Hypnagoge Lichterfahrung
Die Hypnagoge Lichterfahrung ist eine von den Tiroler Forschern Engelbert J. Winkler und Dirk W. Proeckl entwickelte Methode: Durch eine Neurostimulation (z. B. künstliches Licht, Sonne, Stroboskop) kann eine Veränderung des Bewußtseinszustandes unmittelbar herbeigeführt werden, um persönliche Einstellungen sodann zu ändern, und folglich die psychische und physische Gesundheit positiv zu beeinflussen. Die Hypnagoge Lichterfahrung ist per se eine Tranceinduktion, wobei man selbst die Fähigkeit aktiviert, an den eigenen Einstellungen zu arbeiten und somit individuelles Erleben zu ermöglichen. Dabei beziehen sich die beiden Forscher auf den hypnotherapeutischen Therapieansatz von Milton Erickson, der von Therapeuten und Therapeutinnen forderte, dem Patienten und der Patientin zu helfen, in das eigene Sein so weit vorzudringen, dass jene Bereiche erreicht werden, wo im Frankl’schen Sinne die eigene, innere Gesundheit stets vorhanden ist.
Diesem Ansatz liegt das Wirkprinzip schamanischer Traditionen sowie der Heil- und Mysterienkulte[1] zugrunde.
Die Hypnagoge Lichterfahrung basiert auf den Ansätzen von Hypnagogie und der „Sinnfrage“ nach Viktor E. Frankl.
Hypnagogie[Bearbeiten]
Als Hypnagogie bezeichnet man einen Bewusstseinszustand, der beim Übergang vom Wachzustand in den Schlaf auftritt. In dieser Phase können Wachträume, visuelle, auditive und/ oder taktile Halluzinationen sowie eine Schlafparalyse auftreten.
Sinnfrage nach Viktor Frankl[Bearbeiten]
Viktor Frankl (1905–1997) hat sich Zeit seines Lebens mit der Sinnthematik befasst. Die Sinnfrage wurde von ihm als einem der ersten 1926 beim 3. Internationalen Kongress für Individualpsychologie in Düsseldorf erstmalig angeschnitten und fand sodann Eingang in die Psychotherapie.[2]
Viktor Frankl setzte sich intensiv mit den psychologischen Theorien und Konzepten seiner Zeit auseinander. Im Gegensatz zu diesen sah er nicht den von seinen Trieben (vgl. Sigmund Freud) oder Streben nach Macht (vgl. Alfred Adler) geleiteten Menschen, sondern als ein geistiges Wesen, das nach Sinn strebt. Der Mensch will den Sinn seiner Existenz auf Erden erfassen und verstehen.[3]
Dabei geht er von der Annahme aus, dass Sinn nicht gegeben werden kann, sondern gefunden werden muss.[4] Sinn kann nicht von außen bzw. jemand anderem vorgegeben werden. Sinn hängt von der Formation der eigenen Persönlichkeit ab. Als geistiges Wesen, als „zoon logon echon“ (Aristoteles) möchte der Mensch sein Leben verstehen und nach seinen eigenen Werten gestalten. Das unterscheidet ihn vom Tier.[5] “Es wird nicht einfach eine Figur wahrgenommen, die uns vor einem „Hintergrund“ in die Augen springt, sondern bei der Sinn-Wahrnehmung handelt es sich um die Entdeckung einer Möglichkeit vor dem Hintergrund der Wirklichkeit. Und diese Möglichkeit ist jeweils einmalig. Sie ist vergänglich. Aber auch nur sie ist vergänglich. Ist eine Sinnmöglichkeit einmal verwirklicht, ist der Sinn einmal erfüllt, so ist er es nämlich ein für allemal.”[6]
Wertekategorien nach Viktor Frankl[Bearbeiten]
Frankl nennt drei Wertekategorien, deren Symbiose es dem Menschen ermöglicht, Sinn zu verwirklichen:[7]
- Einstellungen (Einstellungswerte)
- Tätigkeiten oder Verhalten (Tätigkeitswerte) – aktiv
