Volksentscheid Berlin Autofrei
Die Bürgerinitiative Volksentscheid Berlin Autofrei (Eigenschreibweise: "Volksentscheid Berlin autofrei") strebt einen Volksentscheid im Jahr 2023 an, durch den zwei Drittel des Auto-Verkehrs in Berlin entfallen sollen. Ausnahmen soll es im Wesentlichen nur noch für den öffentlichen Verkehr wie z.B. den ÖPNV, Müllabfuhr und Feuerwehr, den privaten Wirtschafts- und Lieferverkehr sowie für mobilitätseingeschränkte Menschen geben.[1][2] Die Initiative möchte damit eine "flächengerechte, gesunde, sichere, lebenswerte sowie klima- und umweltfreundliche Nutzung der öffentlichen Straßen in Berlin" erreichen.[3] Inhaltlich knüpft sie an den Volksentscheid Fahrrad an.[4] Die Presse hält es für wahrscheinlich, dass die Initiative eines der Hauptthemen des Wahlkampfes für die Senatswahlen 2021 liefern wird.[5][6][7][8]
Trägerschaft[Bearbeiten]
Die Initiative wurde im Herbst 2019 von Privatpersonen gegründet, um den Volksentscheid ehrenamtlich zu organisieren und ein Gesetz zu entwerfen. Sie ist unabhängig von Verbänden oder Organisationen, unabhängig von staatlichen Geldern und parteipolitisch neutral.[9]
Gesetz für eine autoreduzierte Berliner Innenstadt[Bearbeiten]
Die Initiative plant die Verabschiedung des von ihr entworfenen „Gesetz für eine autoreduzierte Berliner Innenstadt“.
Kernpunkte des angestrebten Gesetzes ist die Umwidmung der Straßen durch die Beschränkung ihrer Nutzung auf den Gemeingebrauch des Umweltverbundes, also Fuß-, Rad- und öffentlicher Personennahverkehr.[10] Von der Umwidmung ausgenommen sollen jedoch die Bundesstraßen sein. Sie sollten aber langfristig zu Landstraßen herabgestuft werden, um perspektivisch auch zu autoreduzierten Straßen umgewidmet werden zu können. Dies betrifft in Berlin die Bundesstraßen B1, B2, B5, B96 und die 96A.[11]
Personen, die weiterhin auf Kraftfahrzeuge angewiesen sind, sollen eine entsprechende Sondernutzungserlaubnis erhalten, beispielsweise:
- Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt und daher auf ein Auto angewiesen sind,
- der öffentliche Verkehr (z. B. Polizei, Rettungsdienst, Feuerwehr, Müllabfuhr, Taxen) und
- Wirtschafts- und Lieferverkehr.[12]
Nach einer vierjährigen Übergangsfrist soll der Gemeingebrauch fast aller Straßen innerhalb des Berliner S-Bahn-Rings reduziert werden.[13] Dies soll zu einer Reduzierung des Verkehrs um 50 Prozent führen. Nach dem Wegfall der Ausnahmebestimmungen für Innenstadtbewohner nach zehn Jahren soll der Verkehr sogar um 80 Prozent sinken.[14] Bis 2028 würde sich für Anwohner demnach nichts ändern.[15]
Die Initiative ist der Ansicht, die Nutzungsbeschränkung für Autos von Anwohner innerhalb des Rings sei zwar eine Einschränkung des Eigentumsrechts nach Grundgesetz Artikel 14. Die Gründe dafür seien jedoch „von übergeordnetem Interesse“ und daher verhältnismäßig. Auch die langen Übergangszeiten und die geplanten Härtefallregelungen für bestimmte notwendige Autofahrten würden das Gesetz rechtssicher machen.[16]
Das Gesetz soll nach Willen der Initiative auch für E-Autos gelten, da diese ebenfalls Platz brauchten, in Unfälle verwickelt seien und über den Reifenabrieb Feinstaub verursachten.[17]
Weitere Forderungen[Bearbeiten]
Folgende weitergehende Forderungen will die Initiative öffentlich bewerben:
- Ausbau des ÖPNV
- günstiger, langfristig auch kostenfreier ÖPNV
- Tempo 30 auf allen Straßen
- flächendeckende Parkraumbewirtschaftung am Rande des Rings
- Herabstufung aller Bundes- zu Landesstraßen
- die durch wegfallende Parkplätze und -häuser oder Tankstellen freiwerdenden Flächen sollen nicht privatisiert werden dürfen – auch, um möglichen Gentrifizierungstendenzen in der dann lebenswerteren Stadt entgegenzutreten.[18]
