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Wertstufendemokratie

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Die Wertstufendemokratie ist ein Demokratiemodell, das nach den politischen Sachbereichen Wirtschaft (1), Politik im engeren Sinn (2), Kultur (3) und Grundwerte/Legitimation (4) gegliedert ist und eine von den demokratischen Grundwerten ausgehende Rahmengesetzgebung vorsieht. Diese institutionelle, auch als „Viergliederung“ bezeichnete Aufteilung der Staatsgewalt entspricht den System-Ebenen und damit „Wertstufen“ der Gesellschaft in ihrer reflexions-systemtheoretisch begründeten Rangfolge.[1] Mit der Gliederung soll sowohl die strukturelle Unsachlichkeit des bestehenden Parteiensystems aufgehoben als auch der Vorrang von demokratischen Grundwerten institutionell abgesichert werden.

Die inhaltliche Gliederung nach den Wertstufen gilt prinzipiell für alle formalen Staatsfunktionen („Gewalten“), betrifft aber hinsichtlich ihrer Konsequenzen insbesondere die Legislative und die daraus hervorgehende Regierungs-Exekutive. So werden Wirtschafts-, Politik-, Kultur- und Grundwerteparlament unabhängig voneinander in verschiedenen Wahljahren, im Zuge gesonderter Wahldebatten gewählt und aus neuartigen Sachparteien gebildet, die rechtmäßig nur für einen der vier politischen Sachbereiche antreten dürfen. Bei der Gesetzgebung arbeiten die Sachparlamente nach einem systemischen Kreislaufverfahren zusammen: Ihre arbeitsteilig gewonnenen Gesetzes-Perspektiven werden integriert, indem Gesetzesentwürfe zur Bearbeitung reihum durch die Sachparlamente gereicht und eventuelle Streitigkeiten gemäß der rahmengesetzgebenden Weisungsbefugnis der ranghöheren Parlamente geregelt werden. Analog gehen aus den vier Sachparlamenten vier eigenständige Regierungen hervor, die einerseits auf ihren politischen Sachbereich festgelegt sind, andererseits wiederum gemäß der Wertstufen-Rangfolge miteinander kooperieren.

Insofern in der Wertstufendemokratie die formale Gewaltenteilung um eine materiale (inhaltliche) Gliederung ergänzt wird, lässt sich von einer potenzierten Gewaltenteilung sprechen.[2] Durch die bereichsspezifischen Wahlen von spezialisierten Sachparteien und -abgeordneten stellt sie zudem eine innere Synthese von direkter und repräsentativer Demokratie dar.[3]

Reflexions-Systemtheorie des Sozialen[Bearbeiten]

Theoretische Grundlage der Wertstufendemokratie ist die von Johannes Heinrichs entwickelte Reflexions-Systemtheorie des Sozialen, in der philosophische Handlungstheorie und soziologische Systemtheorie durch das Prinzip der praktischen sozialen Reflexion vermittelt sind. Ihr zufolge beruht das zwischenmenschliche Verhältnis auf vier interpersonalen Reflexionsstufen, die sich in der Gesellschaft zu vier relativ eigenständigen System-Ebenen oder Subsystemen ausprägen.[4] Diese Differenzierung der Subsysteme oder „Wertsphären“ (Max Weber) erfolgt historisch dadurch, dass sich für jede Reflexionsstufe des sozialen Handelns ein spezifisches Medium herausbildet, welches die jeweilige Form der sozialen Interaktion normiert und über den Gesichtskreis der einzelnen Individuen hinaus gesamtgesellschaftlich vermittelt.[5]

1. Wirtschaftssystem (Medium Geld): Konsum, Produktion, Handel, Geldsystem

Auf der ersten Reflexionsstufe reflektieren die Subjekte einander einfachhin als Objekte bzw. in Bezug auf Objektives und behandeln einander instrumental.[6] Entsprechend prägt sich gesamtgesellschaftlich das Subsystem der Wirtschaft mit dem multilateralen Medium Geld aus.[7] Die von Marx stammende Gliederung des Kapitals in Konsumtions-, Produktions- und Zirkulationssphäre wird reflexions-systemtheoretisch erweitert durch die Unterscheidung der letzteren in die Sphäre des intersubjektiven Austauschs (Handel) und der systemischen Regulierung (Geldsystem).[8]

