Steinbruch-Methode
Unter dem Begriff der Steinbruch-Methode (oder der Steinbruchmethode) wird eine heuristische Methode verstanden, welche es ermöglicht, anhand eines übergeordneten Ziels mittels selektiver Nutzung von Teilen eines umfassenderen Informationsangebots bestimmte relevante Informationen herauszuextrahieren, herauszuinterpretieren oder herauszuarbeiten. Die Steinbruch-Methode wird in verschiedenen Zusammenhängen und Wissensdisziplinen in unterschiedlichem Sinne gebraucht.[1][2][3]
Grundlegendes[Bearbeiten]
Zu den heuristischen Methoden ist die Steinbruch-Methode zu zählen, da ihre Durchführung nicht nach einer analytischen Vorgehensweise erfolgt. In der Regel wird die Methode in einem Zustand begrenzten Wissens (unvollständiger Information) angewendet. Unter den heuristischen Methoden ist die Steinbruch-Methode nicht so radikal, nicht so forsch wie das Trial-and-Error-Verfahren (Verfahren von Versuch und Irrtum), setzt sie doch ein nicht so hohes Maß an unvollständiger Information wie bei "Trial and Error" voraus.
Im Zusammenhang mit der Methode ist der „Steinbruch“ eine Metapher mit zweierlei möglicher Bedeutung:
- ein schroffer Gegensatz zwischen dem, was freigehackt und freigebrochen worden ist und dem, was nicht freigehackt und freigebrochen wurde;
- ein Sich-Vorarbeiten auf ein vormals eher unbekanntes Terrain. Das Sich-Vorarbeiten erfolgt hier in Phasen oder in Schüben vom Bekannten hin zum noch Unbekannten, vom Vertrauten hin zum noch Unvertrauten.
Verwendung der Steinbruch-Methode zum selektiven Interpretieren von Text[Bearbeiten]
Varianten der Steinbruch-Methode zum selektiven Interpretieren von Text[Bearbeiten]
Die folgenden beiden Varianten gilt es bei der Steinbruch-Methode zum selektiven Interpretieren von Text zu unterscheiden:
- a) die Methode des zerstückelnden Exzerpierens,
- b) die Beweistextmethode.
Methode des zerstückelnden Exzerpierens[Bearbeiten]
Bei der Methode „des zerstückelnden Exzerpierens“[4] werden unerwünschte Textteile entsprechend der Maßgabe und Vorstellungen des Bearbeitenden aus dem textuellen Roh- bzw. Inputmaterial entfernt, wobei eine selektive Heraustrennung von Textteilen aus vorher dagewesenen Zusammenhängen erfolgt und – einhergehend mit der Bearbeitung – nur ein Teil dieser Zusammenhänge erhalten bleibt. Die darauffolgende selektive Interpretation beschränkt sich ausschließlich darauf, die Resttextteile entsprechend der Semantik der Sprache wirken zu lassen und direkt zu interpretieren, ohne sie jeweils in einen neuen Zusammenhang (oder in neue Kontexte) einzubinden (und darauffolgend zu interpretieren). Diese Methode ist auf dem Gebiet der Rethorik angewandt worden, um neue rethorische Ausdrucksformen zu entwickeln bzw. zu gewinnen.[4]
Beweistextmethode[Bearbeiten]
Die Steinbruch-Methode im Sinne von „Beweistextmethode“ (engl. proof-texting) behinhaltet das selektive Herausgreifen von Textpassagen aus einem Text und deren Heranziehung zur Textinterpretation, um eine bestimmte Sicht auf die Dinge zu untermauern. Beim Abtrennen der nicht gewünschten Textteile und beim Heranziehen des jeweils übrigbleibenden Textrests zur Interpretation, welche je auf einen anderen, neuen Kontext referenziert, ergibt sich der resultierende Unterschied in der Bedeutung erzwungenermaßen aus der semantischen Differenz der Sprache, die sich im Vergleich zu einem interpretierten ungekürzten Text ergeben würde, sofern man ihn heranzöge. Kritiker bemerken, dass solche Textselektion die ursprüngliche Absicht des Autors des textuellen Inputmaterials möglicherweise nicht mehr genau wiedergeben wird[5] und dass ein Dokument, das so behandelt wird, die Sicht der Dinge, für die es bemüht wird, möglicherweise gar nicht stützt, wenn man es ganz liest.[Anmerkung 1]
Davon zu unterscheiden sind aus als nicht gewogen geltenden Quellen entnommene Zitate, die nach Textabtrennung zugunsten ihrer Gegner einen Punkt untermauern. Absichtlich aus dem Zusammenhang herausgetrennt, gelten solche Textfetzen bei manchen Textbearbeitenden als tragfähig. Es stellt sich allerdings die Frage, ob diese extreme Form des Sprachgebrauchs – man könnte auch von Sprachmissbrauch sprechen – noch vom Begriff der Steinbruchmethode überhaupt abgedeckt ist, oder ob solches Tun nicht vielmehr als spezielle „demagogische Methode“ in einen separaten Klassifikationsbereich gehört.
