teaching German. Band 2, Nr. 29, 1996, S. 147–153.
  50. Rudolf Muhr: Österreichisches deutsch -- nationalismus? Einige Argumente wider den zeitgeist -- eine Klarstellung. In: T. tribüne: zeitschrift für sprache und schreibung, Nr. 1, 1996, S. 12–18.


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