- Erleben (Erlebenswerte) – passiv
Ein Mensch, der zum Beispiel durch Krankheit in Tätigkeit und Erleben so eingeschränkt wird, dass kein sinnhaftes Erleben oder Handeln objektiv mehr möglich ist, kann durch die Umsetzung von Einstellungswerten immer noch Sinn (und damit Gesundheit) finden (siehe Sinn des Lebens). Demnach kann ein Therapeut oder eine Therapeutin den psychisch kranken Patienten oder die Patientin nur zur Genesung führen, wenn er ihm oder ihr zu einer eigenen gewählten Wert- und Weltanschauung verhilft, den Störfaktor der „Krankheit“ zu verdecken und dadurch Gesundheit herbeizuführen. Mit dem Geist kann der Mensch somit in eine Sphäre vordringen, die von Krankheit nicht mehr erreicht werden kann.[8]
Mit der Sinnfrage beschäftigen sich auch die unterschiedlichen Religionen. Allerdings bezieht sich hier die Sinnfrage auf einen vorgegebenen Sinn für alle Menschen. Das Frankl´sche Postulat hingegen sieht Sinn als gesucht, individuell und situationsabhängig.[9]
Die Begrifflichkeit von „Sinn“ und seine Bedeutung für die Psychotherapie[Bearbeiten]
Die Begrifflichkeit „Sinn“ in seiner ursprünglichen Bedeutung bezeichnete im Althochdeutschen „Gang, Reise, Weg“. Das Wort entstammt der indogermanischen Wurzel *sent-, die „eine Richtung nehmen, eine Fährte suchen“ bedeutet.[10] Eine Weiterentwicklung der Wurzel kann im Lateinischen „sentire“ – wahrnehmen, fühlen, meinen, dafürhalten, im Althochdeutschen „sinnan„ - reisen, streben, trachten, gefunden werden.[11] Sinn bedeutet neben dem Sinnesorgan auch „geistiger Gehalt“: innere Beziehung zu etwas bzw. Gefühl für etwas.[12]
Hypnagoge Lichterfahrung und die Kunst (der Heilung)[Bearbeiten]
Kunstfaktor[Bearbeiten]
Die Hypnagoge Lichterfahrung unterstützt die Entfaltung des individuellen künstlerischen Potentials. Mittels wissenschaftlicher Studien wurde festgestellt, dass durch einen Neurostimulator Denkblockaden gelöst werden können, indem man in einen anderen Bewusstseinszustand versetzt wird, somit kreatives Potential freigesetzt und infolge dessen das Gehirn eigenständig ästhetische Bildfolgen[13][14][15] kreiert, was der Entstehung eines Kunstwerks gleichkommt. In der Einheit des Erlebens und gleichzeitigen Schaffens der Bildfolgen verschmelzen Betrachter und Künstler in einer Person. Winkler nennt diesen Vorgang des Kunstschaffens „Neuro-Art“.[16]
Heilungsfaktor[Bearbeiten]
Die mittels der Hypnagogen Lichterfahrung entstandenen Bilder erzeugen beim Betrachter eine bestimmte Stimmung bzw. spirituelle Erfahrungen, die zu einer individuellen Heilungserfahrung führen können. Verglichen werden kann dies mit Heilung im spirituellen Sinne wie es bei Religionen vorkommt. Diese verwenden Kunst als Stimulator für bestimmte Stimmungen bzw. spirituelle Erfahrungen, die letztendlich zu Heilung führen sollten.[17]
Weitere Möglichkeiten der Änderung des Bewusstseinszustandes[Bearbeiten]
Weitere Möglichkeiten der Bewusstseinsänderung durch externe Auslöser, die körperliche und geistige Prozesse generieren, sind zum Beispiel: Nahtoderfahrungen, Meditation, psychedelische Substanzen oder Atemtechniken.
Die Todesnähe-Forschung kennt ebenfalls die Wirkung intensiver Lichterfahrungen, die zu physischen Spontanheilungen ebenso wie zu grundlegenden Einstellungsänderungen[18] führen können.
