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Radikalisierungsprävention

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Radikalisierungsprävention meint Maßnahmen zur Vorbeugung und Erkennung politischer Radikalisierung und Verhinderung ihrer Verfestigung. Präventionsmaßnahmen in Deutschland haben zum Ziel, Betroffenen Alternativen zu radikalen Angeboten aufzuzeigen und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Zielgruppen sind zumeist Jugendliche und junge Erwachsene, unabhängig von Religion und Herkunft.

Bei der Verhinderung von politisch und religiös motiviertem Extremismus spricht man auch von Extremismusprävention. (Zur Begriffsbildung siehe auch: Radikalismus versus Extremismus laut bundesdeutschem Verfassungsschutz.)

Ansatz & Akteure[Bearbeiten]

Unterschieden wird, idealtypisch, generell zwischen primärer, sekundärer und tertiärer Prävention:

  1. primäre Prävention (universelle Prophylaxe): Verhindern, dass sich Personen radikalisieren
  2. sekundäre Prävention (spezifische Prophylaxe): Früherkennung, Arbeit mit Risikogruppen
  3. tertiäre Prävention (Eskalations-/Rückfallprophylaxe): Distanzierung und Deradikalisierung, Vermeiden einer Eskalation (insbesondere Gewaltanwendung)

Präventionsstrategien sollten an verschiedenen Ebenen des Radikalisierungsprozesses ansetzen, um ihn so zu unterbrechen bzw. gar nicht erst entstehen zu lassen. Ein Problem bei der Entwicklung von Präventionsansätzen ist die nicht ausreichend entwickelte Grundlagenforschung bezüglich Dynamiken und Prozessen der Radikalisierung. Radikalisierung ist ein Prozess, der von vielen Faktoren beeinflusst wird. Dieser Prozess läuft aber nicht immer gleich ab. Vielmehr ist Radikalisierung ein vielschichtiges, mehrdimensionales Phänomen. Das heißt, es gibt nicht „den“ Radikalisierungsprozess, sondern es gibt zahlreiche Einflussfaktoren und unklare Zusammenhänge, denen im Einzelfall unterschiedliche Gewichtungen zukommen. Dieses unklare Konzept der Radikalisierung erschwert die Entwicklung von Gegenstrategien.

Zur Vernetzung aller bundesweit tätigen Akteure im Bereich der religiösen Radikalisierung wurde die Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter Extremismus gegründet. Diese wird vom Bundesprogramm „Demokratie Leben“ gefördert und hat über 30 Mitgliedsorganisationen bundesweit.[1]

Handlungsfelder[Bearbeiten]

Schule[Bearbeiten]

Wichtig bei der Prävention ist zunächst, dass sie, genau wie das Phänomen Radikalisierung selbst, auf verschiedenen Ebenen und in unterschiedlichen Handlungsfeldern ansetzen sollte. Eines der wichtigsten Handlungsfelder ist die Schule. Sie bietet einen idealen Rahmen für langfristige Angebote, da Schüler dort über Jahre hinweg erreicht werden können. Außerdem kann in der Schule auch zeitnah auf aktuelle gesellschaftliche Debatten oder individuelle Probleme reagiert werden. Neben dem inhaltlichen Aspekt werden in der Schule aber auch Grundsteine für die Identifikation mit der Gesellschaft gelegt. Diversity education, interkulturelle Pädagogik und interkulturelle Öffnung sind hier zentrale Themen.[2] Auch die Schule betreffend, wird derzeit diskutiert, ob islamischer Religionsunterricht auch eine präventive Wirkung gegen islamistische Radikalisierung haben kann. Der Tenor ist bislang, dass ein objektiver und auf Deutsch gehaltener islamischer Religionsunterricht dazu beitragen kann, ein Glaubensverständnis zu vermitteln, das sich an den hiesigen gesellschaftlichen Verhältnissen orientiert. Aufgegriffen werden können dort auch Themen wie innerislamische Diversität, um hier lebenden Muslimen verschiedener Nationalitäten Möglichkeiten näher zu bringen, hierzulande friedlich miteinander umzugehen und ein positives Verständnis kultureller und religiöser Unterschiede zu vermitteln.[3]

Politische Bildung[Bearbeiten]