2. Politiksystem (Medium Recht): Administrative, Exekutive, Legislative, Judikative

Auf der zweiten Reflexionsstufe reflektieren die Subjekte einander als Subjekte, die jeweils ihre persönlichen Zwecke verfolgen. Entsprechend beziehen sie das Verhalten der anderen bei der Verfolgung der eigenen Zwecke berechnend mit ein, behandeln einander also strategisch.[9] Dieser Reflexionsstufe entspricht gesamtgesellschaftlich dem politischen System, das sich durch das die gesellschaftliche Macht bündelnde und nach Regeln kanalisierende Medium des Rechts konstituiert.[10] Die klassische Gewaltenteilung in Exekutive – Legislative – Judikative wird reflexions-systemtheoretisch präzisiert durch Unterscheidung der Exekutive in die verwaltende Exekutive oder Administrative, die Gesetze lediglich anwendet (z.B. Finanzamt), und Regierungs-Exekutive, die innerhalb des gesetzlichen Spielraums Maßnahmen ergreift (z.B. Bundesfinanzministerium).[11]

3. Kultursystem (Medium Sprache): Pädagogik, Wissenschaft, Publizistik, Kunst

Auf der dritten Reflexionsstufe reflektieren die Subjekte einander um einander selbst willen. Das Verhalten der Anderen wird nicht mehr berechnend miteinbezogen, sondern die Zwecke der Anderen werden reflektiert, als wären es die eigenen. Die Subjekte behandeln einander verständigungsorientiert oder kommunikativ.[12] Gesamtgesellschaftlich entspricht diese kommunikative Gegenseitigkeit des wechselweise Aufeinander-Eingehens dem Kultursystem, das insbesondere durch das Medium der Sprache ermöglicht wird.[13]

4. Legitimationssystem (Medium Axiome/Riten): Weltanschauung, Ethik, Religion, Spiritualität

Auf der vierten Reflexionsstufe reflektieren die Subjekte einander in Bezug auf ihre Gemeinsamkeit. Die interpersonale Reflexion findet hier ihren strukturellen Abschluss: die Subjekte können durch die gemeinsame Stellungnahme zu ihrer Gegenseitigkeit in gemeinsamen Inhalten übereinkommen (von profanen Abmachungen bis hin zu Übereinkünften in Zielen, Normen, Werten, Glaubenssätzen etc.) und somit eine reflexive Einheit bilden. Durch solche erfolgreiche Metakommunikation entstehen und wandeln sich interpersonale Beziehungsgeflechte (soziale Systeme).[14] Die metakommunikative Ebene etabliert sich gesamtgesellschaftlich als Legitimations- oder Grundwerte-System, indem sich Axiome und Riten herausbilden, die als Medium aller Gemeinsamkeit und von Normensetzung überhaupt fungieren (ein positives Beispiel wäre die unbedingte Anerkennung der Menschenwürde und der aus ihr fließenden Grundrechte in einer demokratischen Gesellschaft).[15]

Ausdifferenzierung und Interpenetration der Subsysteme[Bearbeiten]

Einerseits differenzieren sich die sozialen Subsysteme – oft im Zuge heftiger Kriege und Auseinandersetzungen – historisch zu relativ eigenständigen Subsysteme der Gesellschaft aus, die füreinander Außenwelten bilden (ein Prozess, der nach Heinrichs insbesondere die Epoche der Moderne kennzeichnet und noch nicht vollständig abgeschlossen ist); andererseits stehen die Subsysteme in einem komplexen wechselseitigen Durchdringungsverhältnis.[16] Das politische System z.B. ist zwar ein Subsystem der Gesellschaft, durchgreift jedoch, indem es den rechtlichen Rahmen für die gesamte Gesellschaft festlegt, alle sozialen Ebenen, weshalb sich reflexions-systemtheoretisch wiederum vier inhaltliche Dimensionen oder Sachbereiche der Politik gemäß ihrer Reflexionsstufung unterscheiden lassen: Wirtschaftspolitik (1), Politik im engeren Sinn (2), Kulturpolitik (3), Grundwertepolitik (4).[17]

