Anschlag auf die Deutsche Bahn am 8. Oktober 2022
Durch eine Sabotage an Kabeln für Bahnbetriebsfunk wurde am 8. Oktober 2022 der Eisenbahnverkehr in Niedersachsen, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein für rund drei Stunden eingestellt.[1][2] Zuvor waren zeitversetzt zwei zueinander redundante Kabel bei Herne und Berlin-Karow durchtrennt worden[3], was zum großflächigen Ausfall des Zugfunknetzes führte.
Hergang und Folgen auf den Bahnverkehr[Bearbeiten]
Am 8. Oktober 2022 gegen 6:40 Uhr fiel der Betriebsfunk bei der Deutschen Bahn in Teilen Norddeutschlands aus. Grund war die Durchtrennung zweier Datenleitungen in Berlin-Karow und bei Herne, die für das Funktionieren des GSM-R-Funknetzes der Bahn notwendig sind. Als Folge dieser Tat fiel das Zugfunknetz aus, der Sprechfunk zwischen Leitstellen und Zügen, die digitale Übermittlung von Fahrplandaten und der Kontakt zu Lokführern und Personal waren nicht mehr möglich. Der gesamte Zugverkehr in Norddeutschland musste für etwa drei Stunden eingestellt werden.[4] In Norddeutschland fielen weite Teile des Fern- und Regionalverkehrs mehrere Stunden lang aus. Dadurch kam auch der gesamte ICE-Verkehr zwischen Berlin, Hannover und Nordrhein-Westfalen zum Erliegen. Auch der Güterverkehr und der internationale Fernverkehr zwischen Berlin und Amsterdam sowie private Bahnbetreiber waren betroffen.[3][5][6][7]
Etwa vier Stunden vor dem Ausfall des Zugfunks öffneten ein oder mehrere unbekannte Täter zunächst einen an einer Bahnstrecke bei Herne befindlichen Kabelschacht, der mit einem massiven Betondeckel gesichert war und zerschnitten dort Leitungen für die interne Bahn-Kommunikation mit einer Trennscheibe. Gegen 6:40 Uhr wurde dann in Berlin-Karow ein weiterer Schacht geöffnet und das dortige Datenkabel durchtrennt, das zu der Zeit als Redundanz für die bei Herne durchtrennte Datenleitung diente.[3]
Ursachen und mögliche Täterschaft[Bearbeiten]
Nach Angaben von Verkehrsminister Volker Wissing wurde dies durch einen mutwilligen Anschlag verursacht. „Wir wissen, dass an zwei unterschiedlichen Standorten in Deutschland die Kabel vorsätzlich durchtrennt worden sind“, sagte Wissing. „Klar ist, dass es sich um ein gezieltes und mutwilliges Vorgehen handelt.“ Die Hintergründe der Tat seien zunächst aber nicht bekannt. Ein Sprecher der Bundespolizeidirektion Berlin sagte, die Tatorte befänden sich in Berlin-Hohenschönhausen und in Nordrhein-Westfalen. Die Ermittlungen würden mit Hochdruck in alle Richtungen geführt, etwa wegen verfassungsfeindlicher Sabotage (§ 88 StGB).[8] „Aktuell ist von einer zielgerichteten Fremdeinwirkung von außen auf Kabel der Deutschen Bahn auszugehen“, sagte der Sprecher.[9] Nachdem anfänglich die Bundespolizei ermittelte, wurden die Ermittlungen zunächst an den Staatsschutz des Landeskriminalamts Berlin und an den des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen übergeben.[3][10] Laut einem Fahnder haben der oder die Täter Fachkenntnis über die Datenleitungen der Bahn gehabt.[3] Am 13. Oktober übernahm die Bundesanwaltschaft das Verfahren wegen der möglichen verfassungsfeindlichen Sabotage und der besonderen Bedeutung des Falls.[11] Die Ermittlungen soll das Bundeskriminalamt übernehmen.[12] Laut Fahndern seien die Kabel sehr wahrscheinlich koordiniert durchtrennt worden.[13]
Der Terrorismusexperte der ARD, Holger Schmidt, geht von einer neuen Tätergruppierung aus, die professioneller sei und mehr Möglichkeiten habe als bei früheren Anschlägen auf die Infrastruktur der Bahn. Der IT-Sicherheitsberater Manuel Atug, einer der Gründer und Sprecher der Arbeitsgruppe Kritische Infrastrukturen (AG KRITIS), verwies auf eine ähnliche Gefahrenlage bei Telekommunikation, dem Schiffsverkehr, Banken und Versicherungen, das Verständnis für Sicherheit auf allen Ebenen fehle aber.[14] Unter Verweis auf ein internes Papier des Bundeskriminalamts wurde berichtet, dass die Ermittler staatlich gesteuerte Sabotage nicht ausschlössen. Der Vorsitzende des Europaausschusses, Anton Hofreiter (Bündnis 90/Die Grünen), merkte an: „Wir können nicht ausschließen, dass Russland auch hinter dem Angriff auf die Bahn steckt”, es seien dafür „sehr genaue Kenntnisse über das Funksystem der Bahn nötig” gewesen.[15]