Stark abhängig davon, in welchem Zusammenhang und von wem ein selektives Interpretieren von Text vorgenommen wird, ergibt sich, ob ein solches Tun zum Nutzen gereicht oder Schaden anrichtet. So ist es beispielsweise akzeptabel und gereicht zum Nutzen, wenn ein Philosoph durch systematisch-selektive Interpretation bestimmte Teile von Philosophien oder philosophischen Systemen seiner Vorgänger oder Zeitgenossen entnehmen, auslegen und andere Teile verwerfen kann, um nicht in den Philosophien seiner Vorgänger oder Zeitgenossen gefangen zu sein, erst recht nicht, um vergangene Lehren ganz oder gar nicht annehmen zu müssen[6], während es zum Schaden führen kann, wenn etwa ein Theologe einen religiösen Text so selektiv interpretiert, dass er die Handlungsnormen seiner Religion der Beliebigkeit preisgibt.
Etwa in bestimmten Bereichen der katholischen und evangelischen Theologie bei der selektiven Auslegung von biblischen Texten wird die Bezeichnung „Steinbruch-Methode“ teilweise polemisch verwendet, um eine Auslegung als willkürlich und methodisch unseriös zu kritisieren; entsprechend wird dort der Begriff unter anderem für die Abgrenzung seriöser, den Kontext beachtender Auslegungen von spontanen und selektiven Auslegungen gebraucht, welche den Kontext und die allgemeine Aussage eines Textes als Ganzes außer Acht lassen.
Nachweis der Steinbruchmethode in vergangenen Epochen, die Frage nach ihrem Ursprung[Bearbeiten]
Die Philologin Katharina Graupe konnte zeigen, dass im Rahmen der rhetorischen Ausbildung der gebildeten Schichten im Zeitalter des Humanismus, also in jener Epoche in der frühen bis mittleren Neuzeit, die Reden Ciceros als mustergültiges Modell für das rethorische Polemisieren gegen Widersacher galten und dass in dieser Zeit Phrasensammlungen entstanden, die aus den Reden Ciceros „exzerpiert“ worden waren.[4] Dies geschah, indem dessen Reden in ihre Bestandteile zerlegt, mehr noch, diese gleichsam völlig aufgelöst, zertrümmert, ihres Wesens, ihrer Wirkung, ihrer Eigenart beraubt und zum „Steinbruch“, zur Materialsammlung herabgewürdigt wurden.[4] Der ursprüngliche Sinnzusammenhang der Reden musste bei dieser Zerstückelung unweigerlich verloren gehen.[4] Exzerpiert wurde nach rein sprachlichen Gesichtspunkten.[4] Die imitatio einzelner Phrasen aus Ciceros Reden sollte nicht auf einen anderen Kontext referenzieren, sondern die Bandbreite sprachlicher Ausdrucksformen erweitern.[4][Anmerkung 2] In der genannten Verwendung hatte die Steinbruchmethode unbestritten noch bis weit ins 17. Jahrhundert hinein ihre Gültigkeit, wie Graupe, sich stützend auf das dazu Dokumentierte im Polyhistor[Anmerkung 3] von Daniel Georg Morhof (Lübeck 1688), darlegen konnte.[4] Morhof spricht in seinem Buch vom „Exzerpieren“[4][7] - in lateinischer Sprache wohlgemerkt, denn dieses Buch ist in Latein abgefasst - ; den Terminus technicus „Steinbruchmethode“ gab es zur damaligen Zeit noch nicht. Aus dem Gesagten wird deutlich, dass die Steinbruchmethode im Zeitalter des Humanismus nachweislich im Gebrauch war.[4] Ihr Ursprung kann jedoch noch weiter zurückliegen.