Argumente der Initiative[Bearbeiten]
Die Initiative möchte durch das Gesetz Berlin zu einer "lebenswerteren Stadt" machen.[19] Durch das Gesetz soll unter anderem ein größerer Beitrag zur CO2-Reduzierung in Berlin erreicht werden. Der Verkehrssektor verursache 28 Prozent der Emissionen und trage immer noch nichts zur CO2-Senkung bei. Auch die zahlreichen Toten und Schwerverletzen, die meist im Zusammenhang mit dem motorisierten Verkehr stehen, seien für sie ein wichtiges Motiv.[20] Zudem parke ein Auto im Schnitt 23 Stunden am Tag und stehe somit ungenutzt auf der Straße. Man könne also mit viel weniger Autos auskommen.[21] Als positive Beispiele für Fahrradstädte nennt die Initiative Amsterdam und Kopenhagen. Berlin habe, da es ebenso flach sei, das gleiche Potenzial.[22] Eine City-Maut lehnt die Initiative ab, da diese Reiche begünstigen würde.[23]
Reaktionen[Bearbeiten]
Die grüne Verkehrssenatorin Regine Günther sah sich in ihrem Kurs bestätigt, den ÖPNV und die Radverkehrsinfrastruktur stark auszubauen und sah sich mit den Zielen der Initiative "auf einer Linie".[24] Die Fraktionsvorsitzende Antje Kapek und der verkehrspolitische Sprecher Harald Moritz erklärten, es gäbe ein Bedürfnis nach mehr Verkehrssicherheit, saubererer Luft und mehr Platz im öffentlichen Raum, der nicht von Autos blockiert wird.[25] Die Verkehrswende sei eine soziale Frage, die die Menschen bewegt.[26]
Die SPD erklärte, dass es gute Gründe gäbe, die für eine deutliche Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs sprechen. Allerdings solle nicht das Auto oder die Autofahrer stigmatisiert, sondern Strukturen geschaffen werden, die es den Menschen erleichtern, ihr Leben ohne Auto zu gestalten.[27]
Die Linkspartei lobte die Initiative, vor allem weil sie mit ihrem Vorschlag für die Umwidmung von Straßen in autoreduzierte Straßen explizit an soziale Fragen anknüpft und das Befahren der gut erschlossenen und verdichteten Innenstadt mit dem Auto nicht an den Geldbeutel oder ein Elektroauto knüpft, wie es bei der von den Grünen geforderten City-Maut und Zero-Emission-Zone der Fall sei.[28] Michael Efler, der Sprecher für Energie- und Klimapolitik der Linken, erklärte das Vorhaben sei „mutig und ambitioniert, gut durchdacht, mit sinnvollen Ausnahmen“.[29]
Die CDU bezeichnete die Initiative als "Lobbyisten“, die “äußerst egoistisch" seien und forderte mehr Busse und Bahnen mit besserer Anbindung der Außenbezirke, den Ausbau der Elektromobilität und auch bessere und sichere Fahrradwege. [30]
Der FDP-Verkehrspolitiker Henner Schmidt erklärte, dass die Forderung einer weitgehend autofreien Innenstadt "ein viel zu weitreichender Eingriff in die freie Entscheidung der Menschen“ sei.[31][32]
Die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz erklärte zunächst, dass eine Bewertung der Initiative ohne einen vorliegenden Entwurf des Gesetzes für eine autoreduzierte Berliner Innenstadt noch nicht möglich sei. Allerdings sei das Vorhaben einer weitgehend autofreien Innenstadt juristisch hochkomplex und bedürfe für eine Bewertung einer gründlichen Prüfung.[33]
Die Taz hält die Initiative für nicht "so knallhart", da Busse, Laster und Müllwagen, Taxis, Transporter und Krankenwagen sowie eine Vielzahl von mit guten Gründen befreite private Kfz weiterrollen würden. Insbesondere für Lieferdienste würden goldene Zeiten anbrechen.[34]
