Forschung zum Demokratieverständnis in Asien
Im asiatischen Raum steht die Frage der Kompatibilität von Demokratie und den traditionellen Werten im Mittelpunkt des Demokratiediskurses. Die Diskussion ist substantiell von philosophischen und religiösen Ideen geprägt, die sich in der Region entwickelt haben. Nichtsdestotrotz verwendet man in den letzten Jahren immer mehr westliche sozialwissenschaftliche Forschungsmodelle.[1] Die Vielfalt der politischen Regime und Traditionen in Asien führt in der Regel zur Wahl einer spezifischen Subregion als exemplarische Forschungseinheit, was auch in diesem Artikel passiert, in dem Süd-, Ost- und Südostasien im Fokus stehen.
Theoretische Grundlagen[Bearbeiten]
Typisch für den Diskurs (wie auch in anderen nicht-westlichen Regionen) ist eine theoretische Spaltung zwischen Befürwortern und Gegnern der Idee, dass die lokalen Traditionen die demokratische Entwicklung positiv beeinflussen.
Prodemokratische Überlegungen[Bearbeiten]
Es wird die Meinung vertreten, dass sich die Traditionen und die Religion an die neue Weltrealien anpassen, sodass demokratische Veränderungen eine kulturelle Basis in asiatischen Gesellschaften haben[2]. Diese Idee wird in erster Linie von Argumenten in Bezug auf die Religion bewiesen, die die pluralistischen Neigungen in den meist verbreiteten Religionen der Region unterstreichen.
So hat der Reformprozess des Hinduismus – als „wiederholender Universalismus“ – im Vorfeld der Verkündung der Unabhängigkeit Indiens begonnen, der die Verbesserung eines Menschen, die Selbstverwaltung (swaraj) und die Pluralität der von der Politik abgegrenzten Religion im Zentrum einer demokratisch orientierten Veränderung gestellt hat. In diesem Sinne sei die Gestaltung eines demokratischen Staats ein Instrument von Vertretung der nationalen und religiösen Werte mit Entscheidungsfunktion[3]. In ähnlicher Weise unterstreichen die Religionsforscher die Rolle der Toleranz und des Strebens nach Verbesserung im Buddhismus[4] und der konsultativen Tradition im Islam[5].
Anknüpfend ist die Rolle der politischen Geschichte, die die Anwendbarkeit verschiedener politischen Systeme teilweise bedingt. Diesbezüglich sei die Erfahrung einer zentralisierten absoluten Herrschaft von Bedeutung. Das Problem mit der Demokratieentwicklung könnte nämlich darin liegen, dass ein Land fast keine Erfahrung von einer pluralistischen politischen Organisation hatte. Und im Gegenteil, das Übergewicht der dezentralisierten Regime in der Geschichte (wie in Indien sogar unter den Großmoguln) könnte als ein erhebliches Vorteil betrachtet werden.
Soziale und wirtschaftliche Argumente sind in der Regel mit der Korrelation zwischen dem Durchschnittseinkommen, dem Bildungsstand und der Demokratieunterstützung verbunden. Die Demokratieunterstützung stehe nämlich nach dem westlichen Vorbild in einer starken direkten Verbindung mit der Bildung und dem Einkommen pro Kopf, was aber die Demokratisierung nur zum Teil erklärt.[6] Immerhin wird hervorgehoben, dass mehrere Forschungen auf ein generelles Verständnis des Demokratiekonzepts im asiatischen Raum hinweisen.[7]
Skeptische Anmerkungen[Bearbeiten]
Die Gegner der Kompatibilität der asiatischen Werte mit der Demokratie weisen darauf hin, dass man das wissenschaftliche Verständnis der Demokratieunterstützung in Asien vertiefen sollte, um die wichtigsten Unterschiede zwischen der westlichen liberalen Demokratie und dem asiatischen Konzept zu verstehen. Das sei besonders wichtig, weil eine ambivalente Kombination von liberalen und ganz illiberalen Komponenten der Demokratieunterstützung präsent ist.[8] Das heißt zum Beispiel, dass sogar die Kompatibilität der Demokratie und die Idee des mächtigen Herrschers oder einer Herrschaft von Experten im Diskurs nicht ausgeschlossen ist.