Verwendung der Steinbruch-Methode in der Lernpsychologie der Erwachsenenbildung[Bearbeiten]
Gemäß der konstruktivistischen Lernpsychologie in der Erwachsenenbildung können die Lernenden im Rahmen der Steinbruch-Methode selektiv jeweils einzelne Bausteine aus der zu vermittelnden Thematik entnehmen, um diese zur Bearbeitung der eigenen Lernthemen, zum Bau des eigenen Sinngebäudes zu verwenden. Dabei soll jeder Erwachsenenbildungskurs-Teilnehmer jeweils den für ihn passenden Inhalt finden.[8][9][2]
Verwendung der Steinbruch-Methode in der Didaktik für den Förderunterricht "Deutsch als Zweitsprache" (DaZ)[Bearbeiten]
In der Didaktik für den Förderunterricht "Deutsch als Zweitsprache" (DaZ) als begleitende Maßnahme in der Anfangsphase der Berufsausbildung junger Menschen mit Migrationshintergrund wird die Steinbruch-Methode zur Zusammenstellung und Aufbereitung von Übungsmaterialien aus vielen unterschiedlichen Quellen benutzt.[Anmerkung 4]
Siehe auch[Bearbeiten]
Literatur[Bearbeiten]
Die Steinbruch-Methode in der Lernpsychologie der Erwachsenenbildung:
- Rolf Arnold, Horst Siebert: Konstruktivistische Erwachsenenbildung: von der Deutung zur Konstruktion von Wirklichkeit. 4., unveränd. Aufl., Schneider-Verl. Hohengehren, Baltmannsweiler 2003, ISBN 3-89676-649-X, S. 151
- Silke Weisweiler et al.: Zeit- und Selbstmanagement: ein Trainingsmanual - Module, Methoden, Materialien für Training und Coaching. Springer, Berlin 2013, ISBN 978-3-642-19887-8, S. 42
Anmerkungen[Bearbeiten]
- ↑ Kathy McDonough: The Subtle Power of Spiritual Abuse, Chapter 7: Abuse and Scripture. Recovering Grace, 19. Juli 2012, abgerufen am 14. November 2013 (english): „[…] the method is to use ‘proof-texting’. Proof-texting is when you start with a point you want to prove and then cherry-pick verses to support the point, regardless of the context and original meaning of those verses.“ .
- ↑ Die von Graupe historisch nachgewiesene Form der Steinbruchmethode ist keine Beweistextmethode: Zwar wird Sprache sicherlich auch hier selektiv interpretiert, jedoch nicht um eine bestimmte Position zu stützen, eine bestimmte Sicht der Dinge zu untermauern. Somit wird nicht auf einen anderen Kontext referenziert, was aber für die Beweistextmethode essentiell wäre, in Fällen, bei denen ihre Anwendung erfolgt.
- ↑ Graupe gibt in ihrem Buch auf S. 241 den Polyhistor als Quelle an. Vgl. hierzu: Danielis Georgi[i] Morhofi[i]: Polyhistor Sive De Notitia Auctorum Et Rerum Commentarii: Qvibus Præterea Varia Ad Omnes Disciplinas Consilia Et Subsidia Proponuntur. Sumptibus Petri Boeckmanni, Lubecæ Anno, M.DC.LXXXIIX., Bd. 1, S. 538 ff. (lateinisch).