Reaktionen[Bearbeiten]
Der SPD-Verkehrspolitiker Detlef Müller verlangte vom Verkehrsminister und der Deutschen Bahn die Entwicklung eines Sicherheitskonzepts. Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, rief dazu auf, die Ergebnisse der Polizeiermittlungen abzuwarten, verwies jedoch auf die durch hybride Kriegführung hervorgerufene Notwendigkeit, Sicherheitskonzepte anzupassen. Der Anschlag habe eine neue Qualität. „Dass an zwei unterschiedlichen Stellen in Deutschland nahezu zeitgleich ein Anschlag auf die kritische Infrastruktur verübt wird, der ein hohes Maß an Insiderwissen voraussetzt, weist auf einen Organisationsgrad der Angreifer hin, mit dem wir bislang in dieser Form noch nicht konfrontiert waren“, sagte Frei. „Das ist neu. Das ist anders. Das muss nun mit Hochdruck und vollem Einsatz ermittelt werden.“[16]. Die Grünen-Politikerin Irene Mihalic erneuerte die Forderung, Mittel aus dem Bundeswehr-Sondervermögen für den Schutz der kritischen Infrastruktur zu verwenden, ansonsten müssten die notwendigen zusätzlichen Mittel im Haushalt bereitgestellt werden.[17][18]
Der Politikwissenschaftler Peter R. Neumann warnte aus Anlass des Anschlags vor großen Sicherheitslücken in der kritischen Infrastruktur: Das Problem sei vor allem, dass diese zu 80 % in privaten Händen läge und Sicherheitsmaßnahmen oft nicht lukrativ seien. Auch hinke der Schutz der physischen Infrastruktur inzwischen dem Cyberbereich hinterher, weil es dort in der Vergangenheit mehr Angriffe gegeben habe. Die Bahnsabotage sei erst dadurch möglich geworden, dass etwa in den Bereichen Verkehr und Energie hierzulande zu lange keine Sicherheitsvorkehrungen gegen Sabotage-Angriffe getroffen worden seien.[19]
Einzelnachweise[Bearbeiten]
- ↑ Zugausfall in großen Teilen Norddeutschlands. In: deutschebahn.com. Deutsche Bahn, 8. Oktober 2022, abgerufen am 8. Oktober 2022.
- ↑ Nach Sabotage: Bahnverkehr im Raum Norddeutschland normalisiert sich weiter. In: deutschebahn.com. Deutsche Bahn, 8. Oktober 2022, abgerufen am 8. Oktober 2022.
- ↑ 3,0 3,1 3,2 3,3 3,4 Was wir über die Sabotage bei der Bahn wissen – und was nicht. In: spiegel.de. 8. Oktober 2022, abgerufen am 8. Oktober 2022.
- ↑ Bahn bezichtigt Unbekannte der Sabotage. In: spiegel.de, 8. Oktober 2022.
- ↑ Nail Akkoyun, Christian Weihrauch, Alina Schröder: Sabotage an Bahnstrecken: Polizei sucht nach Tätern. In: hna.de, 9. Oktober 2022.
- ↑ Sabotage-Akt bei der Bahn - Ermittlungen laufen, NDR, 9. Oktober 2022.
- ↑ Nach Bahn-Chaos in Norddeutschland: Was wir wissen – und was nicht, buten un binnen, Radio Bremen vom 9. Oktober 2022.
- ↑ Katharina Reisch, Paul Schäfer: Vorsätzliche Kabel-Sabotage bei der Bahn: Welche Delikte haben die Täter begangen? Legal Tribune Online, 13. Oktober 2022.
- ↑ Zugausfälle in Norddeutschland: Bahn-Kabel wurden „vorsätzlich durchtrennt“. In: zeit.de, 8. Oktober 2022.
- ↑ Verkehrsminister Wissing spricht von »vorsätzlicher Tat. In: spiegel.de, 8. Oktober 2022.
- ↑ Bundesanwaltschaft übernimmt Ermittlungen bei tagesschau.de vom 13. Oktober 2022
- ↑ Lahmgelegter Bahnverkehr: Bundesanwaltschaft ermittelt wegen Verdachts auf Sabotage, Stern, 13. Oktober 2022
- ↑ Matthias Gebauer, Fidelius Schmid: Generalbundesanwalt übernimmt Ermittlungen zu Bahnsabotage. In: spiegel.de. 13. Oktober 2020, abgerufen am 14. Oktober 2022.
- ↑ „Auf gewisse Weise professioneller“. In: tagesschau.de, 8. Oktober 2022.
- ↑ Politiker verlangen nach Bahn-Sabotage Konsequenzen. In: spiegel.de, 9. Oktober 2022.
- ↑ Alisha Mendgen: Zum Schutz der Infrastruktur „bedarf es nicht des ‚Sondervermögens Bundeswehr‘“. In: rnd.de. Redaktionsnetzwerk Deutschland, 9. Oktober 2022
- ↑ Nach Sabotage bei Bahn: Ermittler suchen nach Tätern. in: srf.ch, 9. Oktober 2022.
- ↑ „Über Sicherheitsarchitektur neu nachdenken“. In: tagesschau.de, 9. Oktober 2022.
- ↑ Terrorforscher warnt vor Verwundbarkeit deutscher Infrastruktur, Stern, 11. Oktober 2022
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