Kritik des bestehenden Parteiensystems aus reflexions-systemtheoretischer Sicht[Bearbeiten]

Vor dem Hintergrund der Unterscheidung von vier politischen Sachbereichen und deren Rangordnung geben sich aus reflexions-systemtheoretischer Perspektive hauptsächlich zwei strukturelle Defizite des bestehenden demokratischen Systems zu erkennen:

Strukturelle Unsachlichkeit[Bearbeiten]

Obwohl die verschiedenen Themen der Politik ebenso unterschiedliche wie umfangreiche Kenntnisse erfordern, werden Parteien und Abgeordnete nicht für bestimmte politische Sachbereiche, sondern für sämtliche Angelegenheiten des Gemeinwesens auf einmal gewählt. Insofern lässt sich von einer inhaltlichen Überforderung der Parteien sprechen, woraus in der Tendenz eine inhaltlich entleerte Machtkonkurrenz der Parteien resultiert. Begleiterscheinung dessen ist u.a. der unsachliche Fraktionszwang zwecks Mehrheitsbeschaffung für den regierenden Parteienblock unter Beeinträchtigung der Gewissensfreiheit der einzelnen Abgeordneten und die gegenseitige Annäherung der Parteien, die sich mehrheitlich in grundsätzlichen Fragen kaum noch unterscheiden. Weiterhin ist eine geordnete Inbezugsetzung der wirtschaftlichen, politischen, kulturellen und ethischen Gesetzesperspektive in einem Einheitsparlament nicht gewährleistet. Weil die Einheitsparteien alle Themen zugleich bedienen müssen, ist der Bevölkerung zudem in Bezug auf viele Sachfragen kein präzises Votum möglich. Die mangelnde Repräsentativität der Allzuständigkeitsparteien gipfelt schließlich auf in Wahldilemmata – z.B. kann Partei X besser in Sachen Außenpolitik erscheinen, Partei Y in Bezug auf Finanzpolitik, Partei Z im Hinblick auf Entwicklungspolitik etc.[18]

Strukturelle Korruption infolge der Wirtschaftsabhängigkeit des Gemeinwesens[Bearbeiten]

Das Parlament ist durch den Kontakt der Abgeordneten zu wirtschaftlichen Interessengruppen permanent einer intransparenten Einflussnahme ausgesetzt. Im Zeitalter eines globalen Marktes, auf dem die Nationen um Investitionen und Arbeitsplätze konkurrieren, ist zudem eine strukturelle Korruption der Demokratie durch wirtschaftliche Partikularinteressen gegeben, insofern die Sicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit im Konflikt mit demokratischen Grundwerten und kulturellen Werten steht. Dies erschwert u.a. die internationale Friedenspolitik und die Einführung von Regulierungen wie Sozial- und Umweltauflagen. Obwohl die Wirtschaft aus reflexions-systemtheoretischer Sicht als dienender „Unterbau“ der Gesellschaft fungieren sollte, dominiert sie also das komplette Gemeinwesen durch ihren Einfluss auf die Politik.[19] Diese Wirtschaftsabhängigkeit der kapitalistischen Demokratie kann zwar prinzipiell durch eine tiefgreifende Reform der Wirtschaft aufgehoben werden. Politisch-strukturelle Bedingung für eine solche Transformation ist aus reflexions-systemtheoretischer Sicht allerdings die Einführung von bereichsspezifischen und erst dadurch kompetenten und gestaltungsfähigen demokratischen Gremien sowie die institutionelle Rangordnung derselben nach den sozialen Ebenen oder Wertstufen.