Der ADAC verfolgt ebenfalls das Ziel der Initiative, den Verkehr in der Innenstadt zu reduzieren. Er kritisiert allerdings, dass die Initiative einseitige Verbote anstrebe und fordert ein gesamtstädtisches Verkehrs- und Mobilitätskonzept. Insbesondere müssten Alternativen zum Auto ausgereift sein, bevor der Autoverkehr zum Rückzug gezwungen werden könne.[35]
Heinrich Strößenreuther, Initiator des Volksentscheids Fahrrad, hält die Initiative für den logisch nächsten Schritt nach dem Volksentscheid Fahrrad.[36]
Die internationale Presse merkte an, dass die Initiative über die bestehenden Restriktionen für Kfz, also erhöhte Steuern für besonders umweltschädigende Fahrzeuge und Autofreie Tage in London und Paris hinausgeht.[37][38][39]
Der Weg zum Volksentscheid[Bearbeiten]
Am 21. Oktober 2020 trat die Initiative mit einer Pressekonferenz im autobefreiten Teil der Friedrichstraße zum ersten Mal an die Öffentlichkeit.[40] Ende 2020 soll der Entwurf des Gesetzes für eine autoreduzierte Berliner Innenstadt vorliegen. Von April bis September 2021 will sie 20.000 Unterschriften für die Einleitung des Volksbegehrens sammeln. Sollte sich das Abgeordnetenhaus das Anliegen nicht zu eigen machen, soll 2022 das Volksbegehren folgen. Kommen dabei die erforderlichen gut 170.000 Unterschriften zusammen, wäre ein Volksentscheid 2023 der letzte Schritt.[41]
Die Initiative glaubt gute Erfolgschanchen zu haben, da 51 Prozent der Berliner kein Auto hätten. Innerhalb des S-Bahn-Rings seien es sogar noch mehr.[42] In einer bundesweiten repräsentativen Umfrage die das Meinungsforschungsinstitut Civey im Auftrag von "Tagesspiegel Background" durchgeführt hatte, stimmten 35,3 Prozent der Befragten eher zu, dass deutsche Innenstädte autofrei werden sollen. 56 Prozent waren eher dagegen. 8,7 Prozent der Teilnehmer konnten sich nicht entscheiden. Der Tagesspiegel erklärte jedoch zugleich, dass diese Zahlen nicht auf Berlin übertragbar seien, da es in der Hauptstadt eine kritische Masse gäbe, die sich für eine Verkehrswende einsetzte.[43]
Weblinks[Bearbeiten]
- Volksentscheid Berlin Autofrei
- Sandra Sperber: Podcast „Stimmenfang“: „Wagt Berlin die radikale Verkehrswende?“ Spiegel Online, 22. Oktober 2020, abgerufen am 27. Oktober 2020.
- LdN211, Corona-Update, EEG-Novelle, Autofreie Innenstadt, EU-Agrarreform, Geheimdienste sollen abhören. Lage der Nation (Podcast), abgerufen am 1. November 2020.
siehe auch[Bearbeiten]
Einzelnachweise[Bearbeiten]
- ↑ https://www.jungewelt.de/artikel/389351.kampagne-f%C3%BCr-autofreie-innenstadt-wollen-niemanden-in-seiner-mobilit%C3%A4t-einschr%C3%A4nken.html
- ↑ FAZ vom 22.10.2020, S. 16
- ↑ https://www.tagesspiegel.de/berlin/konzept-vorgestellt-initiative-volksentscheid-berlin-autofrei-will-innenstadtverkehr-umkrempeln/26294430.html
- ↑ https://www.tagesspiegel.de/berlin/konzept-vorgestellt-initiative-volksentscheid-berlin-autofrei-will-innenstadtverkehr-umkrempeln/26294430.html
- ↑ https://www.independent.co.uk/news/campaigners-seek-vote-to-make-berlin-center-largely-carfree-berlin-vote-heart-capital-german-b1209019.html
- ↑ https://www.washingtonpost.com/world/europe/campaigners-seek-vote-to-make-berlin-center-largely-car-free/2020/10/21/9bfe0112-13b1-11eb-a258-614acf2b906d_story.html
- ↑ https://www.sfgate.com/news/article/Campaigners-seek-vote-to-make-Berlin-center-15664187.php?utm_campaign=CMS%20Sharing%20Tools%20(Premium)&utm_source=t.co&utm_medium=referral
- ↑ https://www.neues-deutschland.de/artikel/1143429.berlin-autofrei-autos-radikal-verbannen.html]]
- ↑ http://volksentscheid-berlin-autofrei.de[1]
- ↑ https://taz.de/Volksentscheid-Berlin-autofrei/!5720353/
- ↑ https://www.morgenpost.de/berlin/article230722384/Volksbegehren-will-Innenstadt-fuer-Grossteil-der-Autos-sperren.html
- ↑ http://volksentscheid-berlin-autofrei.de/wie.php?lang=de
