Neuorientierung (Leben/Beruf)
Der Begriff Neuorientierung wird meist auf eine geänderte Ausrichtung des eigenen Lebens oder speziell des Berufs bzw. der Berufsausbildung bezogen. Er gewinnt durch neue Formen wie Sabbaticals und andere Auszeiten oder bessere Berufsberatung zunehmend an gesellschaftlicher Bedeutung.
So stehen im privaten Lebensbereich Familie, Partnerschaft oder Ausbildung unter stärkerem Erwartungsdruck als früher. Gleichzeitig sind die möglichen Alternativen vielfältiger geworden und die finanzielle Absicherung etwas leichter.
Im Berufsleben wiederum nimmt vielfach der Stress zu und wird höhere Mobilität eingefordert. Daher beginnen viele, die eigene Berufswahl zu hinterfragen [1]: Warum habe ich damals diesen Beruf gewählt? Habe ich mich als Person verändert? Oder hat mir der Beruf noch nie gepasst und ich bin da nur hineingerutscht?
Solche Fragen oder Zweifel können zur Erkenntnis führen, dass sich etwas ändern muss. Diese Überlegungen beinhalten u. a. folgende Schritte:
- Unzufriedenheit oder Zweifel über die bisherige Berufs- bzw. Lebenssituation
- ein Hinterfragen früherer Entscheidungen
- ein Innehalten im bisherigen Lebensstil, Arbeitsstil oder -rhythmus
- ein Überlegen oder Meditieren möglicher Änderungen und ihrer Ethik
- eine Erkundung der finanziellen oder juristischen Folgen
- Gespräche mit Ehepartner/in, Freunden, Kollegen oder Beratungsstellen
- und zuletzt die Entscheidung für oder gegen die überlegte Änderung.
Einer der ersten Philosophen, der sich dem Thema der persönlichen Neuorientierungwidmete, war Augustinus von Hippo (354-430). Neben seinen theologischen Schriften spielt die Thematik der Umkehr im persönlichen Leben vor allem im Werk Confessiones (Bekenntnisse) eine Rolle, das wesentlichen Einfluss auf das Denken im Mittelmeerraum und in Europa hatte. Von den späteren Philosophen wäre vor allem Jean-Jacques Rousseau zu nennen, mit dem die Säkularisierung der Neuorientierungen beginnt.
Verlauf und Hilfen zur Orientierungsphase[Bearbeiten]
Dem Versuch einer Neuorientierung gehen oft Gefühle der Unzufriedenheit, einer Überforderung oder Zustände von Erschöpfung bis hin zum Burnout-Syndrom voraus. Sie können stark belastend sein und zu voreiligen Schlüssen oder Aktionen führen. Um unnötige Nachteile zu vermeiden, sollten Betroffene daher einige Hilfen in Anspruch nehmen:
- einen längeren Urlaub nehmen (was allerdings die Jobberaterin Glaubitz[2] für ein Ausweichmanöver hält)
- Aufzeichnungen über den Alltagsrhythmus
- entspannende Ablenkungen, eine Reise o. ä.
- ärztliche und/oder psychologische Beratung
- einschlägige Internet-Suche, Jobbörse etc.
- Aufsuchen einer Lebensberatung oder eines Seelsorgers
- Gespräche mit vertrauten Berufskolleg/inn/en,
- evt. Kontakt mit Betriebsrat, Gewerkschaft, Kammer oder Berufsberatung.
Eigeninitiative und Mut zur Veränderung[Bearbeiten]
Berufs- und Lebensberater achten darauf, vor allem den Mut zur Veränderung und das Selbstvertrauen zu stärken. Das ist besonders für „Quereinsteiger“ von Bedeutung, weil in klassischen Stellenanzeigen meist Leute mit spezieller Ausbildung gesucht werden. Man muss u. U. sehr genau recherchieren, wo man mit dem eigenen Qualifikationsprofil hineinpasst. Wer nicht ganz der Linie entspricht, schreibt besser an die gewünschte Fachabteilung statt ans Personalbüro.