Modell der Wertstufendemokratie[Bearbeiten]

Gliederung des politischen Systems nach den sozialen Ebenen[Bearbeiten]

Die Wertstufendemokratie sieht eine Gliederung des politischen Systems, insbesondere der Legislative und der daraus hervorgehenden Regierungs-Exekutive, nach den sozialen Ebenen bzw. den entsprechenden politischen Sachbereichen (Gesetzesperspektiven) vor. Die formale Teilung der Staatsgewalt (Administrative – Regierungs-Exekutive – Legislative – Judikative) soll also durch eine materiale (inhaltliche) Teilung ergänzt werden. Daraus resultieren vier Sachparlamente, aus denen jeweils eine Sachregierung hervorgeht: Wirtschaftsparlament (1), Politikparlament (2), Kulturparlament (3) und Grundwerteparlament (4).[20] Diese bereichsspezifischen Parlamente werden unabhängig voneinander in verschiedenen Wahljahren gewählt, wobei sich die Wahldebatten auf einen der vier politischen Sachbereiche fokussieren. Die herkömmlichen Allzuständigkeitsparteien sind mit der Einführung der Wertstufendemokratie gesetzlich verboten; stattdessen bilden sich neuartige Sachparteien, die sich ausschließlich auf eine Ebene des Sozialen und dessen politische Gestaltung spezialisieren.

Wirtschaftsparlament: Konsum, Produktion, Handel, Geld[Bearbeiten]

Das Wirtschaftsparlament ist für die wirtschaftliche Gesetzesperspektive zuständig. Mit ihm ist erstmalig ein demokratisch legitimiertes Gremium eingerichtet, das ausschließlich wirtschaftliche Fragen thematisiert (Heinrichs spricht insofern von einer „Wirtschaftsdemokratie“)[21]. Es ist gebunden an die Weisungen der drei übergeordneten Parlamente.

Politikparlament: Boden & Verkehr, Sicherheit, Außenpolitik, Verfassungspolitik[Bearbeiten]

Das Politikparlament ist für Politik im engeren Sinne, d.h. eigens für die machtpolitische Gesetzesperspektive zuständig. Hier steht die strategische Ebene der Interessenverfolgung und somit die Regulierung von Machtkompetenzen im Fokus der Politik.[22] Es hat die Befugnis, dem Wirtschaftsparlament Weisungen zu erteilen, ist allerdings selbst an die Vorgaben des Kultur- und Grundwerteparlaments gebunden.

Kulturparlament: Pädagogik, Wissenschaft, Publizistik, Kunst[Bearbeiten]

Im Kulturparlament wird die kulturelle Gesetzesperspektive in den Blick genommen. Diese umfasst neben den kulturellen Systemfunktionen von Pädagogik, Wissenschaft, Publizistik und Kunst sämtliche Fragen des kommunikativen Miteinanders, wozu insbesondere Fragen der Pflege, Bewahrung und Förderung des kulturellen Erbes und überhaupt die rechtliche Gestaltung und Ermöglichung einer lebendigen Kommunikationsgemeinschaft gehören.[23] Während es sowohl dem Wirtschafts- als auch dem Politikparlament Weisungen erteilen darf, ist es selbst an die Weisungen des Grundwerteparlaments gebunden.

Grundwerteparlament: Weltanschauung, Ethik, Religion, Spiritualität[Bearbeiten]

Das Grundwerteparlament ist für die weltanschaulich-ethisch-religiöse Gesetzes-Perspektive zuständig.[24] Seine Aufgabe ist es, die im Grundgesetz formulierten „Grundwerte (...) dynamisch zu konkretisieren“, die „Transparenz des religiös-weltanschaulichen Kräftespiels und Austauschs“[25] herzustellen und somit eine freie Vergemeinschaftung der Menschen in Letztwerten und Glaubenssätzen rechtlich zu ermöglichen (was nach Heinrichs die Abschaffung von Privilegien der christlichen Konfessionen miteinschließt). Insbesondere kann auch die ethische Perspektive auf technologische Eingriffe und Möglichkeiten (Abtreibung, Gentechnik, Künstliche Intelligenz) im Grundwerteparlament eigens und entlastet von anderen Sach- und Machtfragen diskutiert werden. Als ranghöchste Instanz ist es allen anderen Parlamenten gegenüber weisungsbefugt. Nicht zuletzt angesichts der drohenden Umwelt- und Klimakatastrophe, der globalen sozialen Ungleichheit und der Deregulierung der Märkte kommt ihm eine herausragende Bedeutung zu.

