Untertauchen (Aufenthalt)
Das Untertauchen beschreibt einen Vorgang, bei dem sich eine Person an einen unbekannten Ort begibt und sich so jemandes Zugriff entzieht.[1] Die Bezeichnung für diesen Vorgang entstammt der Umgangssprache und wurde, was das Aufenthaltsrecht anbetrifft, inzwischen auch in die Rechtssprache übernommen.
Vermeidung staatlichen Zugriffs[Bearbeiten]
In Deutschland waren am 31. Dezember 2017 im polizeilichen Informationssystem INPOL-Zentral insgesamt 297.820 Fahndungsausschreibungen zur Festnahme erfasst. Bei 126.327 handelte es sich um Ausländer, die Deutschland hätten verlassen müssen (Fahndung zur Festnahme mit dem Ziel der Abschiebung, Ausweisung oder Zurückschiebung), wobei vermutet wird, dass ein Teil dieser Menschen bereits ausgereist war, ohne dass ihre Ausreise registriert wurde. Die übrigen Fahndungsfälle betrafen laut BKA vor allem Straftäter und entwichene Strafgefangene oder dienten der Strafvollstreckung oder der Gefahrenabwehr.[2]
Teilweise werden Menschen, die sich dem staatlichen Zugriff entziehen, durch Schleierfahndung ausfindig gemacht.[3]
- Aufenthaltsrecht
Im deutschen Ausländerrecht wird unter dem Untertauchen eine Situation verstanden, bei der ein Ausländer für die staatlichen Behörden nicht auffindbar ist[4] und auch nicht gefunden werden will.[5] Hintergrund ist zumeist ein fehlendes Aufenthaltsrecht und die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht, der der Betroffene nicht nachkommt. Will die Ausländerbehörde ihn abschieben, trifft sie ihn aber unter seiner Meldeadresse nicht an oder ist ihr ein Aufenthaltsort nicht bekannt, so gilt der Ausländer als untergetaucht, eben als unauffindbar. Der Begriff ist im geschriebenen Bundesrecht bislang selten und wird erstmals im Jahre 2016 in § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG offiziell verwendet.
In Österreich wird in Politik[6] und Verwaltung[7] von Untertauchen gesprochen, wenn ein Asylbewerber sich beispielsweise einer drohenden Abschiebung entzieht. Österreichische Medien sprachen im September 2017 von einer Gesamtzahl von 11.447 Asylbewerbern (österreichisch: Asylwerber), die zwischen Januar 2016 und August 2017 untertauchten, zur Festnahme ausgeschrieben wurden und noch nicht aufgefunden worden waren. Diese Zahl umfasst sowohl Asylwerber, die sich unentdeckt in Österreich aufhalten, als auch Asylwerber, die unkontrolliert ausgereist sind.[8]
In der Schweizer Asylstatistik werden Personen, die nach Erhalt einer Wegweisungsverfügung untergetaucht sind, so dass ihr Aufenthaltsort den Behörden unbekannt ist, als Personen mit „unkontrollierten Abreisen“ geführt.[9] Entsprechend ist die Untertauchensgefahr ein selbständiger Haftgrund für eine Ausschaffungshaft.[10] Nach einer Studie des Staatssekretariats für Migration vom April 2016 leben rund 15.000 untergetauchte Asylbewerber in der Schweiz. Sie bilden einen Teil der Sans-Papiers.[11]
- Strafrecht
Zunehmend wird auch in deutschen strafgerichtlichen Entscheidungen vom Untertauchen einer Person gesprochen,[12] wenn sie unbekannten Aufenthaltes ist und sich somit der Strafverfolgung entziehen will. Die Strafprozessordnung kennt den Begriff bislang jedoch nicht; hier wird der Vorgang mit flüchtig oder sich verborgen haltender Person (§ 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO) umschrieben.
- Kindschaftsrecht
Vielfach wird das Untertauchen eines Elternteils im Zusammenhang mit Sorgerechtsregelungen in Deutschland und in der Schweiz bzw. Obsorgeentscheidungen in Österreich in Gerichtsentscheidungen beschrieben.