Ein weiteres Handlungsfeld ist die interreligiöse, interkulturelle und politische Bildung. Hier gibt es verschiedene Projekte, die zum Beispiel mit sogenannten peer-educators arbeiten, was die Ansprache erleichtern und Anknüpfungspunkte schaffen soll.[4] Projektbeispiele:

Jugend- und Sozialarbeit[Bearbeiten]

Auch in der Jugend- und Sozialarbeit ist Prävention angesiedelt und bezieht sich hauptsächlich auf die Stärkung sozialer Bindungen und das Empowerment von Jugendlichen, zum Beispiel das interreligiöse Dialoggruppen-Projekt „Ibrahim trifft Abraham“, das seit 2010 mit männlichen Jugendlichen aus bildungsbenachteiligten Milieus in Düsseldorf durchgeführt wird.[5]

Gemeindearbeit[Bearbeiten]

Im Handlungsfeld Gemeindearbeit ist zum einen die Positionierung der islamischen Verbände gegenüber extremistischen Gruppierungen und deren Kooperation mit staatlichen Behörden ein wichtiger Faktor, zum Anderen besteht die Aufgabe muslimischer Gemeinden vor allem darin, Jugendlichen einen reflektierten Zugang zum Islam und zu religiösen Themen zu ermöglichen. Sie können so Alternativen zu salafistischen Angeboten und Deutungen aufzeigen und ein Religionsverständnis vermitteln, das sich von diesen unterscheidet.

Initiativen wie z. B. Muslimische Jugendcommunity Osnabrück werden von Jugendlichen und jungen Erwachsenen selbst initiiert und bieten nicht nur Freizeitaktivitäten, sondern auch Gesprächsrunden zu Themen wie Rassismus und Religion an. Sie nutzen dazu auch aktive Online-Arbeit, um junge Muslime zu erreichen, und haben zum Ziel, ein Selbstverständnis als Deutsch-Muslime zu fördern.

Internet[Bearbeiten]

Ein bisher nur wenig exploriertes Handlungsfeld ist das Internet: Der IS nutzt das Internet (insbesondere Soziale Medien) ausgiebig für Propagandazwecke. Hier ist also ein weiterer Ansatzpunkt für Präventionsarbeit. In Deutschland gibt es bisher nur wenige Erfahrungen mit Präventionsarbeit in sozialen Medien. Das Projekt „Was postest du?“ (von Ufuq) erprobt eine Art aufsuchende politische Bildung, indem sich junge muslimische Teamer mit Kommentaren in Diskussionen in sozialen Netzwerken einbringen. In Großbritannien und den USA gibt es schon seit Jahren Ansätze von Gegennarrativen und Counter-speech.

Angehörige[Bearbeiten]

Immer mehr Bedeutung in der Präventionsarbeit kommt den Angehörigen und dem sozialen Umfeld zu. Auch für betroffene Angehörige gibt es Beratungsangebote: zum Beispiel die Beratungsstelle Radikalisierung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Das „Muslimische Seelsorgetelefon“ und das Mentoring-Projekt 180° Wende in NRW sind Beispiele für Ansätze, die von Muslimen umgesetzt werden.

Wichtig bei allen Präventionsansätzen ist die Sozialraumorientierung, das heißt, lokale und kommunale Ansätze haben, soweit beurteilbar, die größten Effekte.

Deradikalisierung (tertiäre Prävention)[Bearbeiten]

Deradikalisierungsmaßnahmen müssen, genau wie die Radikalisierung auch, als Prozess gesehen werden, der für jede betroffene Person anders aussehen kann. Ansätze und Programme im Rahmen der Deradikalisierung müssen also ebenfalls individuell gestaltet werden.[6] Es wird zudem zwischen Deradikalisierung und Distanzierung unterschieden: Als Deradikalisierung gilt die kognitive Ablehnung bestimmter extremistischer Werte und Meinungen, Distanzierung meint das Sich-Lossagen von gewaltbereiten Handlungen oder einer extremistischen Gruppe. Distanzierung kann man jedoch nicht mit Deradikalisierung gleichsetzen. Für Deradikalisierung ist eine kritische ideologische Auseinandersetzung zwingend nötig. Die Sicherheitspolitik fokussiert sich meistens ausschließlich auf Distanzierung, was aus Sicht der Terrorismus-Abwehr durchaus sinnvoll sein kann. Für die Wirksamkeit verschiedener Maßnahmen gibt es auch hier kaum empirische Daten.