Einzelnachweise[Bearbeiten]
- ↑ Yulia Ustinova: Caves and the Ancient Greek Mind – Descending Underground in the Search for Ultimate Truth. Oxford University Press, 2009, ISBN 978-0-19-954856-9
- ↑ Alfried Länge: Das Sinnkonzept V. Frankls – ein Beitrag für die gesamte Psychotherapie S. 2, In: Petzold H. G., Orth I (Hrsg.) Sinn, Sinnerfahrung, Lebenssinn in Psychologie und Psychotherapie, Bd. II. Bielefeld/ Locarno: Aisthesis, pp. 403-460, abgerufen am 30.10.2021, https://laengle.info/userfile/doc/Sinn---Petzold-2004.pdf, abgerufen am 2.10.2021
- ↑ Christoph Riedel, Renate Deckart, Alexander Noyan: Existenzanalyse und Logotherapie für Studium und Praxis. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2002, ISBN 3-534-14443-0, ISBN 978-3-534-14443-3
- ↑ Viktor E. Frankl: Der Wille zum Sinn. Hogrefe AG, 2012, ISBN 3-456-85077-8, ISBN 978-3-456-85077-1
- ↑ Viktor E. Frankl: Ärztliche Seelsorge. Grundlagen der Logotherapie und Existenztherapie. Mit 10 Thesen über die Person. Deuticke Verlag, Wien 2007, ISBN 978-3-423-34427-2
- ↑ Viktor E. Frankl: Das Leiden am sinnlosen Leben. Psychotherapie für heute. Verlag Herder, Freiburg, Basel, Wien 1997, S. 28, ISBN 3-451-04030-1
- ↑ Viktor E. Frankl: Die Sinnfrage in der Psychotherapie. Piper, München 1981, ISBN 3-492-00514-4
- ↑ Viktor E. Frankl: ... trotzdem Ja zum Leben sagen. Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager. Kösel, München 2012, ISBN 978-3-466-36859-4
- ↑ Viktor E. Frankl: Der unbewußte Gott, Psychotherapie und Religion. dtv, München 1988, ISBN 3-423-35058-X
- ↑ Duden - Das Herkunftswörterbuch. Etymologie der deutschen Sprache. Dudenverlag, 26. Auflage 2020, ISBN 3-411-04076-9, ISBN 978-3-411-04076-6
- ↑ Friedrich Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. de Gruyter, 25. Auflage 2011, ISBN 978-3-11-022364-4
- ↑ Duden - Bedeutungswörterbuch: Dudenverlag, 3. Auflage 1984, ISBN 3-411-04103-X, ISBN 978-3-411-04103-9
- ↑ David J. Schwartzman, Michael Schartner, Benjamin B. Ador, Francesca Simonelli, Acer Y.-C. Chang, Anil K. Seth: Increased spontaneous EEG signal diversity during stroboscopically-induced altered states of consciousness. University of Sussex, https://www.biorxiv.org/content/10.1101/511766v1.article-info=, (This article is a preprint and has not been peer-reviewed), abgerufen am 9. Oktober 2021
- ↑ Marie Therese Bartossek, Johanna Kemmerer, Timo Torsten Schmidt: Altered states phenomena induced by visual flicker light stimulation. (open source article), https://doi.org/10.1371/journal.pone.0253779, abgerufen am 9. Oktober 2021
- ↑ Ralph Bucherer: Studie „Into the light, Kreativität durch psychedelische Lichtreisen“, University of applied sciences Munich, München 2015 (unveröffentlicht)
- ↑ Engelbert J. Winkler: Lucia No. 3 Hypnagoge Lichterfahrung und Neuro-Art. Light Attendance GmbH, Innsbruck 2017, S. 88, ISBN 3-200-03150-6, ISBN 978-3-200-03150-0
- ↑ Engelbert J. Winkler: Lucia No 3 Hypnagoge Lichterfahrung und Neuro-Art. Light Attendance GmbH, Innsbruck 2017, S. 112, ISBN 3-200-03150-6, ISBN 978-3-200-03150-0
- ↑ Mark Fox: Spiritual Encounters with Unusual Light. University of Wales Press, 2008, ISBN 0-7083-2157-7, ISBN 978-0-7083-2157-7
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