Flucht vor nichtstaatlicher Gewalt und aus anderen Gründen[Bearbeiten]
In Medien ist auch von Untertauchen die Rede, wenn Menschen in ein Frauenhaus/Männerhaus fliehen oder im Rahmen eines Opferschutzprogramms Schutz vor dem Partner oder der Familie oder anderen Personen suchen. Dies kommt beispielsweise in Fällen häuslicher Gewalt oder bei drohender Zwangsverheiratung vor. Bei dieser Form des Untertauchens geht es nicht um eine Entziehung vor staatlicher Verfolgung – Polizei und sonstige Behörden ermöglichen das Untertauchen gerade –, sondern um die Geheimhaltung des Aufenthaltsortes vor gewaltbereiten Personen zum Eigenschutz.[13][14]
Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von Gründen, warum Menschen ihren Aufenthalt verbergen und nicht gefunden werden wollen.[15] Dazu zählen unter anderem Schulden[16] sowie die Flucht vor einer Sekte, einer kriminellen Vereinigung oder international agierenden staatlichen Diensten.[17]
Geschichte[Bearbeiten]
Historisch ist der Begriff in Deutschland und seinen Nachbarstaaten sowohl in Bezug auf das Untertauchen jüdischer Bewohner und anderer Verfolgter[18] während der Zeit des Nationalsozialismus als auch auf das Verbergen führender Vertreter des NS-Regimes vor der Verfolgung nach der Zeit des Nationalsozialismus von Bedeutung. Während der Zeit des Nationalsozialismus und kurz danach war der Begriff in der offiziellen Rechtssprache jedoch unbekannt; das Reichsgericht verwendete ihn in seinen Entscheidungen nicht.
Einzelnachweise[Bearbeiten]
- ↑ Duden - Deutsches Universalwörterbuch, 8. Aufl. Berlin 2015. Online, abgerufen am 11. Januar 2019.
- ↑ Marcel Leubecher: Polizei fahndet nach 126.000 ausreisepflichtigen Ausländern. In: www.welt.de. 29. Juli 2018, abgerufen am 13. Januar 2019.
- ↑ Fast 300.000 Personen stehen auf der Fahndungsliste. In: www.dw.com. 28. Juli 2018, abgerufen am 13. Januar 2019.
- ↑ Amtliche Begründung zu § 33 AsylG in BT-Drs. 18/7538 (PDF; 364 kB), S. 17.
- ↑ Stellungnahme des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen zum Regierungsentwurf vom 14. September 2015 für ein Gesetz zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes, des Asylbewerberleistungsgesetzes und weiterer Gesetze. S. 3: Zu Art. 1 Nr. 33 und Nr. 38 - § 29 Abs. 2 Nr. 1 und § 33 Abs. 2 Nr. 2 AsylG-E . 21. September 2015. Abgerufen am 10. Januar 2019
- ↑ Fremdenrechtspaket bringt Gebietsbeschränkungen für Flüchtlinge und Beugehaft. In: Parlamentskorrespondenz Nr. 817. Parlament, Republik Österreich, 28. Juni 2017, abgerufen am 24. Oktober 2017.
- ↑ VwSen-400411/4/Kl/Rd. UVS Oberösterreich, 9. Juli 1996, abgerufen am 24. Oktober 2017.
- ↑ Julia Schrenk: 4364 Asylbewerber heuer untergetaucht. In: kurier.at. 19. September 2017, abgerufen am 24. Oktober 2017.
- ↑ Lukas Häuptli: Tausende tauchen ab, und die Zahl wird weiter steigen. In: NZZ am Sonntag. 31. Januar 2016, abgerufen am 18. Dezember 2017.
- ↑ Untertauchensgefahr trotz Gegenindizien. In NZZ vom 13. Oktober 2004
- ↑ Asylbewerber: Untertauchen und weg. In: SRF. 5. August 2016, abgerufen am 18. Dezember 2017.
- ↑ BGH, Beschluss vom 30. März 2017 – StB 7/17 –, juris Rdnr. 13; BGH, Beschluss vom 23. Februar 2017 – StB 4/17 –, juris, Rdnr. 5; BGH, Beschluss vom 17. Januar 2017 – VIII ZR 209/16 –, juris, Rdnr. 7; BGH, Beschluss vom 2. Juli 2014 – AK 16/14 –, juris, Rdnr. 24; BGH, Beschluss vom 3. April 2013 – AK 6/13 –, juris, Rdnr. 20.
- ↑ Wenn Frauen untertauchen müssen. In: Sächsische Zeitung. 2. Juni 2017, archiviert vom Original am 23. Oktober 2017; abgerufen am 22. Oktober 2017.
- ↑ Christina Sticht: Bruch mit dem alten Leben: Wenn Opfer untertauchen müssen. In: n-tv. 2. Juni 2017, abgerufen am 14. Januar 2019.
- ↑ Lutz Krauskopf: Untertauchen? Vom Verschwindenwollen und Gefundenwerden. In: NZZ Folio vom Januar 1993
- ↑ Katja Ridderbusch: Untertauchen leicht gemacht mit Frank M. Ahearn. In: Die Welt vom 8. Mai 2009
- ↑ Skripals sollen in Amerika untertauchen können. In: FAZ vom 8. April 2018
- ↑ Helferin "Untergetauchter" (Emmy Zehden) In: Hans-Rainer Sandvoß: »Es wird gebeten, die Gottesdienste zu überwachen …«: Religionsgemeinschaften in Berlin zwischen Anpassung, Selbstbehauptung und Widerstand von 1933 bis 1945. Lukas Verlag, 2014, S. 464 ff., ISBN 9783867321846
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