Erfolgversprechender sind aber für Umsteiger oft die Empfehlungen von Freunden, Bekannten und Kollegen – denn sie können die in Bewerbungsschreiben erwünschten Referenzen ersetzen. Eine Bewerbung auf Eigeninitiative kann – im Gegensatz zum üblichen Weg – sogar den Vorteil haben, dass sie dadurch beim Wunschunternehmen mehr auffällt und die Chancen erhöht. Denn Eigeninitiative kommt hier meist gut an, besonders wenn die Motivation, sich zu verändern, klar formuliert wird.
Im privaten Lebensbereich ebenso wie im Beruf wenden Berater dem Thema Selbstwertgefühl besondere Aufmerksamkeit zu. So betont Anselm Grün (s.Lit., p. 19ff), dass sich jeder zweifelnde Mensch auf die Suche nach seiner Einmaligkeit machen sollte, die gottgewollt sei und durch jede Person die Welt bereichere.
Sanftere Formen der Neuorientierung[Bearbeiten]
Wenn man sich zu keiner drastischen Änderung in Lebensstil oder Beruf entscheiden will, bleiben einige sanftere Möglichkeiten.
Lebensstil[Bearbeiten]
- in der Partnerschaft das Lesen eines einschlägigen Buches, ein gemeinsames „Wochenende zu zweit“, ein Partnerseminar, ein Marriage Encounter-Wochenende oder eine Eheberatung
- mit Partner, Kindern bzw. Eltern eine Art Familienkonferenz oder eine spezielle Familientherapie
- eine Selbsterfahrungsgruppe
- ein Wiederaufnehmen früherer Hobbys, von Singen, Musizieren oder Theater.
Beruflich[Bearbeiten]
- Überlegung und Erörterung von (zunächst befristeter) Teilzeitarbeit
- Auszeit für Weiterbildung, ein Schnuppern in anderen Berufszweigen
- professionelles Outplacement für ausscheidende Mitarbeiter
- ein Sabbatical, ein Bildungs- oder Forschungssemester.
Mögliche Vorgehensweise bei der beruflichen Neuorientierung[Bearbeiten]
Schritt 1: Durchführung einer Selbstanalyse[Bearbeiten]
Bei der beruflichen Neuorientierung wird die Fähigkeit zur Selbstständigkeit, Selbstorganisation und Selbstverantwortung vorausgesetzt, ebenso wie die Konfliktbewältigung, falls die vorhergehende Arbeitslosigkeit Grund oder Anlass zur Neuorientierung war. Die Fähigkeit zum Bilden der eigenen neuen Zukunft ist wichtig, um Kontrolle über diese zu erlangen und sich neue Ziele zu setzen. Im ersten Schritt findet daher eine Bilanzierung der eigenen Kompetenzen statt, ebenso wie deren Bewertung in Hinblick auf das neue Ziel. Die eigene Berufsbiographie ist auszuwerten, um Potenziale aber auch Defizite festzustellen.[3] Im Ergebnis sollte eine Übersicht über die eigenen (personenbezogenen) Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse sowie Entwicklungspotenziale, Interessen, Bedürfnisse und Werthaltungen vorliegen.[4]
Schritt 2: Analyse möglicher Berufsfelder und -bilder und deren Anforderungen[Bearbeiten]
Die Anforderungsanalyse eines Arbeitsplatzes ist zumeist Instrument von Unternehmen für die richtige Personalentscheidung bei der zu besetzenden Stelle.[5] Doch auch ein Arbeitsuchender sollte anhand der ihm obliegenden Möglichkeiten eine derartige im Rahmen seiner eigenen Neuorientierung durchführen können.