Systemischer Kreislauf der Gesetzgebung[Bearbeiten]

Wenn auch jedes Thema materialiter einem bestimmten Sachparlament zuzuordnen ist, lässt es sich doch formaliter stets aus allen vier sozialen Perspektiven betrachten.[26] Beispielsweise gehört das Bedingungslose Grundeinkommen als finanzielle Transferleistung thematisch dem Wirtschaftsparlament an, hat aber zugleich machtstrategische, kulturelle und ethische Aspekte, die im Zuständigkeitsbereich der anderen Sachparlamente liegen. Entsprechend werden Sachparlamente in der Wertstufendemokratie durch ein systemisches Kreislaufverfahren miteinander koordiniert. Jedes Sachparlament kann von sich aus Gesetzesentwürfe anstoßen, die sodann zur gemeinsamen Bearbeitung reihum durch die Sachparlamente gereicht werden, damit jedes (bei Bedarf) seine spezifischen Kenntnisse miteinfließen lassen kann und stets alle Gesetzes-Perspektiven berücksichtigt werden. Dabei lassen sich der hierarchische Aspekt der Rahmengesetzgebung und der heterarchische Aspekt der zirkulären Rückkopplung unterscheiden.[27]

Rahmengesetzgebung[Bearbeiten]

In diesem Kreislauf der Gesetzgebung kommt eine rahmengesetzgebende Weisungsbefugnis gemäß der wertgestuften Rangfolge der Parlamente zum Zuge. Diese erlaubt es den ranghöheren Parlamenten, insbesondere dem Grundwerteparlament als ranghöchstem, den ihnen untergeordneten Parlamenten Weisungen zu erteilen[28] – nicht im Sinne konkreter Vorgaben, sondern von Rahmensetzungen oder Grundentscheidungen, gegen die nicht verstoßen werden darf.[29] Die Rahmengesetzgebung regelt den Vorrang der Perspektiven bei eventuellen Streitigkeiten und garantiert institutionell die Verwirklichung der demokratischen Grundwerte, sodann der kulturellen Werte, vor machtstrategischen und wirtschaftlichen Werten. Die aus den vier Sachparlamenten hervorgehenden Regierungen kooperieren ebenfalls gemäß jener Werte-Rangfolge.[30]

Zirkuläre Rückkopplung und Kontrollfunktion der Judikative[Bearbeiten]

Gesetzesentwürfe werden (eventuell mehrmals) durch alle Sachparlamente gereicht, damit jedes Sachparlament seine Perspektive einbringen und eventuell gegenüber den Weisungen ranghöherer Parlamente seine Bedenken darlegen kann.[31] Zusätzlich kommt der Judikative die Aufgabe zu, das Kreislaufverfahren der Gesetzgebung zu kontrollieren und gegebenenfalls – etwa bei Kompetenzstreitigkeiten zwischen den Parlamenten – prüfend einzuschreiten.[32]

Aspekte der Wertstufendemokratie[Bearbeiten]

Sachparteien statt Machtparteien[Bearbeiten]

Statt der heutigen Allzuständigkeitsparteien treten im differenzierten Parlamentarismus der Wertstufendemokratie neuartige und auf einen politischen Sachbereich spezialisierte Sachparteien an. Grundgedanke der Wertstufendemokratie ist, dass die Entflechtung der politischen Sachbereiche zu einer entscheidenden Versachlichung der gesamtgesellschaftlichen Debatte sowie der Parlamentsdebatten führt.[33] Abgeordnete und Parteien können sich auf ein politisches Themengebiet fokussieren, wodurch die eigentlichen Inhalte wieder in den Vordergrund treten und kompetente Vertrauensleute vom Fach in die Parlamente einziehen.