Methodische Ansätze der Deradikalisierung[Bearbeiten]

Wichtig ist bei Deradikalisierungsansätzen besonders die Vielschichtigkeit. Ein Programm ist danach besonders erfolgversprechend, wenn es auf drei Ebenen ansetzt: affektive, pragmatische und ideologische Ebene: der emotionale Bruch mit der radikalen Gruppe, die Befriedigung der praktischen Bedürfnisse nach dem Ausstieg und die ideologische Auseinandersetzung.

Systemische Ansätze[Bearbeiten]

Bei systemischen Ansätzen wird das soziale Umfeld der betroffenen Person einbezogen und so versucht, positiv auf die Person einzuwirken. Die Reichweite solcher Ansätze ist eher gering, da Beratung nur auf Initiative Betroffener stattfindet. Bei diesen ist allerdings die intrinsische Motivation gegeben und es sind gezielte, individuell gestaltete Interventionen und Hilfestellungen möglich.

Aufsuchende Ansätze[Bearbeiten]

Aufsuchende Ansätze fokussieren sich auf die betroffene Person selbst und versuchen, diese über niedrigschwellige Angebote zu erreichen (z. B. VAJA Bremen, IFAK e. V, Violence Prevention Network). Es wird vermutet, dass aufsuchende Ansätze eher Jugendliche erreichen, die in ihrem Radikalisierungsprozess noch nicht so weit fortgeschritten sind. Weiterhin stellt sich die Frage, wie wirksam Prävention und Deradikalisierung sind, wenn bei den Adressaten keine intrinsische Motivation zur Zusammenarbeit gegeben ist.

Studien zu Deradikalisierung[Bearbeiten]

Im Bereich der Deradikalisierung wird auch auf Lernerfahrungen aus der Forschung zu Rechtsextremismus und Sekten zurückgegriffen. Insbesondere bei Anwerbestrategien von Sekten, bei Rückfällen in alte Denkmuster und bei der Rolle des sozialen Umfelds lassen sich Parallelen zum religiösen Extremismus finden. Insgesamt gibt es wenige Evaluationsstudien zur Wirksamkeit der Präventionsprojekte. Wichtig wäre, dies weiter zu fördern und aus erfolgreichen/vielversprechenden Projekten Regelangebote zu schaffen.

Fazit[Bearbeiten]

Einigkeit besteht weitestgehend darüber, dass Radikalisierung nicht erst mit der Bereitschaft besteht, Gewalt anzuwenden, sondern sich viel früher äußert: zum Beispiel in der Abwertung von anders denkenden Personen sowie in antidemokratischen und freiheitsfeindlichen Einstellungen. Prävention muss also auf unterschiedlichen Ebenen, mit unterschiedlichen Zugängen stattfinden und muss in einer Kooperation aus staatlichen und zivilgesellschaftlichen Organisationen geschehen. Auch die Beeinflussung durch gesellschaftliche Debatten (z. B. über die Zugehörigkeit von Muslimen zur Gesellschaft) muss in den Ansätzen der Prävention berücksichtigt werden, da Fragen der Teilhabe und Gerechtigkeit und persönliche Zukunftsperspektiven einen wichtigen Faktor auf dem Weg zur Radikalisierung darstellen.

Siehe auch[Bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. Die Arbeit der Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter Extremismus – bpb, abgerufen am 14. Mai 2019
  2. Aladin El-Mafaalani, Alma Fathi, Ahmad Mansour, Jochen Müller, Götz Nordbruch, Julian Waleciak: Ansätze und Erfahrungen der Präventions- und Deradikalisierungsarbeit, HSFK-Report Nr. 6/2016 (HSFK-Reportreihe "Salafismus in Deutschland", hrsg. von Janusz Biene, Christopher Daase, Svenja Gertheiss, Julian Junk, Harald Müller). Leibniz Institut Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung
  3. Infodienst Radikalisierungsprävention
  4. Bundesprogramm Radikalisierungsprävention
  5. Dialog
  6. Angel Rabasa, Stacie L. Pettyjohn, Jeremy J. Ghez, Christopher Boucek, 2010. Deradicalizing Islamist Extremists, Santa Monica, CA: RAND


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