„Die Anforderungsanalyse sollte die Merkmale eines Arbeitsplatzes, einer Ausbildung bzw. eines Studiums, eines Berufs oder einer beruflichen Tätigkeit ermitteln, die für den beruflichen Erfolg und die berufliche Zufriedenheit bedeutsam sind. Aus der Anforderungsanalyse sollten diejenigen Eignungsmerkmale (…) mitsamt ihren Ausprägungsgraden abgeleitet werden, die zur Erfüllung der Anforderungen nötig sind. (…)“[6]
Es sollte folglich geklärt werden, in welchen Berufsfeldern und Branchen man zukünftig tätig werden möchte und welche Voraussetzungen, abgeleitet aus deren Anforderungen, hierfür zu erfüllen sind. In den Informationsbroschüren der Bundesagentur für Arbeit gibt es wichtige Anhaltspunkte und Beschreibungen von Berufsfeldern und Berufen. Ebenso bietet Berufenet auf der Website der Bundesagentur für Arbeit zahlreiche Informationen über mögliche Berufsbilder.[7]
Schritt 3: Durch Verknüpfung von Selbstanalyse mit beruflichen Möglichkeiten zum konkreten Berufsbild[Bearbeiten]
Aus den Ergebnissen der Selbstanalyse und den beruflichen Interessen und Anforderungen gilt es nun, den konkreten Beruf zu finden, der sich mit den eigenen fachlichen und persönlichen Kompetenzen sowie den Interessen optimal deckt. Hier werden die Anforderungen der Berufsbilder mit den persönlichen Kompetenzen gegenübergestellt und auf eine bestmögliche Übereinstimmung geprüft.
Zusätzliche Rahmenbedingungen, wie zu tätigende Investitionen, Erwartungen von Familie oder Partner, regionale Einschränkungen sowie Aussichten auf dem Arbeitsmarkt sind bei persönlichen Interessen mit zu berücksichtigen.
Siehe auch[Bearbeiten]
- Fundamentaloption
- Work-Life-Balance
- Vereinbarkeit von Familie, Privatleben und Beruf
- Freiwilliges soziales Jahr
- Gap Year
Literatur und Weblinks[Bearbeiten]
- Stephen Lundin et al.: FISH! Ein ungewöhnliches Motivationsbuch, 126 p., Serie Redline Wirtschaft, Verlag Ueberreuter, Wien 2001
- Anselm Grün: Selbstwert entwickeln – Ohnmacht meistern. 144 p., Kreuz Verlag, Stuttgart 1995
- Berufliche Neuorientierung – Zukunft bewusst gestalten
- Arbeits-ABC.de: Wann ist es Zeit für eine berufliche Neuorientierung?
Einzelnachweise[Bearbeiten]
- ↑ Karriere-Journal: Berufliche Neuorientierung: Starten Sie neu durch!
- ↑ Ura Glaubitz: Der Job, der zu mir passt. Das eigene Berufsziel entdecken und erreichen. Prime-Verlag, 2009
- ↑ Preißer, Rüdiger: Dimensionen der Kompetenz zur berufsbiographischen Selbstorganisation und Flexibilität, in http://www.forschungsnetzwerk.at/downloadpub/2001preisser_ruediger_dimensionen_der_kompetenz_zur_berufsbiographischen_selbstorganisation_und_flexibilitaet.pdf
- ↑ in Anlehnung an Schuler, Heinz (2014): Arbeits- und Anforderungsanalyse, in: Lehrbuch der Personalpsychologie, Schuler, Heinz; Kanning, Uwe Peter (Hrsg.) S. 63–64
- ↑ vgl. Schuler, Heinz (2014): Arbeits- und Anforderungsanalyse, in: Lehrbuch der Personalpsychologie, Schuler, Heinz; Kanning, Uwe Peter (Hrsg.) S. 61ff
- ↑ (DIN 33430, S. 12)
- ↑ https://statistik.arbeitsagentur.de/Statischer-Content/Grundlagen/Klassifikation-der-Berufe/KldB2010/Printausgabe-KldB-2010/Generische-Publikationen/KldB2010-Printversion-Band1.pdf
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