Innere Synthese von direkter und repräsentativer Demokratie[Bearbeiten]

Durch die bereichsspezifischen Wahlen ist in der Wertstufendemokratie einer innere Synthese von direkter und repräsentativer Demokratie erzielt. Es wird zwar über keine einzelnen Fragen direkt abgestimmt, wie es bei direktdemokratischen Volksabstimmungen der Fall ist. Die bereichsspezifischen Wahlen der Parlamente fungieren jedoch als direkte Abstimmungen über systemisch zusammengehörende „Bündel von Sachfragen“ eines bestimmten politischen Themengebiets.[3]

Potenzierte Gewaltenteilung[Bearbeiten]

Nicht nur die Gliederung nach den Wertstufen kann reflexions-systemtheoretisch begründet werden, sondern auch die formale rechtsstaatliche Gliederung der Staatsfunktionen. Die herkömmliche Unterscheidung von Exekutive (2) – Legislative (3) – Judikative (4) wird dabei um die Administrative (1) ergänzt. Diese lässt sich als die Gesetze bloß „objektiv“ anwendende Staatsfunktion unterscheiden von der (Regierungs-)Exekutive, welche innerhalb des gesetzlich gewährten Spielraums nicht vorgeschriebene Maßnahmen ergreift.[2]

Indem die formale Gliederung der Staatsfunktionen in der Wertstufendemokratie durch eine dazu quer stehende materiale Gliederung nach den politischen Sachbereichen ergänzt wird, lässt sich von einer strukturell weiterentwickelten, potenzierten Gewaltenteilung sprechen.[2]

Verhältnis zwischen Wertstufendemokratie und Kapitalismus[Bearbeiten]

Die Wertstufendemokratie beruht – analog zur rechtsstaatlichen Gewaltenteilung – auf einem Strukturprinzip und schreibt daher keine konkreten politischen Inhalte oder Maßnahmen vor. Durch die von den Grundwerten ausgehende Rahmengesetzgebung allerdings ist das wertstufendemokratische Modell per se genauso antikapitalistisch, wie es das demokratische Grundgesetz ist; demokratische Grundwerte, ferner kulturelle Werte und auch machtstrategische Werte, haben in der Wertstufendemokratie institutionellen Vorrang vor wirtschaftlichen Werten und geben dadurch permanent Anlass nicht nur für wirtschaftspolitische Rahmensetzungen und Regulierungen, sondern auch für eine grundsätzliche Strukturreform der Wirtschaft und eine Revision der kapitalistischen Privilegien von Zins und Kapitalrendite.[34]

Rezeption[Bearbeiten]

Von verschiedenen Autoren wurde die Wertstufendemokratie als politisch-strukturelle Bedingung einer genuin-demokratischen Selbstregierung und einer sozial-ökologischen Transformation der Gesellschaft gehandelt. So schrieb etwa der Sozialökologe, Politiker und DDR-Dissident Rudolf Bahro in einer Rezension: „Heinrichs hat nur allzu Recht, mit Hegel daran zu erinnern, daß eine komplexe moderne Gesellschaft nicht ohne eine Sozialordnung gutgehen wird, die auf wahrheitsverpflichtete Gedanken sich gründet, und den wahrlich seinsverlassenen Zeitgeist der verhängnisvollen Depotenzierung jeglichen grundsätzlichen Denkens anzuklagen. (...) Das Werk bietet Anschlüsse für alle, denen es Ernst um unsere Möglichkeit ist, noch Kultur zu bewahren, damit die Erde.“[35] Ähnlich positiv äußerte sich u.a. der Umweltwissenschaftler Hermann H. Dieter: „Ihr Buch ,Revolution der Demokratie‘ ist wirklich in der Lage, die Sicht auf die politischen Zustände zu revolutionieren. Alles, was einen immer schon an dieser sogenannten Demokratie störte – es fällt einem wie Schuppen von den Augen. (...) Eigentlich brauchte sich doch der jetzige Bundestag nur in die von Ihnen abgeleiteten und geforderten Teilparlamente aufzuteilen, vorläufig, bis z.B. 2006. Und bis dahin könnten sich die Sachparteien gründen.“[36]