- ↑ Martina Kaminski, Annette Müller: Übungsformen und Techniken für den Förderunterricht in der Zweitsprache Deutsch. 11. November 2009, S. 1 ff. ([1] [PDF]): „[Uns erscheint] der Ansatz der »Steinbruch-Methode« ein Weg hin zur lernerzentrierten Sprachförderung zu sein. Der Begriff »Steinbruch« kommt aus der Fremdsprachendidaktik und steht für eine Arbeitsweise, die vorsieht, dass sich Lehrkräfte aus unterschiedlichen Lehrbüchern die für ihre Lerngruppe geeignetsten Übungen heraussuchen. Eine Übertragung der Arbeitsweise der Steinbruch-Methode auf den Bereich der beruflichen Bildung bedeutet, dass sich die Lehrkraft vielfältiger Arbeits- und Methodenrepertoires bedient. Ziel dabei ist es, durch Methoden- und Übungsvielfalt auf unterschiedliche Lernvoraussetzungen und -bedürfnisse der Zielgruppe besser eingehen zu können.“
Einzelnachweise[Bearbeiten]
- ↑ Thomas M. J. Möllers: Juristische Arbeitstechnik und wissenschaftliches Arbeiten: Klausur, Hausarbeit, Seminararbeit, Studienarbeit, Staatsexamen, Dissertation. (Vahlen Jura) 9. überarb. Aufl., Vahlen, München 2018, ISBN 978-3-8006-5693-6, S. 121 f.
- ↑ 2,0 2,1 Simone Kauffeld et al.: Handbuch Kompetenzentwicklung. Schäffer-Poeschel, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-7910-2840-8, S. 312 f.
- ↑ Anna Maria Loffredo: Gestaltung leicht gemacht? Heinz Habermann. Grundlagen der Gestaltung. Industrie-Design, Kommunikations-Design. Göttingen. Cuvillier-Verlag 2015 ... (Buchrezension). In: Kunst+Unterricht ISSN 0023-5466 Nr. 397/398, (2015), S. ? (Einen Online-Link zu einer abfotografierten Form der Buchrezension unter Ausblendung der Seitenangabe gibt es hier.)
- ↑ 4,0 4,1 4,2 4,3 4,4 4,5 4,6 4,7 4,8 4,9 Katharina Graupe: Oratio Historica – Reden über Geschichte: Untersuchungen zur praktischen Rhetorik während des spanisch-niederländischen Konfliktes im 16. und 17. Jahrhundert. de Gruyter, Berlin 2012, ISBN 978-3-11-023458-9, S. 241 f.
- ↑ Jesse L. Hurlbut et al.: The Use of a Doctrinal Catechism in Sunday-School Instruction: A Symposium. The Biblical World, Band 16, Nr. 3 (Sept. 1900); abgerufen über JSTOR 3136493
- ↑ Ludwig Siep: Über den Sinn der Beschäftigung mit der deutschen Philosophie heute. In: Information Philosophie ISSN 1434-5250 43. Jg., H. 2, S. 8–23, 2015
- ↑ Helmut Zedelmaier: De ratione excerpendi: Daniel Georg Morhof und das Exzerpieren. In: Françoise Waquet (Hrsg.): Mapping the World of Learning: The „Polyhistor“ of Daniel Georg Morhof. Harrassowitz, Wiesbaden 2000, ISBN 3-447-04399-7, S. 75–92.
- ↑ Rolf Arnold, Horst Siebert: Konstruktivistische Erwachsenenbildung: von der Deutung zur Konstruktion von Wirklichkeit. 4., unveränd. Aufl., Schneider-Verl. Hohengehren, Baltmannsweiler 2003, ISBN 3-89676-649-X, S. 151
- ↑ Silke Weisweiler et al.: Zeit- und Selbstmanagement: ein Trainingsmanual - Module, Methoden, Materialien für Training und Coaching. Springer, Berlin 2013, ISBN 978-3-642-19887-8, S. 42
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