- ↑ https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/volksentscheid-zahl-der-autos-in-der-innenstadt-soll-um-80-prozent-sinken-li.113057
- ↑ https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/volksentscheid-zahl-der-autos-in-der-innenstadt-soll-um-80-prozent-sinken-li.113057
- ↑ https://www.morgenpost.de/berlin/article230722384/Volksbegehren-will-Innenstadt-fuer-Grossteil-der-Autos-sperren.html
- ↑ https://taz.de/Volksentscheid-Berlin-autofrei/!5720353/
- ↑ https://www.berlin.de/tourismus/infos/verkehr/nachrichten/6331145-4357821-initiative-will-volksentscheid-fuer-auto.html
- ↑ https://taz.de/Volksentscheid-Berlin-autofrei/!5720353/
- ↑ https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2020/10/berlin-autofreie-innenstadt-buergerinitiative-volksentscheid.html
- ↑ https://www.neues-deutschland.de/artikel/1143429.berlin-autofrei-autos-radikal-verbannen.html
- ↑ https://www.watson.de/nachhaltigkeit/nachhaltig/698329220-autofreie-hauptstadt-berliner-initiative-plant-volksentscheid
- ↑ https://www.watson.de/nachhaltigkeit/nachhaltig/698329220-autofreie-hauptstadt-berliner-initiative-plant-volksentscheid
- ↑ https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/volksentscheid-zahl-der-autos-in-der-innenstadt-soll-um-80-prozent-sinken-li.113057
- ↑ https://www.morgenpost.de/berlin/article230722384/Volksbegehren-will-Innenstadt-fuer-Grossteil-der-Autos-sperren.html
- ↑ https://www.morgenpost.de/berlin/article230722384/Volksbegehren-will-Innenstadt-fuer-Grossteil-der-Autos-sperren.html
- ↑ https://taz.de/Volksentscheid-Berlin-autofrei/!5720353/
- ↑ https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/volksentscheid-zahl-der-autos-in-der-innenstadt-soll-um-80-prozent-sinken-li.113057
- ↑ https://www.morgenpost.de/berlin/article230722384/Volksbegehren-will-Innenstadt-fuer-Grossteil-der-Autos-sperren.html
- ↑ https://taz.de/Volksentscheid-Berlin-autofrei/!5720353/
- ↑ https://www.cdu-fraktion.berlin.de/lokal_1_1_2474_Bessere-Loesungen-fuer-den-City-Verkehr-der-Zukunft.html
- ↑ https://www.morgenpost.de/berlin/article230722384/Volksbegehren-will-Innenstadt-fuer-Grossteil-der-Autos-sperren.html
- ↑ https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2020/10/berlin-autofreie-innenstadt-buergerinitiative-volksentscheid.html
- ↑ https://taz.de/Volksentscheid-Berlin-autofrei/!5720353/
- ↑ https://taz.de/Volksentscheid-Autofrei-in-Berlin/!5719806/
- ↑ https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/volksentscheid-zahl-der-autos-in-der-innenstadt-soll-um-80-prozent-sinken-li.113057
- ↑ https://taz.de/Volksentscheid-Berlin-autofrei/!5720353/
- ↑ https://www.independent.co.uk/news/campaigners-seek-vote-to-make-berlin-center-largely-carfree-berlin-vote-heart-capital-german-b1209019.html
- ↑ https://www.washingtonpost.com/world/europe/campaigners-seek-vote-to-make-berlin-center-largely-car-free/2020/10/21/9bfe0112-13b1-11eb-a258-614acf2b906d_story.html
- ↑ https://www.sfgate.com/news/article/Campaigners-seek-vote-to-make-Berlin-center-15664187.php?utm_campaign=CMS%20Sharing%20Tools%20(Premium)&utm_source=t.co&utm_medium=referral
- ↑ https://taz.de/Volksentscheid-Berlin-autofrei/!5720353/
- ↑ https://www.berlin.de/tourismus/infos/verkehr/nachrichten/6331145-4357821-initiative-will-volksentscheid-fuer-auto.html
- ↑ https://www.zeit.de/mobilitaet/2020-10/berlin-autofrei-volksbegehren-autos-innenstadt/komplettansicht
- ↑ https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/machtkampf-um-die-strassen-mehrheit-der-buerger-lehnt-autofreie-innenstaedte-ab/26313858.html
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