Obwohl die Reflexions-System-Theorie einen umfassenden Theorie-Entwurf darstellt, durch den wesentliche Begriffe der Theorie kommunikativen Handelns in eine begründete logische Ordnung und darüber hinaus mit der systemtheoretischen Unterscheidung funktionaler Teilsysteme der Gesellschaft in Beziehung gesetzt werden, wurde sie bislang weder von Jürgen Habermas noch von Niklas Luhmann und dessen Schule rezipiert. Johannes Heinrichs beansprucht, deren ungelöst beigelegte Kontroverse[37] auf dem Boden der Reflexions-Systemtheorie überwunden zu haben. Ein diesbezüglicher offener Brief von Heinrichs an Habermas aus dem Jahre 2007 wurde bislang nicht beantwortet (Stand Juni 2023).[38]

Literatur[Bearbeiten]

  • Jürgen Habermas, Niklas Luhmann: Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie – was leistet die Systemforschung? 10. Aufl., Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1990.
  • Johannes Heinrichs: Revolution der Demokratie. Eine konstruktive Bewusstseinsrevolution, 2. Aufl., St. Augustin: Academia Verlag, 2014.
  • Johannes Heinrichs: Demokratiemanifest für die schweigende Mehrheit, 1. Aufl., Varna, Sofia, München, Moskau, Warschau, Chelmsford/ Essex (UK), Delaware (USA): Steno Verlag 2005.

