Naturcoaching
Der Begriff Naturcoaching beschreibt eine Sonderform des Coachings, bei dem die Natur in den Coaching-Prozess eingebunden wird. So werden beim Naturcoaching einerseits klassische Coaching-Techniken in die Natur übertragen, andererseits naturspezifische Techniken angewandt. Zu den naturspezifischen Techniken gehören u. a. Naturzeremonien/-rituale sowie Übungen, die in der Wildnis- und Erlebnispädagogik entwickelt wurden.
Aufgabe und ethische Richtlinien[Bearbeiten]
Aufgabe des Coachings ist es, den Coachee zur Selbsthilfe anzuleiten, ihm also dabei zu helfen, eigene Lösungsansätze und Strategien in Bezug auf sein Problem zu entwickeln und eigene Antworten auf seine Fragen zu finden. Dem Coach stehen dafür verschiedene Coaching-Werkzeuge und Fragetechniken zur Verfügung.
Im Naturcoaching können Naturrituale eingesetzt werden, die an die Naturrituale indigener Völker angelehnt sind, beispielsweise Schwellenwanderungen oder Medizinwanderungen, jedoch wird darauf geachtet, dass der Coach nicht die Stellung eines Schamanen oder Zeremonienmeisters einnimmt, sondern der Coachingprozess immer auf Augenhöhe zwischen Coach und Coachee stattfindet. Das bedeutet auch, dass der Coach nicht die Verantwortung für die Entscheidungen des Coachees übernimmt. In diesem Sinne ist sowohl die Abgrenzung zur Psychotherapie wichtig, also die grundlegende Feststellung, dass ein Coach keine therapiebedürftigen psychischen Erkrankungen behandeln darf, als auch die Umsetzung ethischer Richtlinien:
- klare Absprachen zwischen Coach und Coachee in Bezug auf Verantwortlichkeiten und Rollenverständnis („Hilfe zur Selbsthilfe“)
- mit den Informationen des Klienten höchst vertraulich umgehen
- korrekte Darstellung der eigenen Qualifikationen, Kompetenzen und Erfahrungen
- jederzeit respektieren, wenn der Coachee den Coachingprozess abbrechen möchte
- ein professionelles Verhältnis zwischen Coach und Coachee bewahren, keine sexuellen Einlassungen
- stets die Grenze zur Psychotherapie im Auge behalten und ggf. Coaching nur in Absprache mit dem behandelnden Therapeuten/Arzt durchführen
- als Coach immer wieder selbstreflektierend oder in einer Supervision auf den Coaching-Prozess schauen, um zu erkennen, welche eigenen Themen den Coaching-Prozess beeinflussen könnten
- keine Aussagen treffen, die möglicherweise einen Missbrauch im Verhältnis zwischen Coach und Coachee darstellen könnten (Stichworte „Guru“, „Zeremonienmeister“)
- klare Absprachen bezüglich Dauer und Umfang, Kosten und Methoden des Coaching-Prozesses
- ein ehrliches, Vertrauen förderndes und nicht-manipulatives Verhältnis zum Coachee pflegen
Methodik[Bearbeiten]
Im Naturcoaching wird aus der linearen Beziehung zwischen Coach und Coachee ein Beziehungsdreieck Coach-Coachee-Natur. Dabei gilt es für den Coach, nicht nur seine Beziehung zum Coachee permanent zu reflektieren, sondern sich seiner eigenen Beziehung zur Natur bewusst zu sein und ein Verständnis für die Beziehung des Coachees zur Natur zu entwickeln. Die Natur nimmt dadurch Einfluss auf den Coachingprozess, dass sie dem Coachee bei der Selbstreflexion hilft. Das ist z. B. dadurch möglich, dass der Coachee, alleine oder vom Coach begleitet, mit einer Frage in die Natur geht und in den dort wahrgenommenen Dingen Antworten auf seine Fragen findet. Diesen Prozess kann man sowohl spirituell begründen („die Natur hilft mir bei meiner Frage/meinem Problem“) als auch mit Hilfe der selektiven Wahrnehmung erklären: nach einer bewusst gestellten Frage nimmt man verstärkt die Dinge wahr, die man unbewusst als Antwort auf die eigene Frage zulassen kann. Außerdem kann die Natur der Raum sein, in dem der Coachee für sein Thema relevante Naturrituale durchführen kann. Nach Arnold van Gennep sind Naturrituale der Überbegriff für Übergangsriten. Der Ritus dient also bewusst dazu, einen Übergang im Leben zu markieren. Bei indigen Völkern ist z. B. der Übergang vom Kind/Jugendlichen zum Erwachsenen (Inititiationsritus) ein klassisches Übergangsritual. Auch in der modernen Gesellschaft haben Rituale den Zweck, Übergänge bewusst zu machen, sei es ein großes Ritual wie die Hochzeit (Übergang von einer unverbindlichen Partnerschaft in eine lebenslange Partnerschaft mit Rechten und Pflichten) oder kleine Alltagsrituale wie der Morgenkaffee mit Zeitung (Übergang von einer Phase des Schlafens und Ausruhens hinein in eine Phase der wachen Aktivität, z. B. in den Berufsalltag). Man kann fast alle Coaching-Themen, mit denen ein Klient sich an einen Coach wendet, als Übergangsprozesse verstehen. Beispiele wären: „ich bin unmotiviert -> ich will motivierter sein“, „ich habe Probleme mit meiner Frau/ meinem Chef/ einem Freund -> ich möchte eine bessere Beziehung zu meiner Frau/ meinem Chef/ einem Freund haben oder mich trennen“, „ich fühle mich erschöpft -> ich möchte mich wieder kraftvoller und freudvoller fühlen“. Ein Klient sucht deswegen einen Coach auf, weil er professionelle Begleitung bei einem Thema oder Problem sucht, von dem er glaubt, dass er es selbst alleine nicht oder nicht gut lösen kann. Insofern geht es immer um ein Bestreben, eine Situation oder die eigene Einstellung zu verändern, auch wenn dem Coachee die Notwendigkeit zur eigenen Veränderung am Anfang eines Coaching-Prozesses nicht immer bewusst ist. In diesem Prozess sind Naturrituale und Naturzeremonien ein effektives Coaching-Werkzeug, Veränderungsprozesse bewusst zu machen und zu manifestieren.