Empirische Forschung[Bearbeiten]
Im Fokus der Demokratieforschung in Asien steht die Verbreitung der demokratischen Werte, insbesondere der liberalen Werte. Insgesamt lässt sich vermuten, dass die Demokratieunterstützung in der Region eher ein Lippenbekenntnis ist, das für die Verteidigung der demokratischen Werte in einer schlechten wirtschaftlichen Situation nicht ausreichend wäre. In Bezug auf die Bildung ist die unterschiedliche Beziehung zur Demokratieunterstützung beachtenswert, die keine Auswirkung oder sogar negative Auswirkung (in den „electoral democracies“ Asiens) haben könnte.[9] Ein anderer Punkt sei, dass die generelle Demokratieunterstützung oft keineswegs automatisch Unterstützung für die Gestaltung einer Demokratie im eigenen Land bedeutet.[10]
Asian Barometer[Bearbeiten]
Im Rahmen des großen Forschungsprojekts Asian Barometer wurde ein Zwei-Säulen-Ansatz unternommen. Erstens verbreitete das Konzept der demokratischen Legitimität mit vier weiteren Indikatoren: Verlangen, Eignung, Wirksamkeit und Priorität der Demokratie. Zweitens wurde eine Reihe von Fragen ohne das “D-Wort” (z. B.: Regierungschefs sind wie Familienoberhäupter, wir sollten deren Entscheidungen folgen) verwendet.
Die Ergebnisse der zweiten Welle der Umfrage ergaben folgende Typen der demokratischen Orientation, wie sie Yun-han Chu und Min-hua Huang klassifiziert haben:[11]
Konsequente Demokraten | Starke Unterstützung für Demokratie mit stark ausgeprägten demokratisch-liberalen Werten. |
Kritische Demokraten | Schwache Unterstützung für Demokratie mit stark ausgeprägten demokratisch-liberalen Werten. |
Nicht-Demokraten | Schwache Unterstützung für Demokratie mit schwach ausgeprägten demokratisch-liberalen Werten. |
Oberflächliche Demokraten | Starke Unterstützung für Demokratie mit schwach ausgeprägten demokratisch-liberalen Werten. |
Kritik[Bearbeiten]
Die kritischen Anmerkungen zur Demokratieforschung in Asien könnten in zwei Gruppen zusammengezogen werden; das sind die Messungsprobleme und die Beschränkungen, die eurozentristische universalistische Theorien außerhalb Europas haben.
Was die Messung angeht, ist vor allem die ungenügende Anzahl von qualitativen Studien mit großer Fallzahl oder länderspezifischen Fragestellungen in den Umfragen, was aber teilweise beim Vermeiden des D-Wortes in sämtlichen Studien nicht der Fall ist.[11] Außerdem ist das echte Bild der Demokratieunterstützung in den Studien verzerrt, die das widersprüchliche Verhalten zur Kompatibilität der liberalen und autoritären Tendenzen nicht in Betracht ziehen.[12]
Theoretisch wird das Verständnis der Demokratie in Asien dadurch erschwert, dass die Gestaltung der Studien in Übereinstimmung mit westlichen wissenschaftlichen Erwartungen die nicht westlichen bzw. illiberalen Formen der Demokratie manchmal ungeachtet lässt oder begrenzte Möglichkeiten zur Verfügung stellt, diese zu analysieren.
Weblinks[Bearbeiten]
Einzelnachweise[Bearbeiten]
- ↑ Dosch, J., Manfred M., Öhlschlager R. (eds.) (2007). Staat und Demokratie in Asien. Zur politischen Transformation einer Weltregion. (Politikwissenschaftliche Perspektiven 13). Berlin: Lit Verlag, 2007. S. 10
- ↑ Vgl. Bell, D. (2000). East Meets West : Human Rights and Democracy in East Asia. Princeton, N.J.: Princeton University Press. Part II.
- ↑ Mehta, Pratap Bhanu. (2004). Hinduism and self-rule. Journal of Democracy, 15(3), Journal of democracy, 2004, Vol.15(3). S. 110–111.
- ↑ Buddhism, Asian values, and democracy. (1999). Journal of Democracy, 10(1), Journal of democracy, 1999, Vol.10(1). S. 3.
- ↑ Tahzeeb, S. (2014). A Comparative Study of Islam and Modern Democratic Ideals. Journal of Islamic Studies and Culture, March 2014, Vol. 2, No. 1. S. 50.
- ↑ Diamond, L. (2008). How people view democracy. Baltimore: Johns Hopkins Univ. Press. S. 98–99
- ↑ Vgl. The Asian Barometer Survey, Waive I, II, III.
- ↑ Diamond, L. (2008). How people view democracy. Baltimore: Johns Hopkins Univ. Press. S. 93
- ↑ Park, C. (2013). Democratic quality of institutions and regime support in East Asia. Taiwan Journal of Democracy, 9(1). S. 114
- ↑ Chu, Y., Diamond, Larry, Nathan, Andrew, & Zhu, Yunhan. (2010). How East Asians View Democracy. Columbia University Press. S. 22
- ↑ 11,0 11,1 Chu, Y., & Huang, M. (2010). Solving an Asian Puzzle. Journal of Democracy, 21(4), S. 114–122.
- ↑ Chu, Y., & Huang, M. (2010). Solving an Asian Puzzle. Journal of Democracy, 21(4), S. 115
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