Weblinks[Bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. Johannes Heinrichs: Revolution der Demokratie. 2., aktualisierte Auflage. Academia Verlag, St. Augustin 2014, S. 156 ff.
  2. 2,0 2,1 2,2 Johannes Heinrichs: Revolution der Demokratie. 2., aktualisierte Auflage. Academia Verlag, St. Augustin 2014, S. 185.
  3. 3,0 3,1 Johannes Heinrichs: Revolution der Demokratie. 2., aktualisierte Auflage. Academia Verlag, St. Augustin 2014, S. 297 ff.
  4. Johannes Heinrichs: Logik des Sozialen. Woraus Gesellschaft entsteht. 1. Auflage. Steno Verlag, München 2005, S. 181 ff.
  5. Johannes Heinrichs: Revolution der Demokratie. 2., aktualisierte Auflage. Academia Verlag, St. Augustin 2014, S. 112.
  6. Johannes Heinrichs: Revolution der Demokratie. 2., aktualisierte Auflage. Academia Verlag, St. Augustin 2014, S. 84 f.
  7. Johannes Heinrichs: Revolution der Demokratie. 2., aktualisierte Auflage. Academia Verlag, St. Augustin 2014, S. 113.
  8. Franz Theo-Gottwald: Klarstellungen. Ein Nachwort anläßlich von M. Opielkas „Gemeinschaft in Gesellschaft“. In: Johannes Heinrichs: Logik des Sozialen. Steno Verlag, München 2005, S. 308 f.
  9. Johannes Heinrichs: Revolution der Demokratie, 2., aktualisierte Auflage. Academia Verlag, St. Augustin 2014, S. 85.
  10. Johannes Heinrichs: Revolution der Demokratie. 2., aktualisierte Auflage. Academia Verlag, St. Augustin 2014, S. 117.
  11. Johannes Heinrichs: Revolution der Demokratie. 2., aktualisierte Auflage. Academia Verlag, St. Augustin 2014, S. 118.
  12. Johannes Heinrichs: Revolution der Demokratie. 2., aktualisierte Auflage. Academia Verlag, St. Augustin 2014, S. 85 f.
  13. Johannes Heinrichs: Revolution der Demokratie. 2., aktualisierte Auflage. Academia Verlag, St. Augustin 2014, S. 123.
  14. Johannes Heinrichs: Revolution der Demokratie. 2., aktualisierte Auflage. Academia Verlag, St. Augustin 2014, S. 89.
  15. Johannes Heinrichs: Revolution der Demokratie. 2., aktualisierte Auflage. Academia Verlag, St. Augustin 2014, S. 128 f.
  16. Johannes Heinrichs: Revolution der Demokratie. 2., aktualisierte Auflage. Academia Verlag, St. Augustin 2014, S. 111 f., 191 f.
  17. Johannes Heinrichs: Revolution der Demokratie. 2., aktualisierte Auflage. Academia Verlag, St. Augustin 2014, S. 189.
  18. Johannes Heinrichs: Revolution der Demokratie. 2., aktualisierte Auflage. Academia Verlag, St. Augustin 2014, S. 153 ff.
  19. Wilhelm Hankel: Warum ein neuer politischer Humanismus gebraucht wird. Geleitwort zu Johannes Heinrichs: „Sprung aus dem Teufelskreis“. Steno Verlag, München 2005, S. 8 f.
  20. Johannes Heinrichs: Revolution der Demokratie. 2, aktualisierte Auflage. Academia Verlag, St. Augustin 2014, S. 156 ff.
  21. Johannes Heinrichs: Wo bitte geht's zur Wirtschaftsdemokratie? In: Humane Wirtschaft. Mai 2013, abgerufen am 8. Juni 2023.
  22. Johannes Heinrichs: Revolution der Demokratie, 2., aktualisierte Auflage. Academia Verlag, St. Augustin 2014, S. 186 ff.
  23. Johannes Heinrichs: Revolution der Demokratie, 2., aktualisierte Auflage. Academia Verlag, St. Augustin 2014, S. 168 ff..
  24. Johannes Heinrichs: Revolution der Demokratie, 2., aktualisierte Auflage. Academia Verlag, St. Augustin 2014, S. 158 ff..
  25. Johannes Heinrichs: Revolution der Demokratie, 2., aktualisierte Auflage. Academia Verlag, St. Augustin 2014, S. 164.
  26. Johannes Heinrichs: Revolution der Demokratie, 2., aktualisierte Auflage. Academia Verlag, St. Augustin 2014, S. 175.
  27. Johannes Heinrichs: Revolution der Demokratie. 2. aktualisierte Auflage. Academia Verlag, St. Augustin 2014, S. 173–180.
  28. Johannes Heinrichs: Revolution der Demokratie, 2., aktualisierte Auflage. Academia Verlag, St. Augustin 2014, S. 175 f..
  29. Johannes Heinrichs: Revolution der Demokratie, 2., aktualisierte Auflage. Academia Verlag, St. Augustin 2014, S. 180.
  30. Johannes Heinrichs: Revolution der Demokratie, 2., aktualisierte Auflage. Academia Verlag, St. Augustin 2014, S. 198.
  31. Johannes Heinrichs: Revolution der Demokratie, 2., aktualisierte Auflage. Academia Verlag, St. Augustin 2014, S. 177.
  32. Johannes Heinrichs: Revolution der Demokratie, 2., aktualisierte Auflage. Academia Verlag, St. Augustin 2014, S. 167.
  33. Johannes Heinrichs: Revolution der Demokratie, 2., aktualisierte Auflage. Academia Verlag, St. Augustin 2014, S. 247.
  34. Johannes Heinrichs: Revolution der Demokratie. 2., aktualisierte Auflage. Academia Verlag, St. Augustin 2014, S. 221.
  35. Rudolf Bahro: Rezension der „Öko-Logik“ von Johannes Heinrichs. In: Aletheia. Band 12, Nr. 11, 1997.
  36. Johannes Heinrichs: Demokratiemanifest für die schweigende Mehrheit. 1. Auflage. Steno Verlag, München, Einband.
  37. Jürgen Habermas, Niklas Luhmann: Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie – was leistet die Systemforschung? 10. Auflage. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1990.
  38. Johannes Heinrichs: Handlungen. Das periodische System der Handlungsarten. Philosophische Semiotik Teil 1. Steno Verlag, München 2007, S. 469–482.


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