Zum Handwerkszeug des Naturcoachs gehören das Coaching-Gespräch einschließlich klassischer Coaching- und Fragetechniken sowie die Begleitung (Vor- und Nachbereitung sowie eventuell Begleitung im Gelände) von Naturritualen, ergänzt durch Übungen zur Wahrnehmungsveränderung und -verstärkung. Dazu gehören Übungen, die die Qualität der Wahrnehmung und die Perspektive des Coachees verändern, z. B. Frosch- und Vogelperspektive oder Naturmeditation. Auch stellvertretend für eine Fragestellung stehende Wildnisfähigkeiten wie das Feuermachen können dem Coachee dabei helfen, sich mit der jeweiligen Fragestellung (z. B. Burnout) zu beschäftigen.
Sicherheit und Naturschutz[Bearbeiten]
Die Sicherheit des Coachees während des Naturcoachings hat absolute Priorität für den begleitenden Coach, sowohl in physischer als auch in psychischer Hinsicht. Zur Verantwortung des Coachs in Bezug auf die Sicherheit des Coachees gehören u. a.:
- die Leistungsfähigkeit des Coachees einschätzen zu können
- die Orientierung im Gelände zu gewährleiste
- darauf zu achten, dass der Coachee genügend Wasser, eventuell Essen und gegebenenfalls Medikamente mitnimmt
- darauf zu achten, dass der Coachee warm genug, regensicher und wetterfest gekleidet ist, auch bei schnellen Wetterumschwüngen
- Zustände wie Erschöpfung, Unterkühlung, Dehydrierung, Überhitzung/Sonnenbrand zu erkennen
- erste Hilfe leisten zu können
- naturbedingte Risiken abschätzen und diese gegebenenfalls vermeiden zu können bzw. die korrekten Verhaltensregeln zu kennen (Gewitter, Steinschlag, Überflutung, Absturz im steilen Gelände u. v. m.)
- Gefahren durch wilde Tiere zu kennen und diese entsprechend zu vermeiden bzw. zu minimieren (z. B. Wildschweine, aber auch Zecken)
In Bezug auf den Naturschutz gelten für verschiedene Naturräume eigene (gesetzliche) Richtlinien, die der Naturcoach kennen und beachten muss. Es sollte für jeden Naturcoach ethisches Selbstverständnis sein, die Natur nicht zu schädigen, keinen Müll zu hinterlassen und prinzipiell keine deutlich sichtbaren Spuren zu hinterlassen.
Anwendungsgebiete[Bearbeiten]
Das Naturcoaching hat im Prinzip die gleichen Anwendungsgebiete wie das klassische Coaching, wendet sich also sowohl an Privatpersonen als auch an Unternehmen (z. B. Führungskräfte-Coaching und Mitarbeiter-Coaching). Als Spezialform des Coachings spricht es insbesondere die Menschen an, die an ihren Themen und Zielen gerne in der Natur arbeiten möchten, die gerne in ihrer Freizeit draußen sind sowie Menschen, die nach Alternativen zum klassischen Coaching suchen.
Literatur[Bearbeiten]
- Arnold van Gennep: Übergangsriten. 3., erweiterte Auflage. Campus, Frankfurt/New York 2005, ISBN 3-593-37836-1 (Original Les rites de passage., Nourry, Paris 1909)
- Barbara Stollberg-Rilinger: Rituale Frankfurt, M. ; New York, NY : Campus-Verl., 2013, ISBN 978-3-593-39956-0
- Claus Ambos, Stephan Hotz, Gerald Schwedler, Stefan Weinfurter (Hrsg.): Die Welt der Rituale. Von der Antike bis heute. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2005, ISBN 3-534-18701-6.
- Andréa Belliger, David J. Krieger (Hrsg.): Ritualtheorien. Ein einführendes Handbuch. 5., aktualisierte Aufl. Springer VS, Wiesbaden 2013, ISBN 978-3-531-19499-8
- Dirk Stegner (Hrsg.): "Natur-Coaching. Eigene Wege aus Stress, Angst und Burnout finden."; BoD Norderstedt 2017; ISBN 978-3-743-18029-1
Weblinks[Bearbeiten]
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